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02.06.2022

09:53

8. Triennale der Photographie Hamburg 2022

Fotofestival: Weltbeobachtung durch die Linse

Von: Johannes Wendland

Was Fotografie kann, zeigt die 8. Triennale in Hamburg. Das leitende Thema ihrer zwölf Hauptausstellungen sind wirtschaftliche Tauschprozesse.

Die Werkschau in der Sammlung Falckenberg legt den Fokus auf die bisher wenig bekannten Arbeiten der Mode- und Werbefotografin. Ihr Nachlass gehört zur Sammlung Falckenberg (Ausschnitt aus einem viereckigen Format). Charlotte March, Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg

Charlotte March "Donyale Schmuck"

Die Werkschau in der Sammlung Falckenberg legt den Fokus auf die bisher wenig bekannten Arbeiten der Mode- und Werbefotografin. Ihr Nachlass gehört zur Sammlung Falckenberg (Ausschnitt aus einem viereckigen Format).

Hamburg Nach vier Jahren lädt Hamburg wieder zu einer „Triennale der Photographie“ ein. Pandemiebedingt um ein Jahr verspätet, bündeln die großen Kunstinstitutionen der Stadt ihre Aktivitäten in Sachen Fotokunst, nun schon zum achten Mal seit 1999. Zwölf Ausstellungen in zehn Häusern bilden den Kern der Triennale; dazu gibt es viele Nebenausstellungen, Künstlergespräche und zu Pfingsten eine Festwoche.

Mit Koyo Kouoh, der Chefkuratorin des Zeitz Museum of Contemporary Arts in Kapstadt, hat diese Triennale eine künstlerische Leiterin, die international vernetzt ist und Weltläufigkeit vermittelt. Zusammen mit ihren Ko-Kuratorinnen hat sie das Oberthema „Currency“ (Währung) ausgerufen– ein Thema, das in den einzelnen Ausstellungen zumeist aber eher beiläufig gestreift wird.

Fotografie als Darstellungsform von Wirtschafts- und Finanzprozessen oder als Verbildlichung und zugleich Objekt von Tauschprozessen – alles dies wird hier und dort angesprochen, ohne sich aber zu einem Gesamtbild zu fügen.

Das macht aber auch nichts. Rund 80 Künstlerinnen und Künstler werden diesen Sommer stadtweit präsentiert. Und die jeweiligen Stärken und Schwächen der ausgestellten Arbeiten erheben sich souverän über die kuratorische Begleitmusik. Alle beteiligten Institutionen hatten im Grunde freie Hand.

Koyo Kouoh selbst hat die Hauptausstellung „Photography beyond Capture“ (Fotografie jenseits der Aufnahme) in der nördlichen Deichtorhalle beigesteuert und 29 Positionen versammelt, die den Blick auf die Schnittflächen zwischen experimenteller und dokumentarischer Fotografie richten.

Die in Moskau geborene Künstlerin bedient sich der Bildersuche von Google. Auf Basis eigener Aufnahmen findet die Künstlerin dort Fotografien, die sich ihren Motiven in Farbe, Form und Struktur ähneln. Die Kombination erzeugt neue Bedeutungen. Viktoria Binschtok, Courtesy: Klemm‘s Berlin

Viktoria Binschtok "Lines & Clouds"

Die in Moskau geborene Künstlerin bedient sich der Bildersuche von Google. Auf Basis eigener Aufnahmen findet die Künstlerin dort Fotografien, die sich ihren Motiven in Farbe, Form und Struktur ähneln. Die Kombination erzeugt neue Bedeutungen.

Zu entdecken sind viele starke Projekte. Etwa die Bilder der 90-jährigen Schweizerin Claudia Andujar, die seit einem halben Jahrhundert die Veränderungen der Lebensverhältnisse der Yanomani, einer indigenen Gemeinschaft im Amazonasgebiet, mit der Kamera beobachtet. Poetische, lichtdurchtränkte Porträts stehen da neben drastischen Bildern von der ökologischen Zerstörung und fast abstrakten Doppelbelichtungen, die in den Bereich der Träume und Mythen reichen.

Mit einer globalen Perspektive zieht die Ausstellung Querbeziehungen über Regionen und Kulturen hinweg. Nahezu abstrakt sind die blauen Fotogramme von Osamu James Nakagawa von abgesperrten Militärzonen auf der japanischen Insel Okinawa, die von den USA als Stützpunkt genutzt wird. Der Drahtzahn ist dabei das durchgängige, trennende Motiv. Inszeniert sind die Bilder als hohe, undurchdringliche Wand.

Fotozentrum: Wie Deutschland sein fotografisches Erbe entdeckt hat

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Kulturstaatsministerin Grütters plant eine Einrichtung für die Nachlässe von Fotografen. Doch es gibt bereits Bildarchive – eine Vernetzung könnte reichen.

Fast ebenso abstrakt wirken die Luftaufnahmen aus der Negev-Wüste in Israel von Fazal Sheikh, auf denen Spuren von militärischen und wirtschaftlichen Eingriffen zu sehen sind, die jeweils mit der Vertreibung der ursprünglichen beduinischen Bevölkerung verbunden waren. Und genauso abstrakt und bedrohlich zugleich erscheinen die großformatigen Bilder sterbender isländischer Gletscher von Ragnar Axelsson.

Wie kurz der Weg von der Dokumentarfotografie zum Aktivismus sein kann, zeigt der Hamburger Kunstverein am Beispiel der US-Fotografin La Toya Ruby Frazier. Seit 2014 dokumentiert sie die fatalen Folgen, die eine Umstellung der Wasserversorgung für die Bewohner der deindustrialisierten Stadt Flint im Bundesstaat Michigan hatte.

Weil das Trinkwasser nun durch ungeschützte Rohre fließt, erkranken die Menschen an Bleivergiftung. Eine Kostensenkungsmaßnahme der kommunalen Behörden mit einem rassistischen Hintergrund, leben hier doch vor allem Latinos und Schwarze.

Die Fotografin porträtiert diese Menschen und erzählt ihre Geschichten auf Texttafeln. Zugleich hat sie mit den Anwohnern aber auch dafür gesorgt, dass eine Wasseraufbereitungsanlage beschafft wird, die den Menschen endlich sauberes Trinkwasser bereitstellt.

Militärische und wirtschaftliche Eingriffe in der Wüste tragen zur Vertreibung der Beduinen bei. Fazal Sheikh

Fazal Sheikh „Desert Bloom, October 9, 2011“

Militärische und wirtschaftliche Eingriffe in der Wüste tragen zur Vertreibung der Beduinen bei.

Ganz anders greift die Hamburger Kunsthalle das Triennale-Thema „Currency“ auf. Unter dem Motto „Give and take“ werden Bilder hier auf ihren Tauschwert untersucht, den sie für andere Bildschöpfungen haben. Etwa, indem sie zum Element von Collagen werden, wie bei Martha Roslers Arbeiten vom Ende der 1960er-Jahre. Auf ihnen scheint der Vietnam-Krieg buchstäblich in die US-amerikanischen Wohnzimmer einzudringen.

Oder Künstler bedienen sich in der Bilderflut des Internet, um bestimmte Akzente zu setzen. So hat Volker Renner Gesichtsaufnahmen von Beteiligten am Sturm auf das Capitol aus den sozialen Netzwerken gefischt, vergrößert und als lange Serie nebeneinandergestellt. Gleichförmig und betont unscharf, um den Hass und Fanatismus dieser weißen Männer herauszuarbeiten.

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Ausstellung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Im Widerstand: Die brasilianische Künstlerin Lygia Pape

Die brasilianische Künstlerin Lygia Pape hat zwei Diktaturen erlebt. Jetzt ist ihr Werk in Düsseldorf zu entdecken.

Ebenso als Serie angelegt sind die Aufnahmen von Protestgesten, die Irene Chabr im Netz gesammelt und bearbeitet hat. Zu sehen sind Hände. Die Inhalte, die in die Kamera gehalten werden, sind gelöscht, aber die Universalität von bestimmten Protestformen wird so erkennbar. Eine Ausstellung mit Augenzwinkern, mal ironisch, mal drastisch.

Leider verschenkt wurde die Chance, die diese Triennale bieten kann, ausgerechnet an dem Ort, an dem die Fotografie in Hamburg normalerweise ihren Stammplatz hat. Das PHOXXI, der temporäre Container des Hauses der Photographie, wollte den Umgang mit der Fotografie als Ware und Kunstwerk ins Blickfeld rücken.

Doch sind Christoph Irrgangs Bilder von Archivregalen und Fotoordnern wirklich so interessant? Sie dokumentieren den Umzug der Fotosammlung FC Gundlach, der durch die Renovierung der südlichen Deichtorhalle nötig wurde. Selbstbezüglichkeit prägt auch die gegenüberliegende Wand im PHOXXI, die mit Bildern von der Fachmesse „Paris Photo“ übersät ist. Wer dort war, wird sich auf den Bildern suchen – und finden, denn die Namen der abgebildeten Sammler, Galeristen und prominenten Besucher sind verzeichnet. Ein Vergnügen nur für Insider.

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Wenig mit „Currency“, aber viel mit Hamburg zu tun haben die sehenswerten Retrospektiven, die den „Local Heroes“ Charlotte March (Sammlung Falckenberg) und Hans Meyer-Veden (Jenisch-Haus) sowie, in einer Parallelaktion, Herbert List (Bucerius Kunst Forum und Museum für Kunst und Gewerbe) gewidmet sind.

Ein spannender Nebeneffekt der Triennale ist, dass sich auch Kunsträume und Galerien in Eigenregie an das Programm anhängen und Fotografie zeigen. So ist in der Galerie Sfeir-Semler eine Ausstellung in Kunstvereinsqualität des libanesischen Fotografen Akram Zaatari zu sehen, der sich auf sehr erhellende Weise mit vorgefundenem Fotomaterial auseinandersetzt. Hier wird der Tauschwert von Privatfotos für ein künstlerische Projekt zum Thema – ganz ohne kuratorische Vorgabe.

Offiziell läuft die Triennale der Photographie bis zum 18. September. Die einzelnen Ausstellungen haben unterschiedliche Laufzeiten. Alle Informationen auf www.phototriennale.de.

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