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07.02.2023

15:23

Kirchensteuer 2020 – Vor- und Nachteile des Kirchenaustritts dpa

Papst Franziskus

Kirchenmitglieder in Baden-Württemberg und Bayern müssen acht Prozent ihrer Lohn- und Einkommenssteuer, der Rest der Republik neun Prozent an Gottes Vertreter auf Erden abdrücken.

Kirchensteuer 2023

Welche Vor- und Nachteile hat ein Kirchenaustritt?

Von: Angelika Ivanov

Nahezu 300 Euro Kirchensteuer pro Jahr zahlt der deutsche Arbeitnehmer im Schnitt. Zu viel Geld, meinen viele und treten aus. Bei manchen Jobs kann das von Nachteil sein.

Düsseldorf Die katholische und die evangelische Kirche haben 2020 zusammen 12,08 Milliarden Euro Steuern eingenommen. Das zeigen die aktuellsten Zahlen der evangelischen Kirche in Deutschland.

Dabei treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Durchschnittlich verlassen 300.000 Menschen pro Jahr die Kirche und sparen sich damit die Steuer, zeigt eine Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Im Jahr 2021 hat die Kirche die meisten Austritte verzeichnet: Rund 360.000 haben die Kirche verlassen.

Für Austrittswellen sorgen immer wieder zutage tretende Skandale der katholischen Kirche. Diese hatten sich 2021 erneut zugespitzt. Die Aufarbeitung im Erzbistum Köln und das Verhalten des Kardinals Rainer Maria Woelki sorgten für massive Kritik. Auch Enthüllungen über systematische Vertuschungen von Missbrauchsfällen im Bistum München belasten die Beziehungen von Katholiken zu ihrer Kirche. Dabei lastet ein Gutachten dem emeritierten Papst Benedikt XVI. Fehlverhalten im Umgang mit vier Fällen von sexuellem Missbrauch während seiner Zeit als Erzbischof an. 

Insgesamt sollen in der katholischen Kirche seit den 1950er-Jahren hochgerechnet 216.000 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sein. Unter Einbeziehung der von der Kirche betriebenen Einrichtungen werde von 330.000 Opfern ausgegangen, teilte die unabhängige Missbrauchskommission in der Kirche (CIASE) mit.

In Deutschland sieht die katholische Kirche seit Anfang 2021 für Missbrauchsopfer erhöhte Anerkennungszahlungen von bis zu 50.000 Euro vor. Die bisherigen Zahlungen lagen im Schnitt bei 5000 Euro pro Person.

Kirchensteuer: Immer mehr entscheiden sich für einen Kirchenaustritt

Viele Gläubige leiden unter den Vorfällen. Sie haben das Vertrauen verloren. Sie entscheiden sich, die Institution nicht mit der Kirchensteuer über ihr Gehalt weiter zu unterstützen, und treten aus.

Pro Jahr zahlen Gläubige nämlich mehrere Hundert Euro an die Kirchenverbände. Wie hoch genau die Summe ausfällt, hängt vom jeweiligen Bundesland ab. In Baden-Württemberg und Bayern entfallen acht Prozent der Lohn- und Einkommensteuer auf die Kirche, der Rest der Republik zahlt neun Prozent an Gottes Vertreter auf Erden. Bei einem Durchschnittseinkommen von 37.000 Euro brutto wären das 449 Euro pro Jahr.

In unserem Brutto-Netto-Rechner können Sie Ihren individuellen Betrag ausrechnen. Die Kirchensteuer oder das Kirchgeld kann in der Steuererklärung als Sonderausgabe abgezogen werden.

Welche Vor- und Nachteile hat ein Kirchenaustritt?

Viele Menschen in Deutschland sind nur aus traditionellen Gründen Mitglied der Kirche und bezeichnen sich als ungläubig. Ein Austritt aus der Kirche hat vor allem finanzielle Vorteile. Bei einem Austritt entfällt der Anspruch auf den „Service“ der Kirche wie etwa eine Trauung vor dem Altar.

Wir haben die Argumente für oder gegen einen Kirchenaustritt zusammengefasst.

Vorteil 1: Steuerliche Ersparnisse

Der vermutlich wichtigste Grund für den Kirchenaustritt ist das gesparte Geld. Mitglieder der katholischen Kirche zahlen im Schnitt 291 Euro, Protestanten kommen auf 278 Euro im Jahr, rechnet das IW vor. Damit ist der Durchschnittsbetrag fast doppelt so hoch wie im Jahr 2004. In Deutschland ist es gesetzlich festgeschrieben, welche Glaubensrichtungen Kirchensteuern erheben dürfen. Darunter fallen christliche und jüdische Gemeinden sowie einige freireligiöse Gemeinden und die Unitarische Religionsgemeinschaft Freie Protestanten.

Vorteil 2: Verantwortung

Die Statistik zeigt, dass Verfehlungen insbesondere seitens der katholischen Kirche die Austrittszahlen ankurbeln. So führten der Missbrauchsskandal Anfang 2010 und der Skandal um den zweistelligen Millionenbetrug in Limburg 2013, wo Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst auf Kosten der Kirche eine Luxuswohnung gebaut hat, zu zahlreichen Austritten bei der katholischen Kirche. 2021 sorgte die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Erzbistum Köln und das Verhalten des Kardinals Rainer Maria Woelki für eine Rekordzahl an jährlichen Kirchenaustritten. Gläubige wollten mit ihrem Geld die Tätigkeiten der Kirche nicht länger unterstützen. Denn die Einflussnahme der Mitglieder ist außerhalb ihrer lokalen Gemeinden sehr begrenzt.

Vorteil 3: Kein Religionsunterricht

Schulpflichtige Kinder ohne Religionszugehörigkeit können vom Religionsunterricht in der Schule befreit werden. Damit soll verhindert werden, dass Andersgläubige mit einer Weltanschauung konfrontiert werden, die sie und ihre Eltern nicht teilen. Ab 14 Jahren gelten Menschen in Deutschland als religionsmündig.

Nachteil 1: Der bürokratische Aufwand

Wer in Deutschland aus der Kirche austreten will, muss zum Amt. Abhängig vom Bundesland müssen Sie entweder beim Standesamt, Einwohnermeldeamt oder beim Amtsgericht einen Termin vereinbaren. Dort müssen Sie ein Formular ausfüllen und eine Bearbeitungsgebühr zahlen. Je nach Bundesland ist es kostenlos, wie etwa in Bremen, oder kostet zwischen zehn Euro und 60 Euro.

Nachteil 2: Keine Jobchance bei kirchlichen Trägern

Ärzte, Krankenschwestern, Pädagogen und Sozialarbeiter stehen vor der Frage, ob sie aus der Kirche austreten. Denn sie könnten ihre Jobchancen verringern. Grund ist, dass ihre Arbeitgeber häufig an die Kirche gebunden sind und die Mitgliedschaft verlangen.

Nachteil 3: Ausschluss von kirchlichen Zeremonien

Die Kirche begleitet wichtige Ereignisse im Leben eines Menschen: die Taufe, die Trauung vor dem Altar und die Totenmesse. Für diese Zeremonien müssen Menschen, die ausgetreten sind, entweder Geld zahlen oder gänzlich darauf verzichten. Wobei es mittlerweile für alle Ereignisse auch weltliche Alternativen gibt.

Was Sie beim Austritt aus der Kirche beachten müssen

Wenn Sie alle Vor- und Nachteile abgewogen haben und aus der Kirche austreten wollen, müssen Sie zunächst herausfinden, welche Institution in Ihrer Stadt für die Abmeldung aus der Kirche zuständig ist. Dort müssen Sie einen Termin machen und persönlich erscheinen.

Am besten ist es, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mitzunehmen. Verheiratete oder Geschiedene müssen außerdem das Familienbuch vorlegen. Sind die Formalitäten erledigt, informiert die Behörde das Finanzamt über den Austritt. Zum Ersten des folgenden Monats sollte der Kirchenaustritt rechtsgültig sein und Sie keine Kirchensteuer mehr bezahlen.

Was kostet der Kirchenaustritt? Sortiert nach Bundesland

BundeslandKosten
Baden-Württemberg10 bis 60 Euro
Bayern35 Euro
Hessen30 Euro
Saarland32 Euro
Hamburg31 Euro
Sachsen-Anhalt30 Euro
Rheinland-Pfalz30 Euro
Nordrhein-Westfalen30 Euro
Berlin30 Euro
Thüringen30 Euro
Sachsen30 Euro
Niedersachsen25 Euro
Schleswig-Holstein20 Euro
Mecklenburg-Vorpommern12 Euro
Brandenburgkostenlos
Bremenkostenlos

Erstpublikation: 04.01.23, 10:30 Uhr.

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