Das Herzog Anton Ulrich Museum möchte gern glauben, dass Max Beckmann in Braunschweig zum Künstler wurde. Doch die Belege sind dünn. Vieles bleibt schöne Spekulation.
Max Beckmann
Das Selbstporträt entstand 1899 gegen Ende der fünf Jahre, die der junge Künstler mit seinen Eltern in Braunschweig verlebte.
Bild: Sprengel Museum, Hannover
Braunschweig Max Beckmann zählt zu den prägenden Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine Attraktivität für Sammler ist ungebrochen. Das bestätigen in diesem Herbst etliche Einlieferungen in deutschen Auktionshäusern. Im Hochpreissegment gibt es allerdings nur noch eine Handvoll Sammler, die achtstellige Kaufpreise bewilligen wollen und können. Nach Angaben des Berliner Auktionshauses Grisebach kam Beckmanns 1943 im Amsterdamer Exil gemaltes „Selbstbildnis gelb-rosa“ auf 20 Millionen Euro. Mit Aufgeld sind das 23,2 Millionen Euro.
Nahezu alles wurde im Vorfeld der Auktion über das Bild und den Künstler diskutiert, aber nicht, wo er geboren wurde. Weil es unwichtig ist? Das wird in Braunschweig aktuell ganz anders gesehen. Hier interessiert man sich geradezu brennend dafür und hat dieser Frage sogar eine groß inszenierte Ausstellung im Herzog Anton Ulrich Museum gewidmet. Zu sehen sind gut 100 Exponate, darunter viele Fotos und Dokumente; einige Werke sind didaktisch überzeugend als Reproduktion integriert.
Der Titel der Ausstellung beschreibt unumwunden klar die zentrale Behauptung der Schau: „Max wird Beckmann. Es begann in Braunschweig“. Und das, obwohl Beckmann 1884 in Leipzig geboren wurde. Er wird in der Ausstellung zum Braunschweiger umgetauft, weil seine Eltern aus der Region kamen, aus dem nahen Helmstedt und aus Königslutter. Sie zogen 1895 in die Residenzstadt Braunschweig und entsprechend lebte auch ihr Sohn Max in der herzoglichen Welfenstadt, allerdings nur fünf Jahre, bis 1900.
Können fünf Jahre ein Menschenleben prägen? Die Ausstellung im Herzog Anton Ulrich Museum behauptet das. Und bekommt Schützenhilfe durch Max Beckmann selber. Der sagte, er ist „in Braunschweig erzogen, woher ich auch stamme“. Dieser Halb-Satz prunkt unübersehbar groß gleich im ersten der herrschaftlich hohen Räume an der Wand. Ihm wird Beweiskraft zugeschrieben.
Der Katalog kommt weniger plakativ daher. Hier wird differenziert. Seine Quintessenz lautet ernüchternd: Es sind nur sehr wenige Braunschweig zuschreibbare Einflüsse tatsächlich nachweisbar; viel ist und bleibt schöne Spekulation, folgt der kunstvollen Selbstinszenierung des Künstlers. Dazu könnte auch das „woher ich stamme‘ gehören.
Zum Studium der Alten Meister ins Braunschweiger Museum
Auch Beckmanns Inspiration durch die Alten Meister im Herzoglichen Museum (heute Herzog Anton Ulrich-Museum) wird thematisiert.
Bild: Herzog Anton Ulrich Museum, Braunschweig
Gleichwohl definiert die Ausstellung exakt den Tag, an dem aus Max, dem jugendlichen Jungen, der Künstler Beckmann wurde. Es ist der 23. April 1900, 12 Uhr. Da zeichnet er einen Kerzenleuchter in sein Skizzenbuch, der das ganze Hochformat einnimmt. Die Flamme der tropfenden „Dresden im Hotel Garni. 12 Uhr abends“. Es war der Tag vor seiner gescheiterten Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie in Dresden. Danach begann er stattdessen in Weimar Malerei zu studieren.
Ist Beckmann also weder Leipziger, noch Braunschweiger, sondern ein Künstler aus Weimar? Die Ausstellungsthese, dass alles in Braunschweig begann, ist also zumindest gewagt. Der Stolz, im Kampf um das Erstgeburtsrecht trotz schwacher Beweislage zu siegen, unübersehbar.
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Der opulente Katalog, der viele auch belegbare Details aus dem Leben Beckmanns zu berichten weiß, soll mit Größe und Gewicht beeindrucken. Aber wozu dient ein über zwei Seiten gehendes Foto von einem See, dem Schapenbruchteich in Riddagshausen, wenn nur vermutet werden kann, dass er den wohl um 1900 gemalt haben könnte. Wozu wird einer Landschaftsskizze ein aktuelles Foto der gleichen Landschaft gegenübergestellt? Das hat nur wenig Erkenntniswert, dem viel Platz gewidmet wird.
„Ich suche aus der gegebenen Gegenwart die Brücke zum Unsichtbaren“, damit wird Beckmann zu Recht zitiert. Das sagte er 1938 zur Eröffnung einer Londoner Ausstellung. Die Kerzenzeichnung mag ein erster Schritt „zum Unsichtbaren“ sein, aber das Katalog-Argument flackert arg und bringt ebenfalls nur wenig Licht der Erkenntnis.
Max Beckmann
„Ich suche aus der gegebenen Gegenwart die Brücke zum Unsichtbaren“, sagte Beckmann 1938. Abgebildet ist die Gouache „Der Müller und seine Frau“ von 1936.
Bild: Herzog Anton Ulrich Museum, Braunschweig
Man muss lesend bis Seite 147 warten oder die letzten Räume der Ausstellung erreichen, oder gleich die Ausstellung im Erdgeschoß verlassen und in das erste Stockwerk des Museums gehen, um das stärkste Argument für Braunschweig als künstlerischen Geburtsort zu finden.
Beckmann studierte bei seinen Besuchen die herausragende Sammlung des Museums. Eintritt musste zu dieser Zeit nicht gezahlt werden. Was er dort sah, hatte Langzeitwirkung. Er lernte von Rembrandt, aber auch von Palma Vecchio, Veronese oder Rubens. Kunst kommt von Kunst, das ist es, was die Ausstellung vorführt. Und dafür lohnt sich ein Besuch immer.
Die Ausstellung „Max wird Beckmann. Es begann in Braunschweig“ läuft im Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig bis 12.2.2023. Geöffnet Di bis So von 11 bis18 Uhr. Der Katalog hat 304 Seiten und 282 Abbildungen. Er ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet im Buchhandel 45 Euro.
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