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24.05.2023

17:38

Ausstellung in Hannover

Naive Maler – Die übersehenen Impulsgeber

Von: Frank Kurzhals

Hannover und Chemnitz erzählen die Geschichte der Klassischen Moderne neu. Sie werten unakademische Künstler auf. Das überzeugt teilweise, aber nicht immer.

Eine schwarze Katze mit einem Salamander im Maul pirscht sich durch einen Dschungel gewöhnlicher Feldpflanzen. Ein Feuersalamander kann sich gerade noch retten. Das Bild aus dem Museum Ludwig in Köln entstand 1933. Rheinisches Bildarchiv Köln

Richard Seewald „Katze mit Salamander“

Eine schwarze Katze mit einem Salamander im Maul pirscht sich durch einen Dschungel gewöhnlicher Feldpflanzen. Ein Feuersalamander kann sich gerade noch retten. Das Bild aus dem Museum Ludwig in Köln entstand 1933.

Hannover Geschichte wird gemacht; von Menschen mit Interessen. Aktuell dominiert die noch immer anhaltende Restitutionsdebatte. Wie in einem Krimi wird da die Geschichte der Mechanismen von kultureller Ausbeutung und Aneignung, von gesellschaftlicher Dominanz und Ohnmacht erzählt. Mit diesem neuen Fokus auf himmelschreiende Ungerechtigkeiten werden jetzt weitere Themen aufbereitet.

Es geht um nichts Geringeres als die Neuschreibung der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Zu deren Vordenkern gehören auch die Kunsthistoriker im Sprengel Museum in Hannover und in den Kunstsammlungen Chemnitz. Sie fragen gemeinsam, ob der etablierte Blick auf die Moderne Kunst nicht grundlegend revidiert werden müsste. So wie in einer Ausstellung, die das Publikum mit der offenen Frage nach der Relevanz der naiven Kunst für die Avantgarde konfrontiert. Kuratiert haben sie die freie Düsseldorfer Kuratorin Manja Wilkens und Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel Museums.

Wie argumentieren Wilkens und Spieler in ihrer um die 100 Exponate fassenden Schau „Welche Moderne? In- und Outsider in der Avantgarde“? „Mit der Ausstellung wollen wir ein neues Licht auf die Geschichte der Klassischen Moderne werfen, die seit dem Zweiten Weltkrieg als eine Geschichte der klassischen Avantgarden, als eine Abfolge von Expressionismus, Kubismus, Futurismus, Konstruktivismus, Dada und Surrealismus erzählt wird,“ sagt Spieler. „Wir stellen die Frage, ob wir diese Geschichte nicht neu und anders erzählen müssen.“

Dabei konzentrieren sie sich auf die Kunst der Naiven, in der Ausstellung Outsider genannt. Deren Gallionsfigur ist Henri Rousseau. Geholfen hat ein Zufall. Die von Charlotte Zander begründete umfangreiche Sammlung naiver Kunst wurde dauerhaft geschlossen. So war es möglich, wichtige Exponate auszuleihen.

Kristallisationsfiguren sind Camille Bombois, André Bauchant, Séraphine Louis, Adolf Dietrich und Adalbert Trillhaase. Sie spielen in den Kunstgeschichten des beginnenden 20. Jahrhunderts kaum eine Rolle. Hier aber werden sie wiederentdeckt. Den Übersehenen wird sogar die Hauptrolle zugewiesen. Denn sie waren wesentliche Inspiratoren der etablierten Avantgardisten.

Die Gallionsfigur der Naiven malte die Allee im Park von Saint-Cloud ca. 1908. Städel, Frankfurt am Main

Henri Rousseau

Die Gallionsfigur der Naiven malte die Allee im Park von Saint-Cloud ca. 1908.

Gezeigt wird, wie Max Beckmann aus Bildern von Rousseau zitiert. Rousseaus Heißluftballons und Doppeldeckerflugzeuge werden direkt und ohne schlechtes Gewissen von Beckmann als Motiv übernommen. Picasso lässt sich von der Maltechnik eines Rousseau ebenfalls inspirieren, sammelte dessen Bilder.

Naiv wurden sie genannt, weil sie weit weg von akademischer Kunstausbildung waren und als Autodidakten gewöhnliche Brotberufe besaßen. Ihre Malerei ging gerade noch als Hobby durch. Henri Rousseau war Verwaltungsangestellter im Zoll; deshalb erhielt er den Beinamen „Der Zöllner“. André Bauchant arbeitete als Gärtner. Für ihn begeisterte sich vor allem der Architekt Le Corbusier. Camille Bombois war Gewichtheber auf Jahrmärkten und die Blumenmalerin Louis Séraphine war Haushälterin für das Wochenenddomizil des deutschen Kunsthändlers Wilhelm Uhde.

Ausstellung: École de Paris – Emigranten in der Diaspora

Ausstellung

École de Paris – Emigranten in der Diaspora

Viele sind vergessen, einige sind wiederzuentdecken: Das Jüdische Museum erinnert an Lebenswerke jüdischer Künstler im Paris der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg.

Im Weltausstellungsjahr 1937 gab es in Paris die erste institutionelle Ausstellung der Naiven, als „Les Maîtres populaires de la réalité“. Sie sollten der Welt zeigen, wie vielfältig die Kunst im freien Frankreich ist, wieviel Herz und Seele sie hat, im Vergleich zu der deutschen Kunst der Zeit, die sich zur Weltausstellung martialisch zeigte.

Das war eine Kampfansage der freien Welt gegen die Diktaturen Russland und Deutschland, Kunst als politische Waffe. Die Ausstellung wurde in Zürich, in London und im New Yorker MoMA gezeigt. Dort firmierten die Naiven sogar als eine der drei Säulen der Modernen Kunst, neben Kubismus, Abstraktion und Dada sowie Surrealismus.

Für Kunsthändler wie den Deutschen Wilhelm Uhde oder den deutsch-französischen Händler Daniel-Henry Kahnweiler waren das schwierige Zeiten. Sie wurden kritisch beäugt und galten viele Franzosen als Feinde. Schon im ersten Weltkrieg mussten sie Paris überstürzt verlassen. Ihre Handelsware, bei Kahnweiler war es vorzüglicher Kubismus, wurde zwangsversteigert. Die Preise für Kubismus stürzten in die Tiefe. Beide kamen aber wieder auf die Beine und Uhde wurde in der Zwischenkriegszeit, nach holprigen Anfängen, zu einem erfolgreichen Händler naiver Kunst.

In der Mitte hinten hängt Camille Bombois‘ unbetiteltes Frauenbildnis aus dem Jahr 1935. Sammlung Zander, Köln / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Blick in die Ausstellung im Sprengel Museum von Hannover

In der Mitte hinten hängt Camille Bombois‘ unbetiteltes Frauenbildnis aus dem Jahr 1935.

Der marketingaffine Uhde verstand sehr schnell, dass die so kunstfernen Biografien der Naiven den Verkauf unterstützen. So klitterte er neue Geschichten zusammen, die zwar nicht stimmten, aber dennoch gern gehört und geglaubt wurden. Fake News als Verkaufsförderung.

Tatsächlich waren aber die meisten der als naiv etikettierten Künstler gut vernetzt, bei den Avantgardisten durchaus gern gesehen und sie wurden auch von ihnen gesammelt. Sie waren Inspirationsquellen. Deshalb gebührt ihnen auch ein angemessener Platz in den Museen Moderner Kunst.

Die Sonderausstellung gibt schon mal einen Vorgeschmack, wie das zukünftig aussehen könnte. Ein Bild von dem neusachlichen Christian Schad, „Die Mexikanerin“, hängt direkt neben einem flächig gemalten Frauenporträt von Camille Bombois. Die unausgesprochene Frage der Schau ist, warum Christian Schad zum Kanon der modernen Kunst gehört, Camille Bombois aber nicht.

Vielleicht schießt die Ausstellung auch über ihr Ziel hinaus. Denn nicht alles, was ähnlich aussieht, sollte in in eine Zwangsehe gebracht werden. Wenn neben einem Bild von Fernand Léger und einer Skulptur von Henri Laurens Gemälde von Bombois figurieren, aber nicht nachweisbar ist, dass es eine tatsächliche Beeinflussung gab, dann ist das eine zumindest optisch gefährliche Behauptung und die Achillesferse der Ausstellung.

Das Verdienst der Schau ist gleichwohl größer. Sie gibt der vergessenen Kunst der Naiven wieder ihren Stellenwert zurück. Gleichzeitig macht sie deutlich, wie legendäre Kunsthändler vor allem die Ware, weniger die Kunst in den Werken sahen. Uhde etwa stellte sie nicht nur als naiv dar, sondern als nah am „Primitiven“, weil sie sich so besser verkaufen ließ.

„Welche Moderne? In- und Outsider in der Avantgarde“, Sprengel Museum Hannover, bis 17. September 2023. Kunstsammlungen Chemnitz, 22. Oktober 2023 bis 14. Januar 2024. Katalog, 200 Seiten und 150 Abbildungen, 40 Euro.

Mehr: Sammlung Falckenberg: Kunst zum Kichern

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