Vor 20 Jahren starb Michel Majerus bei einem Flugzeugabsturz. 13 Museen fragen, was von seinem pluralistischen Gesamtwerk die Zeit überdauert hat und ob es uns noch etwas zu sagen hat.
Michel Majerus „Weißes Bild“ (1994)
Die Ausstellung im KW Institute zeigt, wie breit der Fundus ist, aus dem der junge Künstler schöpft. Da gibt es einen Rückgriff auf François Bouchers Bildnis der Madame Pompadour in der Alten Pinakothek München, Rasterbilder à la Polke, ein abstrakter Rückgriff auf den späten Kandinsky, Elemente aus Videospielen und Ikonen der Warenwelt wie Meister Proper.
Bild: Frank Sperling; KW Institute; Michel Majerus Estate 2022
Berlin Der 20. Todestag von Michel Majerus lenkt den Blick zurück auf ein pluralistisch wucherndes Gesamtwerk. Der luxemburgische Maler und Installationskünstler, der 2002 bei einem Flugzeugabsturz starb, hatte sich gerade erst einen Namen gemacht mit seinen Beiträgen zur Manifesta in Luxemburg, zur Biennale Venedig und einer spektakulären Rampe im Kölnischen Kunstverein. Jetzt erinnern 13 deutsche Museen, die Werke von Majerus besitzen, an den Künstler.
Der Hamburger Kunstverein widmet ihm eine Ausstellung, in der Berliner Galerie Neugerriemschneider, die den Nachlass betreut, wurde die erste Galerieschau von 1994 rekonstruiert und der Nachlass zeigt im ehemaligen Atelier des Künstlers eine Installation, die Majerus mit Werken seiner beiden Lehrer K.R.H. Sonderborg und Joseph Kosuth in Beziehung setzt.
Schon damals – der Maler hatte erst zwei Jahre zuvor die Stuttgarter Kunstakademie verlassen und war nach Berlin gezogen – zeigt sich der Drang zur raumgreifenden Installation. Hier treffen sich eine knallbunte Wandmalerei im Stil der Pop Art mit abstrakten Bildern, die auf der einen Seite konstruktivistisch anmuten, auf der anderen Seite dem gestischen Malstil von K.R.H. Sonderborg verpflichtet sind. Sein zweiter Lehrer in Stuttgart war der amerikanische Konzeptkünstler Joseph Kosuth, dessen Werke auf Sprache und Wort basieren und alles Malerische ausblenden.
Das Werk von Majerus nimmt Anregungen beider Lehrer auf, gräbt sich zugleich in die jüngere Kunstgeschichte ein. Andy Warhol ist der große Anreger, dessen serielle Technik in vielen Siebdruck-Bildern übernommen wird. Sie hängen in der dicht bestückten Ausstellung im Berliner KW Institute, das sich dem Frühwerk widmet.
Im KW Institute zeigt sich auch, wie breit der Fundus ist, aus dem der junge Künstler schöpft. Da gibt es einen Rückgriff auf François Bouchers Bildnis der Madame Pompadour in der Alten Pinakothek München, Rasterbilder à la Polke, ein abstrakter Rückgriff auf den späten Kandinsky, Elemente aus Videospielen und Ikonen der Warenwelt wie Meister Propper.
Michel Majerus „Robot“
Das hochformatige Siebdruckbild aus dem Jahr 1990 ist eine Leihgabe der Sammlung Andreas Gegner. Sie wird im KW Institute in Berlin ausgestellt.
Bild: Wolfgang Pulfer; Michel Majerus Estate 2022
Hier stellt sich die Frage, ob diese Ausbeutung von kunsthistorischen Vorbildern, Zeitströmungen oder Konsumprogrammen eine kritische Auseinandersetzung, ein Ausdruck von Vielseitigkeit oder nur ein Vortasten ist. Von allem etwas ist es wohl, auch die Satire fehlt nicht. Ein Rasterbild mit dem Titel „Antibakteriell“ zeigt eine proktologische Untersuchung. Ein Bild mit dem Titel „Mattscheibe“ zeigt die Großbuchstaben „Cool Wool“ auf weißem Grund und spielt damit auf die Schriftbilder des Amerikaners Christopher Wool an.
Worte als visuelles Material prägen frühe und spätere Werke, in denen mehrfach der Hinweis „burned out“ erscheint. Die Mischung und Überlagerung der Bildprogramme sind ein Markenzeichen von Majerus, der seine Arbeiten als „Massnahmen gegen die Konvention“ begreift, wie der Titel einer Bildergruppe heißt, die das Essener Museum Folkwang 2020 erworben hat.
Die Kunstgeschichte zeigt, dass etwa alle 20 Jahre eine neue Sicht auf die zeitgenössische Kunst erfolgt. Hier wird gesiebt und geprüft, was die Zeiten überdauert, ob ein Werk uns noch etwas zu sagen hat oder ob es nur ein Zeitgeist-Produkt war.
Die LBBW zeigt in Stuttgart, was sie in 50 Jahren gesammelt hat – ohne Denkverbote und mit einem Auge für Kunst, die gesellschaftliche und politische Bruchstellen aufdeckt.
Die Sicht auf das Gesamtwerk von Majerus, das der Nachlass in aller Behutsamkeit mit der Stammgalerie Neugerriemschneider und der New Yorker Galerie Matthew Marks pflegt, ist jetzt wieder erstaunlich frisch. Das lässt sich auf die Dauerwirkung der Pop Art beziehen, an die Majerus anknüpft. Ein erheblicher Teil seines Werks ist der seriellen Methode von Andy Warhol verbunden. Seine jüngsten Erfolge sind aber auch Auswirkung des Stilpluralismus, den der Maler darüber hinaus stets gepflegt hat.
Ein Foto zeigt den Künstler vor einer Gruppe von Bildern, die 1999 entstanden sind und der Höhepunkt seiner eigenen seriellen Methode sind: eine Hommage an die Gemeinschaftswerke von Andy Warhol und Jean Michel Basquiat. Nicht weniger als fünf dieser Siebdruck-Bilder erschienen in den Jahren 2013 bis 2022 vor allem in den Londoner Auktionen von Christie’s und Sotheby’s, wo sie 104.500 bis 236.750 Pfund erzielten. Was diese Werke voneinander unterscheidet, sind jeweils andersfarbige Markierungen am rechten Rand: ein ökonomischer Pop Art-Remix.
Was den Blick auf Majerus lenkt, ist auch seine in den letzten fünf Jahren kontinuierlich gestiegene Marktpräsenz, in der Auktionspreise von über 100.000 Euro keine Seltenheit sind. In den letzten zwei Jahren gab es dann noch einmal eine Steigerung, als ein 2,20 Meter großes Abbild des Milky Way-Logos bei Christie’s 403.200 Pfund erlöste und ein abstraktes, mit dem Motto „nothing is permanent“ ergänztes Bild in einer kuratierten Auktion bei Sotheby’s 600.800 Dollar erzielte.
Auf das Gesamtwerk von Michel Majerus lässt sich dieser Spruch wohl kaum beziehen. Es bleibt der Kunstwelt erhalten.
Die Ausstellung in der Galerie Neugerriemschneider läuft bis 14. Januar, im KW Institute for Modern Art bis 15. Januar, im Michel Majerus Estate bis 18. März und im Kunstverein Hamburg bis 12. Februar.
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