Viele sind vergessen, einige sind wiederzuentdecken: Das Jüdische Museum erinnert an Lebenswerke jüdischer Künstler im Paris der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg.
Leopold Gottlieb, Selbstporträt, 1907
1907 schuf der Künstler dieses beeindruckende Selbstporträt mit geschlossenen Augen.
Bild: Sammlung FR, Lyon, Esther Charrin
Berlin „École de Paris“ ist für viele ein schwammiger Begriff. Er betrifft nicht nur Künstler aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern auch noch die ersten zwei Jahrzehnte der französischen Nachkriegskunst. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin führt jetzt diesen Begriff auf seinen historischen Kern zurück. Es ist die deutsche Fassung einer 2021 im Pariser Musée d’art et d’histoire du Judaisme gezeigten Schau.
Der Kunstkritiker André Warnod hatte die Bezeichnung École de Paris 1925 in einem Artikel über die Werke ausländischer, in Paris lebender Künstler geprägt. Sie stellten im Salon des Indépendants aus und begegneten in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg großer Fremdenfeindlichkeit.
Es geht um eine Gruppe jüdischer Künstler, von denen die meisten aus osteuropäischen Ländern stammten. Sie versuchten sich in den Künstlerzirkeln des Montparnasse und im Künstlerhaus La Ruche zu etablieren. Dabei handelte es sich hier nicht um eine „Jüdische Schule“, sondern um Künstler, die – mit dem Impressionismus, Post-Impressionismus und Kubismus vertraut – in der Weltstadt der Kunst ihre eigene Position zu finden suchten.
Im faktenreichen Parcours in den Sälen des Altbaus begegnen dem Publikum ein skrupulöses Suchen und Finden, eine an Leitfiguren der Epoche orientierte Formsuche, aber auch sehr eigene, unabhängige Schöpfungen. Sie setzen in den Jahrzehnten von 1900 bis 1940 starke Akzente in der Pariser Kunstlandschaft.
Zu diesen heraldischen Protagonisten zählt der aus Belarus stammende Chaim Soutine, der mit seinen pastosen Porträts, Landschaften und Interieurs einer der zeitlos wirkenden Protagonisten der Epoche ist. Mit dem in der Ausstellung hängenden geschlachteten Rind spannt er einen Bogen zu Rembrandts „Geschlachtetem Ochsen“, den er im Louvre sah.
Rudolf Levy „Blick auf den Pont Marie“
Die 1910 gemalte Ansicht von Paris wird heute im Lehmbruck Museum in Duisburg bewahrt.
Bild: Lehmbruck Museum, Duisburg, Foto: Bernd Kirtz
Weitere Hauptfiguren sind der aus Livorno stammende Amedeo Modigliani, von dem charakteristische Werke aus dem Centre Pompidou ausgeliehen wurden, und der in Witebsk geborene Marc Chagall. Dessen hier gezeigte Werke sind eher marginal. In dem 1911 entstandenen Hauptexponat „Das Atelier“ schwebt die Einrichtung wie in einem Drogenrausch.
Die Russin Sonia Delaunay ist hier als Poetin der Abstraktion präsent. Aber fast noch interessanter ist eine große „Abstrakte Komposition“ (1910) des Ukrainers Vladimir Baranoff-Rossiné, der mehr der russischen Avantgarde als dem französischen Idiom verbunden war. Er nahm aber ab 1925 regelmäßig an den Ausstellungen des Pariser Salons teil, bis er 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde.
Das Kölner Museum Ludwig hat Teile seiner Sammlung Russischer Avantgarde auf ihre Echtheit untersucht und eine fulminante Ausstellung dazu gemacht. Sie stellt dem Kunstmarkt ein miserables Zeugnis aus.
Während Maler wie Louis Marcoussis und Henry Haden einem überladenen, mehr monumentalen als subtilen Kubismus huldigen, etabliert sich der Bulgare Jules Pascin als gefragter Personenmaler der zwanziger Jahre. Er reüssiert auch in der deutschen Galerie Flechtheim. Ein Porträt des jüdischen Kunsthändlers im Torero-Kostüm aus dem Centre Pompidou hängt in der Abteilung „Bildnisse einer Gemeinschaft“.
In dieser Sektion ist auch der Krakauer Moise Kisling mit dem schon an Edelkitsch grenzenden Bildnis „Frau mit polnischen Schal“ vertreten. Kisling war Ateliernachbar von Modigliani, den er 1916 malte und dessen unvollendete Werke er nach dem frühen Tod des Kollegen (1920) er vollendet haben soll. Die Phalanx zweitrangiger Künstler ist in dieser Ausstellung nicht gering. Aber es gibt immer wieder Lichtblicke.
Chana Orloff „Sauterelle“
Diese bizarre Bronze einer Grille der aus der Ukraine stammenden Künstlerin zählt zu den Wiederentdeckungen in dieser Gruppenschau.
Bild: FR, Paris, Atelier Chana Orloff; VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Sie betreffen die Skulpturen des Letten Jacques Lipchitz, der in dem amerikanischen Sammler Albert C. Barnes seinen großen Förderer gefunden hat. Am Ende der Ausstellung steht die Gipsstudie zu seiner 1936 entstandenen lebensgroßen Skulptur „Prometheus streckt den Geier nieder“. Sie ist ein Beispiel für die traditionalistische Rückkehr zu klassischen Motiven in einem vagen postklassizistischen Stil.
Weltgeltung haben die Arbeiten des Russen Ossip Zadkine, dessen überlebensgroße Holzfigur „Der Prophet“ von 1914 an die romanische Plastik anknüpft. Die glatt polierten Porträtbüsten der Ukrainerin Chana Orloff sind eine echte Wiederentdeckung in dieser Gruppenschau. Orloff war mit Modigliani befreundet und wurde in den zwanziger Jahren zur Porträtistin der Pariser Gesellschaft.
Eine kollektive malerische Elite haben die Arbeiten der École de Paris nicht hervorgebracht. Es sind weniger gleichrangige Künstler in ihr vertreten als in den zeitgleichen Strömungen der Dresdner Brücke, des Blauen Reiter oder der russischen Avantgarde.
Es handelt sich hier um eine Diaspora emigrierter Künstler, die dem Ruhm einer Kunstmetropole vertrauend meist in prekärer Lebenslage ihrer Bestimmung folgten. Viele sind vergessen, einige sind wiederzuentdecken. Aber im Schlagschatten der Protagonisten sind sie kraft ihrer Herkunft und als Repräsentanten einer Zeitströmung legitimer Teil der europäischen Kunstgeschichte.
„Paris Magnétique 1905-1940“, bis 1.Mai, Jüdisches Museum, Berlin. Katalog, Wienand Verlag, 28 Euro
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