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02.03.2023

16:14

Auktionen in London

Preisanstieg in Minuten – Spekulation mit jüngster Kunst

Von: Stephanie Dieckvoss

Klassiker der Moderne laufen gut. Aber um junge Malerei entbrennen Bietergefechte. Schauplatz sind die Auktionen in der Brexit-geplagten britischen Hauptstadt.

Jung, weiblich mit einem Hinguckermotiv – das zieht. Am Ende kostete das Bild 693.000 Pfund. Christie's Images Ltd. 2023

Caroline Walker

Jung, weiblich mit einem Hinguckermotiv – das zieht. Am Ende kostete das Bild 693.000 Pfund.

London Wassily Kandinskys Meisterwerk „Murnau mit Kirche II“ von 1910 avancierte zum erwarteten Star-Los der Frühjahrsauktionen in London. Es wurde in der Abendauktion für Moderne und zeitgenössische Kunst bei Sotheby’s für einen Rekordpreis für den Blaue-Reiter-Künstler an einen Kunden des Auktionators Oliver Barker verkauft.

Der Erlös in Höhe von 37,2 Millionen Pfund geht nun an die 13 Erben der ehemals Berliner Sammlung des Ehepaars Johanna Margarete und Siegbert Samuel Stern, denen das Bild erst kürzlich restituiert wurde. Zuvor hatte das Gemälde 70 Jahre lang im Van Abbemuseum in Eindhoven gehangen. Frühwerke von Kandinsky, bevor er sich der Abstraktion zuwendet, kommen selten auf den Markt.

Restituiert war ebenfalls eines der Bilder aus dem sogenannten Reinhardt-Fries von Edvard Munch. Geschaffen hatte es der Künstler für Max Reinhardts Kammerspiele 1906–1907 in Berlin. Während der Großteil des 14-teiligen Zyklus in der Neuen Nationalgalerie in Berlin hängt, befand sich die vier Meter lange Leinwand lange in der Sammlung des Norwegers Thomas Olsen und dessen Erben.

Nachdem der Restitutionsanspruch geklärt war, konnte das Gemälde nun in Absprache mit den Erben des Vorbesitzers Dr. Kurt Glaser verkauft werden. Bei einer Schätzung von zwölf bis 18 Millionen Pfund zog es mehrere Angebote auf sich und verkaufte sich für knapp 17 Millionen Pfund. Unterboten wurde der Käufer der Strandszene von einem asiatischen Kunden.

Beide Häuser profitierten vom asiatischen Interesse an Pablo Picasso. Das Porträt seiner Tochter Maya als Kind (1938), auf zwölf bis 18 Millionen Pfund geschätzt, verkaufte sich am oberen Ende der Taxe für 18,1 Millionen Pfund. Bei Christie’s brachte das 1956 entstandene Porträt von Jacqueline „Femme dans un rocking-chair“ 16,9 Millionen Pfund. Das lag im mittleren Bereich der Schätzung.

Auch Gerhard Richter war vertreten, wobei Sotheby’s das wichtigste Werk im Angebot hatte. „Abstraktes Bild“ von 1986, eines der wenigen Großformate aus den 1980er-Jahren, die sich noch in privatem Besitz befinden, ging an einen Kunden von Jen Hua, Vizechefin von Sotheby’s Asien. Das Haus erwartete mindestens 20 Millionen Pfund für die 2,6 x 4 Meter große Doppelleinwand. Das Resultat lag bei 24,2 Millionen Pfund. 2007 war das Bild für knapp zehn Millionen Dollar in New York versteigert worden. Asiatische Gebote waren in der gesamten Auktion durchweg stark. Die Telefonbieter lieferten sich des Öfteren lang andauernde Bietergefechte.

„Murnau mit Kirche II“ von 1910 avancierte zum Starlos der Frühjahrsauktionen in London. Der Erlös in Höhe von 37,2 Millionen Pfund geht nun an die 13 Erben von Johanna Margarete und Siegbert Samuel Stern, denen das Bild kürzlich restituiert wurde. Sotheby's

Helena Newman versteigert ein Gemälde von Wassily Kandinsky

„Murnau mit Kirche II“ von 1910 avancierte zum Starlos der Frühjahrsauktionen in London. Der Erlös in Höhe von 37,2 Millionen Pfund geht nun an die 13 Erben von Johanna Margarete und Siegbert Samuel Stern, denen das Bild kürzlich restituiert wurde.

Hatte vor allem Sotheby’s einzelne Schwergewichte der Moderne im Angebot, konnte Christie’s mit Arbeiten aus verschiedenen Privatsammlungen aufwarten. Zum einen kamen Werke deutscher Expressionisten aus der Sammlung der Amerikaner Jerome und Elizabeth Levy zum Aufruf, die diese vor allem in den 1990er-Jahren auf dem Kunstmarkt und in Auktionen zusammengetragen hatten.

In der Abendauktion kamen fünf Arbeiten zum Aufruf, von denen sich aber zwei nicht verkauften. Ein Aktporträt von Ernst Ludwig Kirchner von 1914 (Taxe 2,4 bis vier Millionen Pfund) blieb ebenso unverkauft wie das „Nachtstillleben mit Sonnenblumen“ von Max Beckmann von 1943, für das 650.000 bis eine Million Pfund erwartet wurden. Abteilungsleiter Keith Gill gibt sich jedoch optimistisch, dass sich zumindest der Kirchner im Nachverkauf recht schnell unterbringen wird.

Otto Müllers „Sitzende im Grünen“ von circa 1927 verkaufte sich hingegen am oberen Ende der Schätzung für eine Million Pfund. Weitere zwölf Lose der Sammlung kommen in der Tagesauktion am 3. März zum Aufruf.

Erfolg hatte Sotheby’s mit zwei Arbeiten von Georg Baselitz aus der Hess Art Collection. Die monumentale Holzskulptur „Frau Paganismus“ von 1994 spielte 4,6 Millionen Pfund ein (Taxe vier bis sechs Millionen). Das Gemälde „Elke I“ von 1975 landete mit drei Millionen Pfund in der Mitte der Schätzung.

In der eigenständigen Surrealismus-Auktion am gleichen Abend kamen 25 Werke aus einer amerikanischen Sammlung zum Aufruf, deren Sammler der Nachrichtendienst Artnet als Gary und Kathie Heidenreich identifizierte. Sie sammelten mithilfe der Galeristin Wendi Norris vor allem südamerikanische Surrealisten, darunter Arbeiten von Künstlerinnen wie Leonora Carrington oder Remedios Varo. Sie sind zurzeit sehr gefragt. Varo hat gerade eine Retrospektive in Buenos Aires, die nach Chicago weiterzieht.

Bewährte Namen sind zwar nach wie vor gefragt. Im Fokus des Interesses stehen jedoch jüngere Künstlerinnen und Künstler. Christie's Images Ltd. 2023

Christie's versteigert ein Gemälde von Cecily Brown

Bewährte Namen sind zwar nach wie vor gefragt. Im Fokus des Interesses stehen jedoch jüngere Künstlerinnen und Künstler.

Die Sammlung Heidenreich spielte insgesamt 31,5 Millionen Pfund ein. Ein Bild der Wieners Wolfgang Paalen, der sich im Zirkel um André Breton bewegte, stellte einen Künstlerweltrekord auf. „Taches solaires“, geschätzt auf 350.000 bis 550.000 Pfund, brachte 756.000 Pfund.

Christie’s Abendauktion spielte bei 64 Losen und einer Vorabschätzung von 100 bis 148 Millionen Pfund im mittleren Bereich 129 Millionen Pfund ein. Die Verkaufsrate von 87 Prozent ist respektabel. Die recht umfangreiche Abendauktion demonstrierte, dass sich durchaus auch Arbeiten im mittleren Segment zurzeit gut verkaufen lassen.

Auktion bei Christie's: Unter dem Hammer – Die Sammlung des Nonkonformisten Adam Lindemann

Auktion bei Christie's

Unter dem Hammer – Die Sammlung des Nonkonformisten Adam Lindemann

Christie’s versteigert am 9. März 40 Spitzenwerke aus der Sammlung des umtriebigen Investors Adam Lindemann. Erwartet werden 22 Millionen Dollar.

London spricht weiterhin Kunden aus der ganzen Welt an, wobei erstaunliche 60 Prozent der Bieter aus der EMEA-Region, also aus Europa, dem mittleren Osten und Afrika stammten. Man sollte insgesamt das Interesse europäischer Sammler und deren Kaufkraft nicht unterschätzen. Das Interesse am Surrealismus, vor allem an den Arbeiten von Frauen und aus Ländern außerhalb Frankreichs, wächst weiterhin. Die erzielten 39 Millionen Pfund für 32 der angebotenen 34 Lose bestätigen es.

Bewährte Namen wie Pablo Picasso oder Andy Warhol halten sich zwar, weiterhin gestützt von asiatischem Interesse; aber die Spekulation im Markt liegt wie im letzten Jahr schon bei der ganz neuen Kunst. Dort werden Rekorde für Arbeiten aufgestellt, die teilweise nur ein bis drei Jahre alt sind. Preise werden in Minuten in die Höhe getrieben, und neue Namen tauchen auf, die man nächstes Jahr wohl schon wieder vergessen kann.

In diesem Jahr sind es die Künstlerinnen Michaela Yearwood Dan, Cristina Banban und Caroline Walker, die bei Christie’s die Schätzungen bei Weitem überstiegen. Keith Gill diskutierte das Ergebnis von Christie’s mit dem Handelsblatt: „Die Gebote waren konsistent. Im Durchschnitt gab es für jede Arbeit vier Bieter aus insgesamt 37 Ländern und eine Verkaufsrate von 89 Prozent, wenn man beide Auktionen zusammenzählt. Dieses Resultat ist positiv und setzt ein gutes Zeichen für den Kunstmarkt in diesem Jahr.“

Sotheby’s Auktion lieferte die Schwergewichte. Die hohen Resultate der Einzelwerke – fünf Arbeiten verkauften sich für über 15 Millionen Pfund – führten zu einem Gesamtergebnis von 173 Millionen Pfund bei einer Vorabschätzung von 140 bis 188 Millionen Pfund.

Die Verkaufsrate bei der Abendauktion lag bei 83 Prozent (159 Millionen Pfund insgesamt). Die aus 20 Losen zusammengesetzte „Now“ Auktion ließ sich zu 100 Prozent absetzen. Hier wurden insgesamt 13,7 Millionen Pfund erlöst. Rekorde erzielten unter anderem Künstlerinnen wie Miriam Cahn, Raghav Babbar, Jana Euler oder Michael Armitage. Sie überstiegen die Schätzungen um das Drei- oder auch Fünffache.

Die Spekulation um die Jungen ist weiter intensiv. Das heißt aber nicht, dass in diesen unsicheren Zeit nicht auch die Kunst des 20. Jahrhunderts weiterhin attraktiv ist. Der Markt ist insgesamt weiterhin sehr konkurrenzfähig und der Appetit an Kunst scheint vorerst nicht abzunehmen.

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