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23.09.2021

12:57

Art Basel

Die Kunst, das Risiko zu minimieren

Von: Susanne Schreiber, Stefan Kobel

Nach einer Corona bedingten Zwangspause meldet sich die Kunstmesse Art Basel zurück. Erstmals sichert sie ihre schwächeren Aussteller durch einen Solidaritätsfond ab.

Der Künstler malt Buchstaben aus Werbebotschaften ab. Vertreten wir er von der Galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Art Unlimited. Foto: Stefan Pangritz

Robert Cottingham "American Alphabet II"

Der Künstler malt Buchstaben aus Werbebotschaften ab. Vertreten wir er von der Galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Art Unlimited. Foto: Stefan Pangritz

Basel Stell Dir vor: Es ist Partytime für Sammlerinnen, Künstler und Galeristinnen. Und kaum einer der zahlungskräftigen Sammler aus den USA oder Asien reist nach Basel. Diese den Kunstmarkt treibende Gruppe der Reichen fehlte spürbar bereits beim Zürich Art Weekend letzte Woche und jetzt auch auf der Art Basel. Die 52. Ausgabe der Messe läuft nach einer Pandemie bedingten Zwangspause 2020 noch bis Sonntagabend.

Der übliche Ansturm von Sammlerinnen und Sammlern aus der ersten von drei VIP-Gruppen blieb erwartungsgemäß aus. Zu komplex sind Reiseauflagen. Und in drei Monaten können Amerikaner schon wieder über die Art Basel Miami Beach flanieren. In gut fünf Monaten soll die Art Basel Hongkong wieder stattfinden. In Zeiten einer Pandemie könnte die Stamm-Messe in Basel Opfer ihres globalen Erfolgs werden.

Die angesehendste Messe für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts eröffnet traditionell mit der „Art Unlimited“. Eine Extra-Halle ist ausschließlich sperrigen Kunstwerke vorbehalten, deren Größe eine Präsentation am Strand der Galerie nicht erlauben.

Die Art Unlimited ist stets auch ein Barometer für den aktuellen Kunstmarkt. Welches Bild zeichnet sie 2021? Klassiker vermitteln in Zeiten der Unsicherheit eher kunsthistorischen und ökonomischen Bestand als experimentelle ganz junge Kunst. Und die Malerei ist nach wie vor beliebt – hier vor allem die figurative im XXL-Format.

Die Muttergesellschaft der Art Basel, die MCH, will in unsicherer Zeit Sicherheit geben. Sie rechnet sogar damit, dass erfolglose Galerien ihre Standmiete nicht begleichen könnten. Deshalb hat sie einen 1,5 Millionen Franken schweren „Solidarity Fund“ aufgelegt.

Aussteller müssen nicht selbst anreisen

In Gespräch mit dem Handelsblatt erläutert Marc Spiegler, Direktor der Art Basel: „Die Rückerstattung [gezahlter Miete, d.R.] steht allen Ausstellern zu. Sie entscheiden selbst, ob sie sie in Anspruch nehmen wollen. Wenn alle Galerien den Fonds in Anspruch nehmen, ergibt das einen Discount von zehn Prozent. Wenn es nur die Hälfte tut, bedeutet das 27,5 Prozent. Wir haben jetzt schon Galerien, die ihn nicht in Anspruch nehmen.“

Viele Kunstwerke in der Sektion "Art Unlimited" der Art Basel verzichten auf tiefgründigen Inhalt. Foto: Stefan Pangritz

Urs Fischer "BREAD HOUSE", im Hintergrund ein Bild von David Hockney

Viele Kunstwerke in der Sektion "Art Unlimited" der Art Basel verzichten auf tiefgründigen Inhalt. Foto: Stefan Pangritz

Die Kollegialität unter den Galerien funktioniert also. Das legt im Rückschluss nahe, dass die Gesamteinnahmen aus den Standgebühren sich auf 15 Millionen Franken belaufen. Maximal kann eine Galerie einmalig 100 Prozent ihrer Standgebühren erstattet bekommen.

Einen weiteren Service hat Marc Spiegler jenen Galeristen angeboten, die selbst nicht anreisen, aber Werke schicken. Sie stellen in einer „Satellite Booth“ aus, in die die Messe qualifiziertes Personal schickt. Fünf Aussteller haben das angenommen. „Die Galerien zahlen eine Gebühr, die das Personal beinhaltet.“ Wie groß ist dieser Posten im Budget? „Zu vernachlässigen.“

Den Trend zu „sicheren“ Klassikern aus den 1970er-Jahren bedienen auf der „Art Unlimited“ einige Aussteller. Die Pace Gallery schickt ein surrealistisches Gemälde über die Menschheitsgeschichte von Roberto Matta ins Rennen, die Konrad Fischer Galerie die Bodenarbeit „Mastaba“ des Minimalisten Carl Andre. Dan Flavins pinke Barriere aus Neonleuchten konnte David Zwirner für 3 Millionen Dollar bereits verkaufen.

Unter den mehrere Wände füllenden figurativen Gemälden fällt die Galerie Valois auf mit einem gemalten „ABC“ aus Neonwerbung der 1940er-Jahr von Robert Cottingham. Langweilig? Vielleicht. What you see is what you get, sagen Insider dazu. Auch bei Urs Fischers von der Galerie Jeffrey Deitch präsentiertem „Bread House“ liegt die Botschaft vom märchenhaften Knusperhäuschen auf der Hand. Die Hütte aus echtem Brot soll übrigens 3 Millionen Dollar kosten.

Kinderbuchhafte Kunst aus dem Lockdown

Gänzlich ins Kinderbuchhafte gleiten die elf Meter Breitwandformat von Josh Smith ab, den David Zwirner repräsentiert. Im Lockdown malte Smith New Yorker Townhouses aus dem 19. Jahrhundert, als stünden sie in einer menschenleeren Kleinstadt ohne ein einziges Hochhaus.

Die Welt ist ziemlich aus den Fugen. Doch das thematisiert kaum ein Kunstwerk der Art Unlimited. Rühmliche Ausnahme Carrie Mae Weems‘ malerische Reflexion der ewig gleichen Opfer der US-Polizei - junge Schwarze mit Kapuzenpulli. Weems wird von Jack Shainman und in Deutschland von Barbara Thumm vertreten.

Die Lage ist angespannt im Kunstmarkt. Allen Galerien brach Geschäft weg im Lockdown. Zu erkennen ist das auch daran, dass auffällig viele kleine - und damit preiswerte - Kunstwerke im Angebot sind. Sogar die Groß-Galerie Hauser & Wirth hat ein ganzes Regal hinten der Kleinskulptur von John Chamberlain und Alina Szapocznikowa vorbehalten.

Mit der Serie "Stau" folgt die Galerie Sprüth Magers dem Trend zur gegenständlichen Malerei im XXL-Format. Foto: Stefan Pangritz

Andreas Schulze "Traffic Jam"

Mit der Serie "Stau" folgt die Galerie Sprüth Magers dem Trend zur gegenständlichen Malerei im XXL-Format. Foto: Stefan Pangritz

So wenig Gedränge für das VIP-Publikum bei der „First Choice“ gab es schon lange nicht mehr. Selbst bei der Großgalerie Gagosian stauten sich Stars, Sternchen und deren Bodyguards diesmal nicht. Die größere Konzentration beflügelte das entspannte Gespräch mit den Sammlern.

Die Galerien Hauser & Wirth und Lehmann Maupin, Ropac und White Cube melden gute Verkäufe am ersten Tag. Am Stand von Mehdi Chouakri waren das großformatige Gemälde von John Armleder, eine dynamisch kämpferische Abstraktion von Martin Disler und eine romantische Landschaft von Salvo bei der „First Choice“ schon verkauft.

Messe reicht ökonomisch nicht an frühere heran

Auch Ulrich Gebauer von der Galerie Carlier Gebauer zeigt sich zufrieden mit dem Start. Und schränkt ein: „Wir wissen alle, dass diese Messe ökonomisch nicht an frühere heranreichen wird.“ Jan Winkelmann von der Wentrup Galerie, die mit sandwich-artigen Bildern von David Renggli erfolgreich war, sagt: „Uns haben viele Sammler aus Europa gesagt, dass die Covid-Protokolle sie abhalten, nach Basel zu reisen.“ Das heißt aber nicht, dass sie nicht Kunst kaufen. „Im Vorfeld haben schon viele Sammler gekauft, die wussten, dass sie nicht würden kommen können“, berichtet Messe-Direktor Spiegler.

Am Stand der Pace Gallery prangt eine Gartenkugel in einer Kopie nach einen berühmten Bild von Veronese. Foto: Stefan Pangritz

Jeff Koons "GAZING BALL (Veronese, The Wedding at Canaa)"

Am Stand der Pace Gallery prangt eine Gartenkugel in einer Kopie nach einen berühmten Bild von Veronese. Foto: Stefan Pangritz

So wird der Jahrgang 2021 der Art Basel vor allem als ein „Trotzdem“ in Erinnerung bleiben. Wenn die Sammler mit den tiefen Taschen aus Übersee fernbleiben, sorgen halt Europäer für Umsatz. Marc Spiegler hat die Art Basel bislang als globales Unternehmen geführt. Jetzt bleibt ihm nichts anderes übrig, als einzugestehen: „Die Art Basel war immer eine europäische Messe. Mehr als auf anderen Kontinenten, sammelt in Europa nicht nur die Spitze der Gesellschaft, sondern auch Anwälte und Ärzte.“ Das ist freilich eine Zielgruppe, die weniger am unteren als am oberen Rhein, bei der Art Cologne, seit Jahrzehnten umworben ist.

Art Basel
Messeplatz, Basel
Halle 1, Halle 2.0 und 2.1.
Bis 26. September 2021
23.9: Letzter Preview-Tag für VIP
24.9.-26.9.: Publikumstage 11 bis 19 Uhr

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