Reisen, Aufbruch, Orte verlassen, um anderswo anzukommen. Facettenreich durchziehen diese Themen die Bilderwelt von Max Beckmann. Münchens Pinakothek der Moderne hat es sich genauer angeschaut.
Max Beckmann „Großes Stillleben mit Fernrohr“
Fernweh trieb den Künstler, und die Reise war für ihn eine Metapher des Lebens.
Bild: Bayerische Staatsgemäldesammlungen
München Die Harmlosigkeit trügt. Als Max Beckmann 1944 sein Gemälde „Schwimmbad Cap Martin“ malte, kam er nicht unmittelbar von einem seiner geliebten Aufenthalte am Meer zurück. Das Bild entstand im Amsterdamer Exil nach Postkarten und Fotos aus dem Familienalbum. Das Nobelbad auf hohem Felsen verdichtete er zur erstarrten Festung unter einer bleiernen Farbigkeit.
Ein Symbol für die verlorengegangene Leichtigkeit des Ortes und zugleich für die bedrückende Last des Exils. Gemalt als Akt gegen die Angst vor der existenziellen Sinnlosigkeit, die wohl auch manch unfreiwillige Reise in unseren Tagen begleitet.
Beckmanns Erinnerungsbilder machen nur einen schmalen Teil der Ausstellung „Departure“ (bis 12. März 23) in der Pinakothek der Moderne aus. Ihr Konzept ist komplexer: Sie betrachtet zum ersten Mal in großem Umfang das Werk des unverwechselbaren Jahrhundertkünstlers unter dem Aspekt des Reisens und des Unterwegsseins. Beides spiele in Leben und Werk des Malers eine wichtige Rolle, freiwillig oder als Folge des Nazi-Stigmatisierung zum entarteten Künstler.
Als Lebemann zog es ihn schon in den 1920er-Jahren in die mondänen Badeorte an der Côte d´Azur und der italienischen Rivera, aber auch an die holländische Nordsee. Er liebte die Grandhotels, die Bars, die Promenaden und vor allem das Meer. Alles lieferte ihm über Jahrzehnte Motive und inspirierte ihn zu Reflexionen.
In seinen Kompositionen verwandelt sich die Harmonie der glatten Oberfläche der Luxusorte in Expressivität. Noch ganz Welttheater ist sein Badepanoptikum der Gestürzten, Verhüllten und Unnahbaren im 1924 entstandenen Bild „Lido“. 1937, dem Jahr der Flucht aus Deutschland, malt der Künstler in der „Nordseelandschaft II“ eine Wolke, die wie ein ungestümer Geist über menschenleeren Strand und aufgebrachte See hinwegfegt. Die Mole bremst das Meer wie ein Keil. Der Farbton ist eher Moll als Dur.
Beckmann hat sich von der Schönheit seiner Reiseorte nie korrumpieren lassen. Die Schroffheit seiner Formensprache wird nicht weicher im Angesicht des Vergnügens. Klaustrophobisch und sehnsüchtig zugleich geht der Blick vom Fenster seiner engen „Badekabine“ von 1928 unter einer braun-schwarzen Markise entlang zu einer Gruppe Badender im schäumenden Meer.
Quappi und Max Beckmann in den Ferien 1934-35
Die Pinakothek bekam auch den persönlichen Nachlass des Ehepaares anvertraut.
Bild: Nachlass Max Beckmann; Pinakothek der Moderne, München
Ein winziges Bildchen nur ist „Blick aus der Schiffsluke“ von 1934. Mit typisch derbem Pinselstrich deutet er noch Teile der Koje an. Die Perspektive aufs Meer aber hat er in apokalyptische Schieflage gekippt. Wie bei vielen Bildern des Spätexpressionisten ist auch hier die Welt aus den Fugen geraten. „Das macht ihn ja immer wieder so aktuell“, sagt Ausstellungskurator Oliver Kase im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Reisen, Aufbruch, Orte verlassen, um anderswo anzukommen – facettenreich durchziehen diese Themen Beckmanns Bilderwelt. Auf dem Gemälde „Im Artistenwagen“ porträtiert er sich als fahrender Geselle neben seiner zweiten Ehefrau Quappi im überhöhten Welttheater-Stil.
In Bildern wie „Bei Avignon (Eisenbahn bei Nacht)“ von 1949 greift er hingegen die Dynamik der Realität auf und bringt mit einem vorbeirauschenden Zug wohl auch die Erleichterung über das Ende der quälenden Stagnation zum Ausdruck. Denn 1947 konnte das Ehepaar endlich in die USA auswandern.
Beckmann war nicht nur ein Reisender im physischen Sinne. Die Reise war für ihn eine Metapher des Lebens und der Zeitläufte wie etwa in dem Gemälde „Die Reise“ von 1944, in dem er seine Sehnsuchtsorte Paris und Berlin zu zwei wollüstigen Frauengestalten stilisiert. Genauso heftig trieb ihn das mythische Fernweh, dem er erstmals 1932 in seinem ersten Triptychon mit dem programmatischen Titel „Departure“ folgte.
Wie eine irreversible Überfahrt ins Ungewisse hat Beckmann den Mittelteil gemalt. In einer Barke sitzen Frau mit Kind und ein König, hinter dem viele Interpreten den sagenhaften Irrfahrer Odysseus vermuten. Mit dieser Figur hat sich Beckmann übrigens selbst gern identifiziert. Flankiert wird die Flucht über das Meer von zwei verschlüsselten Gewaltszenen.
Max Beckmann „Promenade des Anglais in Nizza“
Die Ansicht der nächtlichen Promenade von Nizza entstand in dem Jahr, in dem Quappi und Max Beckmann die Auswanderung gelang, 1947.
Bild: Museum Folkwang, Essen
Heute kann man dieses Werk als Vorahnung der heraufziehenden Nazi-Gewalt sehen. Aber Beckmann hat auch nie das Grauen des Ersten Weltkrieges vergessen. Doch es geht in der Ausstellung nicht um jenen Beckmann, den sein Freund und Mäzen Stephan Lackner als Künstler beschrieb, der mit Melone und Seidenschal das irdische Jammertal durchmisst. Die Münchener Schau aber zeigt einen Maler, der auch mit einer Spur von Leichtigkeit, hedonistisch und zum Teil auch heiter das 20. Jahrhundert reflektierte.
„Wir haben ganz bewusst Neues präsentieren wollen, um das Image vom schweren, verschlüsselten, unzugänglichen Künstler zu durchkreuzen“, beschreibt Oliver Kase das Konzept der Schau. Dahinter steht freilich noch ein anderes Motiv. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen beherbergen das Beckmann-Archiv und haben vor ein paar Jahren auch den persönlichen Nachlass des Ehepaares anvertraut bekommen. Das verpflichtet, Briefe der Galeristen, Lieblingsbücher, Impfzertifikate und private Fotografien, die in Zusammenhang zu seinem Werk stehen, ans Licht zu bringen.
Niedergeschlagen hat sich diese Absicht nicht nur in einen ambitionierten Katalog, der Beckmanns Unterwegsein zwischen Zeiten und Orten mit seinen Tagebüchern und Briefen verknüpft. In der Schau selbst sind Dokumente in kleinen Kiosken ausgestellt, deren Fenster Sichtachsen zu entsprechenden Gemälden schaffen. Etwa zwischen einem Schwarz-Weiß-Schnappschuss von Quappi im Badeanzug auf der Spitze eines Ruderbootes und dem vielleicht privatesten Porträt seiner Ehefrau, dem berühmten „Quappi in Blau“ von 1926.
Die Münchner Schau schlägt in der Tat ein bislang wenig bearbeitetes Kapitel auf. Sammler aber haben Beckmanns Landschaften und Blicke aus Hotelfenstern, die modernen Orte eines sich permanent im Transit befindlichen Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts längst für sich entdeckt. Gemälde wie „Chateau d´If“ von 1936 und „Stürmische Nordsee“ von 1937, die beide in München ausgestellt sind, aber auch „Möwen im Sturm“ oder das melancholische Gemälde „Grauer Strand“ von 1928 sind weder bei Villa Grisebach noch bei Sotheby´s oder Ketterer unter der Millionengrenze zu haben.
„Departure“, Pinakothek der Moderne, München, bis 12. März 2023. Der Katalog (deutsch oder englisch) erschien im Walther König Verlag und kostet 54 Euro im Handel.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×