Wer mit akuten Beschwerden in eine Praxis kommt, muss oft lange warten. Gesetzlich Versicherte können froh sein, wenn sie noch am selben Tag behandelt werden. Was sich Patienten bieten lassen müssen - und was nicht.
In der Rubrik "Der Streitfall des Tages" analysiert Handelsblatt Online eine Gaunerei oder ein Ärgernis aus Bereichen des Wirtschaftslebens. Betroffene erhalten konkrete Unterstützung, können ihren Fall öffentlich machen und mit Gleichgesinnten diskutieren. Illustration: Tobias Wandres.
Der Fall
Nach dem Aufwachen konnte sich der 38jährige Kölner kaum noch bewegen. Einen derart stechenden Schmerz im Rücken hatte er noch nie erlebt. Er brauchte eine knappe Stunde, bis er es aus dem Bett ans Telefon schaffte. Den Anruf beim Arzt hätte sich der Medienmanager aber sparen können. Obwohl er deutlich machte, dass es sich um einen Notfall handelt, hatte der Orthopäde erst in einer Woche einen Termin frei. Frühestens.
In seiner Not ging er trotz Ablehnung der Sprechstundenhilfe zum Orthopäden und wurde nach sieben Stunden Wartezeit endlich behandelt. Ein Wirbel war ausgerenkt, die Muskulatur an der Wirbelsäule steinhart. Das Einrenken dauerte nur wenige Minuten, einige Massagen wurden verschrieben.
In seinem Ärger machte der Betroffene eine Probe aufs Exempel. Wurde er als Kassenpatient diskriminiert? Eine Freundin, die Privatpatientin ist, versuchte am selben Tag einen Termin für eine Vorsorge-Untersuchung beim Orthopäden zu vereinbaren. „Heute haben wir noch mehrere Termine frei“, sagte die Sprechstundenhilfe. „Der Doktor wird sich Zeit für sie nehmen“.
Ärzte stellen oft Rechnungen, die eigentlich die Krankenkasse zahlen müsste. Die Kassen informieren Patienten falsch, etwa bei Hautkrebsuntersuchungen. Wann Patienten zu unrecht zahlen und wie sie sich wehren können.
Die Relevanz
Aktuellen Umfragen zufolge werden Patienten der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber Privatpatienten bei der Terminvergabe benachteiligt. Die Schärfe der Diskriminierung variiert allerdings von Umfrage zu Umfrage.
So gaben die Grünen-Abgeordnete Bärbel Höhn und Patientenrecht-Expertin Maria Klein-Schmeink im Januar 2011 eine Telefonumfrage in Auftrag, bei der Testanrufer in 350 Facharztpraxen in Nordrhein-Westfalen versuchten, Termine als Kassen- beziehungsweise Privatpatient zu vereinbaren. Bei der Stichprobe stellte sich heraus, dass Kassenpatienten durchschnittlich 23 Tage länger auf einen Termin beim Facharzt warten müssen als privat Versicherte. Im schlimmsten Fall warteten sie 45 Tage länge.
Nach einer Studie des AOK-Bundesverbands beträgt der Unterschied zwischen der Wartezeit für einen Privatpatienten und einen gesetzlich Versicherten etwa sechs Tage, wenn ein Termin bei einem Facharzt fällig wird. Demnach warteten gesetzlich Versicherte drei Wochen, Privatpatienten etwas länger als zwei Wochen auf einen Termin.
Befragungen zu akuten Fällen liegen etwas länger zurück. Hier warteten Patienten, die gesetzlich versichert sind, durchschnittlich acht Tage auf einen Termin beim Facharzt. Privat Versicherte mussten sich im Schnitt nur drei Tage gedulden, ergab eine Befragung im Auftrag des BKK Bundesverbandes vom April/Mai 2008.
Chefärzte in deutschen Kliniken erhalten von ihrem Arbeitgeber Bonuszahlungen für besondere Sparsamkeit. Ein bedenklicher Trend, warnen Kritiker. Drohen Gesundheitsrisiken, weil Ärzte zu Kaufleuten werden?
Eine Umfrage des Gesundheitsmonitor der Bertelsmann-Stiftung kam im selben Jahr zu dem Schluss. "Es gibt keine Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten bei der Wartezeit auf einen Termin bei einem Hausarzt, jedoch bei den Wartezeiten in der Praxis sowie für einen Termin beim Facharzt. Negative gesundheitliche Folgen aufgrund von Wartezeiten werden wahrscheinlicher, wenn der Patient an einer im Alltag einschränkenden Krankheit oder einer schweren akuten Erkrankung leidet."
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Kommentare (12)
Pendler
10.02.2012, 14:26 Uhr
Kranke haben ihre Krankheit direkt oder indirekt immer selbst verursacht. Auch wenn das keiner wirklich hören will, aber Zufälle gibt es nun einmal nicht. Unbewusst wissen Patienten um ihre Schuld und lassen sich darum wie Opfer behandeln.
Termine könnte auch der Arzt einhalten, denn objektiv gibt es keinen Grund für diese Schlamperei bei den Wartezeiten. Aber der normale Patient will wie ein Sünder behandelt werden.
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10.02.2012, 14:44 Uhr
Das ist eine an der Realität vorbeigehende Hetze, ungewöhnlich für das Handelsblatt.
Beispiel: ich brauchte vor einer Woche einen Termin beim Augenarzt, wegen eines akuten Problems (Dauertränen eines Auges nebst Entzündung). Ich habe 10 Praxen durchtelefoniert und nicht in einer einen Termin innerhalb der nächsten 10 Tage bekommen.
Ich bin übrigens Privatpatientin.
PS übrigens warten auch Privatpatienten im Schnitt mindestens eine Stunde, bevor sie drankommen.
Account gelöscht!
10.02.2012, 15:37 Uhr
Mathe Algebra. Wir erinnern uns. Formeln werden umgestellt und bereinigt (gekürzt) bis eine gut überschaubare, handhabbare Formel übrig bleibt. Intelligente gebildete Menschen erinnern sich daran und übertragen das bei anderen Arbeiten in die praktische Arbeit, beispielsweise beim Organisieren.
Weit gefehlt. Gerade im Umfeld der Medizin und da arbeiten ja angeblich nicht die Dümmsten, ist die Organisation oft stümperhaft. Das komplizierte Abrechnungssystem soll als Beispiel gelten, welches 'echt' blöde gemacht ist, je vernünftige Motivation für die Beteiligten vermissen läßt und zu Ungerechtigkeiten sowie falscher Behandlung führt.