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15.04.2022

12:43

Ausstellung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Im Widerstand: Die brasilianische Künstlerin Lygia Pape

Von: Regine Müller

Die brasilianische Künstlerin Lygia Pape hat zwei Diktaturen erlebt. Jetzt ist ihr Werk in Düsseldorf zu entdecken.

Die Fotoarbeit „Manto Tupinambá“ (1996/99) bezieht sich auf das fast ausgestorbene Volk der Tupinambá, das sich mit exquisiten roten Mänteln aus Federn des Scharlachibis schmückte. Projeto Lygia Pape

Lygia Pape

Die Fotoarbeit „Manto Tupinambá“ (1996/99) bezieht sich auf das fast ausgestorbene Volk der Tupinambá, das sich mit exquisiten roten Mänteln aus Federn des Scharlachibis schmückte.

Düsseldorf Ob Kunst jemals unpolitisch sein kann oder sich mit jeder Form ihrer Entäußerung immer schon politisch verhält, wird dieser Tage wieder heftig diskutiert. Die Düsseldorfer Kunstsammlung K20 zeigt bis 17. Juli in einer konzentrierten Ausstellung eine Werkschau der hierzulande wenig bekannten brasilianischen Künstlerin Lygia Pape (1927–2004).

Pape hat Rio de Janeiro nie verlassen und auf die politischen Verhältnisse sehr unterschiedliche künstlerische Antworten gesucht und gefunden. Hierzulande ist es ihre erste Einzelausstellung. Sie spannt einen Bogen über fast 50 Jahre ihres Schaffens und beschreibt den faszinierenden Weg von der Abstraktion über Aktionskunst und Performance wieder zurück zur Abstraktion.

Dabei verweist der Titel der Schau „The Skin of ALL“ (Die Haut von Allem(n)) auf eine mit Super-8-Film dokumentierte Performance in einer Favela. Zugleich bezieht er sich auf eine Grundeinsicht der studierten Philosophin Papes, die die Haut als Metapher und alles verbindende Membran begreift.

Die chronologisch geordnete Ausstellung beginnt mit frühen abstrakt-geometrischen Arbeiten aus der Zeit von 1954 bis 1956. Sie sind spürbar von der europäischen Avantgarde, aber auch von der brasilianischen Aufbruchsstimmung inspiriert, die von Figuren wie dem Architekten Oscar Niemeyer geprägt war.

Neben einem ihrer raren Ölgemälde und Relief-Arbeiten, die an die niederländische De-Stijl-Bewegung erinnern, faszinieren aus dieser Zeit besonders die „Tecelares“ (Webungen) genannten Holzschnitte auf zart transparentem Reispapier. Die strengen Formen durchbricht Pape bewusst mit den erkennbaren, feinen Maserungen des Holzes.

Die studierte Philosophin begreift die Haut als Metapher und als alles verbindende Membran. Projeto Lygia Pape

Lygia Pape im Atelier

Die studierte Philosophin begreift die Haut als Metapher und als alles verbindende Membran.

Aus der gleichen Zeit stammen auch die „Desenhos“, präzise mit Tinte gezeichnete Linien auf Japan-Papier, die wie Notenpapiere für nie komponierte Musik wirken.

Bereits 1958 nähert sich Pape der Performance und inszeniert zwei Ballette für das Teatro Copacabana Palace; beides Choreografien, die geometrische Körper auf geheimnisvolle Weise umeinanderdrehen und verschieben. Sie wurden in Portugal für eine Video-Dokumentation reinszeniert.

Kritik am traditionellen Museumskonzept

Ab Mitte der 1970er-Jahre, als in Brasilien die zweite Diktatur (1964 –1985) ihres Lebens andauert, ist die Zeit der Abstraktionen mit widerständigen Abweichungen einstweilen Geschichte für Pape. Sie präsentiert nun mumifizierte Kakerlaken in einer Box als Kritik am Konzept des herkömmlichen Museums. 1967 schleppt sie eine riesige weiße Leinwand mit gleichmäßigen Schlitzen in eine Favela, um sie spielenden Kindern zu überlassen.

Ein Super-8-Film dokumentiert, wie die Kinder intuitiv die Leinwand organisieren, durch die Schlitze schlüpfen und sozusagen einen kollektiven Kunst-Körper bilden. Den konnte man damals auch als Metapher des politisierten Protests gegen die Diktatur auf den Straßen Brasiliens lesen.

Spielende Kinder verwandeln eine riesige weiße Leinwand in eine lebende Skulptur. Die Aktion fand 1967 in einer Favela Rio de Janeiros statt. Projeto Lygia Pape

Lygia Pape „Divisor“

Spielende Kinder verwandeln eine riesige weiße Leinwand in eine lebende Skulptur. Die Aktion fand 1967 in einer Favela Rio de Janeiros statt.

Auch ihre eigene, im Film dokumentierte Performance „O Ovo“, bei der sie sich selbst aus einem eckigen Plastik-Ei am Strand von Rio herausarbeitet, darf als Befreiungsversuch gedeutet werden.

Es folgen eine Reihe von Filmen, die teils improvisiert wirken. Pape besucht die Favelas, filmt den Karneval in Rio, dreht einen skurrilen Vampir-Film und kritisiert in „Fossilis“ die Vermarktung und Zerstörung der indigenen Kultur. In „A mao do povo“ von 1975 prangert sie den Identitätsverlust der marginalisierten Kulturen Brasiliens an.

Im hinteren Teil der Ausstellung scheinen die Videoarbeiten etwas überrepräsentiert. Lieber hätte man mehr aus der großen Werkserie „Manto Tupinambá“ gesehen, von der hier nur eine Fotografie gezeigt wird. Im vergangenen Sommer war bei Hauser & Wirth in Los Angeles eine Auswahl dieser Arbeiten ausgestellt.

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Der geheimnisvolle rote Nebel auf der in Düsseldorf zu sehenden Fotoarbeit verweist auf das fast ausgestorbene Volk der Tupinambá, das sich mit exquisiten roten Mänteln aus Federn des Scharlachibis schmückte.

Dafür aber bildet eine der letzten großen Arbeiten der Künstlerin das fulminante Finale der Schau: „Tteia 1 C“ von 2001 ist eine gigantische abstrakte Installation aus unzähligen Strängen von Silberfäden in einem dunklen Raum. Wie ein feines Gespinst von Saiten oder schwerelosen Spinnfäden brechen sie das Licht und entfalten eine erhabene, ja sakrale Wirkung.

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