Das Kunstmuseum Bonn entführt sein Publikum auf eine Reise durch die abenteuerliche Welt der computergestützten Fotografie.
Jon Rafman „Gamer Girl“
Die aus Datenmüll und mit Hilfe von iPhone-Gesichtserkennungs-Apps deformierten Charaktere spielt der kanadische Künstler auf seinem Instagram-Kanal aus.
Bild: Jon Rafman
Bonn Wer weiß schon so genau, was darunter zu verstehen ist, wenn Tamas Waliczky am Computer „gerenderte“ 3D-Grafikdrucke und Animationen von imaginären Foto- und Filmkameras zeigt? Auf den ersten Blick und ohne dieses vom Katalog vermittelte Wissen sieht es nur so aus, als hätte der ungarische Künstler die Nachbauten anachronistischer Fotoapparaturen für Werbezwecke aufgenommen: ganz klassisch in Schwarzweiß, schön groß abgezogen und in Serie nebeneinander gehängt.
Aber so eine Erklärung wäre zu einfach. Hat doch das Kunstmuseum Bonn seine Ausstellung über „Aktuelle Konzepte für Fotografie“ mit der Aufforderung versehen, man möge das Unerwartbare erwarten („Expect the Unexpected“). Und so zieht man allenfalls noch in Erwägung, dass es sich bei den gezeigten Apparaten um fotografierte fantastische Konstrukte handelt.
Tatsächlich ist im Falle von Waliczkys Apparaten nie etwas gebaut worden. Es gibt sie schlichtweg nicht. Sie geben nur vor, so auszusehen wie etwa eine schwenkbare, mehräugige Panoramakamera oder die Kamera, mit der Eadweard Muybridge 1878 die Bewegungsphasen eines galoppierenden Pferdes festhielt.
Was wir sehen, ist das Ergebnis eines automatisierten Prozesses, „auch Rendering genannt“. Er generiert aus digitalen Rohdaten in 3D- und Animationsprogrammen ein fertiges Bild. Der Künstler spielt; auch mit den Erwartungen seines Publikums. Waliczky könnte sogar eine Gebrauchsanleitung für seine Schöpfungen liefern, ist zu erfahren.
Die Bonner Ausstellung macht mit einem neuen, weiten Feld künstlerischer digitaler Fotografie bekannt. Auf ihm wird viel gespielt und ausprobiert; mit Resultaten, deren künstlerische Güte von Fall zu Fall schwer einzuschätzen ist.
Spiros Hadjidjanos transformierte Reproduktionen der neusachlichen Pflanzenfotografien von Karl Blossfeldt
von li.: Polypodium Aspidiae, Adiantum Pedatum, Scabiosa Columbaria, Acanthus Mollis und Dipsacus Fullonum. Bei den Reliefs handelt es sich um 3D Alumide Prints. Sie sind eine Leihgabe aus der Sammlung Annika & Markus Kramer.
Bild: Fricke
Faszinierend und verstörend zugleich sind die aus Datenmüll und mit Hilfe von iPhone-Gesichtserkennungs-Apps deformierten Charaktere, die der kanadische Künstler Jon Rafman auf seinem Instagram-Kanal ausspielt. Etwas befremdlich auf Liebhaber der analogen Schwarzweißfotografie wirkt die Begegnung mit Karl Blossfeldts neusachlichen Pflanzenmotiven in der Gestalt 3D-gedruckter Reliefs.
Die Arbeit überspielt ihren kitschigen Charakter jedoch mit einem interessanten Hintergrund. So erklärt der griechische Künstler Spiros Hadjidjanos, nicht das Objekt stehe für ihn im Mittelpunkt, „sondern der Prozess“. Gemeint ist der Übersetzungsprozess mit Hilfe verschiedener Bildbearbeitungswerkzeuge.
Lesen Sie hier --> Fotoszene Köln – Entführung in die Vergangenheit
Blossfeldt selbst lieferte ein Vorbild für das Prinzip der Transformation: angefangen mit der Verwandlung der Pflanzenvorlage in ein Makro-Motiv über seine Verwendung der Fotos als Unterrichtsmaterialien für ornamentale Gestaltung bis hin zu ihrer Veröffentlichung in dem berühmten Buch „Urformen der Kunst“ 1928. Deren Reproduktionen lieferten mitsamt ihrer Körnung und der Textur des Papiers wiederum die Vorlage für Hadjidjanos. So gesehen war die Fotografie von Anfang an Teil eines Übertragungsprozesses, der hier zu einem zentralen Bildthema wird.
Die Prozesse der Bildwerdung sind in den meisten Fällen nicht so einfach zu durchschauen. Wer ist schon vertraut mit computergenerierten Technologien? Wer kann nachvollziehen, wie sich Künstler Störungen im digitalen System, sogenannte „Glitches“, zu Nutze machen?
Trotzdem ist der Gang durch die Ausstellung auch ohne spezialisiertes Hintergrundwissen ein Gewinn. Sie regt optisch an und macht immer wieder stutzig, etwa angesichts der seltsam möbliert wirkenden Parkanlagen von Beate Gütschow. Bis zu 150 Einzelansichten führte die Künstlerin mit Hilfe von Photogrammetrie, Algorithmus und eines 3D-Programms parallel-, also nicht zentralperspektivisch, zusammen.
Achim Mohné
Blick in die Ausstellung "ACHIM MOHNÉ The_World_seen_through_the_algorithmic_Eyes_of Google_Earth" in der Galerie Judith Andreae in Bonn-Bad Godesberg
Bild: Galerie Judith Andreae; VG Bild-Kunst, Bonn
In der Virtual Reality-Szenerie von Fabian Hesse & Mitra lassen sich die Museumsräume durchstreifen und Körper umrunden. Ausgerüstet mit einer VR-Brille taucht die Userin in diese andere Welt ein. Dort begegnet sie bekannten, jedoch ruinösen Gebäudestrukturen und deformierten Figuren, die kriegsversehrt anmuten. Banz & Bowinkel nutzen einen QR-Code, um mit Hilfe von Augmented Realtiy auf dem Smartphone ein computergeneriertes abstraktes Bild frei schwebender, farbiger Flüssigkeiten zu zaubern. Es lässt sich von allen Seiten erkunden.
Achim Mohné erzeugt aus Google-Earth-Daten ein virtuelles dreidimensionales Modell des Kunstmuseums und ein Video. Die von Google verwendete Aufnahme- und Darstellungstechnik verwandelt das bekannte Gebäude in eine von allen Seiten umkurvte und durchscheinende, vereinfachte Gitterstruktur. Google sammelt ungefragt Daten über uns? Warum sollte ich im umgekehrten Fall fragen? Mohné kehrt den Spieß um.
Anlässlich seines 15-jährigen Bestehens lotet das private Medienkunstmuseum von Julia Stoschek die Welt der Videospiele in der digitalen Kunst aus.
Parallel zeigt der Künstler in der Galerie Judith Andreae, wie mit diesem Verfahren ein wandfüllendes Tableau wird – geeignet für große Privathäuser oder Firmen. Wandarbeit, Video und das 3D-gedruckte Modell veranschlagt die Galeristin auf grob geschätzte 25.000 Euro. Einzelne 40 x 60 cm große Fotodrucke von Video-Stills sind bereits für 1000 Euro zu haben (bis 6.4.).
„Die Gegenwart ist wirklich eine besonders aufregende Zeit für die künstlerische Fotografie aufgrund der zahlreichen Möglichkeiten, die durch die Entwicklung von Technologien wie CGI (Computer-Generates Imagery), AR (Augmented Reality), VR (Virtual Reality) und GANs (Generative Adversarial Networks) geboten werden.“ So formuliert es der einleitende Text im Katalog, der von einem ChatGPT geschrieben wurde. Zum Glück. Denn an dieser Stelle wird mit relativ einfachen Worten in eine sehr komplexe Materie eingeführt, für die der normale Mensch noch gar kein Vokabular hat.
Die Interviews mit den 20 Künstlerinnen und Künstlern, die der Kurator und Künstler Michael Reisch für den Katalog führte, spielen sich auf einem anderen Niveau ab. Da unterhalten sich Fachleute, und man ist froh, den einen oder anderen Begriff wenigstens in einem Glossar nachschlagen zu können.
„Expect the Unexpected. Aktuelle Konzepte für Fotografie“, bis 30. April, Kunstmuseum Bonn, Katalog 20 Euro
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×