Christoph Seibt ist fasziniert von der Minimal Art. Das Bucerius Kunst Forum zeigt raumgreifende Ensembles aus der Sammlung des bekannten Wirtschaftsanwalts.
Blick in die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum
Vorne Frank Gerritzs „Block I–IV“, an der Wand in Rot Gerold Millers „hard:edged 10“. Beide Kunstwerke der Minimal Art stammen aus der Christoph Seibt Collection.
Bild: Bucerius Kunst Forum, Foto: Ulrich Perrey; VG Bild-Kunst, Bonn, für Gerritz
Hamburg Nur wenige Privatsammlungen in Deutschland widmen sich der Kunst des Minimalismus. Vielen gilt sie als zu spröde. Eine gerade durch ihre beeindruckend verhaltene Sinnlichkeit herausragende Sammlung ist in Hamburg beheimatet. In der großen Stadtvilla von Christoph Seibt.
Und weil dort zwar viele, aber längst nicht alle der von Seibt seit 1988 erworbenen gut 450 Werke der Minimal Art und der konzeptionellen Kunst hineinpassen, hat er schon seit längerem ein Schaulager im Hamburger Stadtteil Billbrook eingerichtet. Das bietet zwar auch Platz zum Präsentieren, aber vor allem Platz zum Lagern.
Welche Qualität Seibts bislang vor allem privat zugängliche Sammlung auszeichnet, verdeutlicht aktuell das Bucerius Kunst Forum der Hansestadt mit einer Ausstellung. Damit rückt auf überzeugende Weise das im öffentlichen Ausstellungsbetrieb lange Zeit vernachlässigte Thema „Minimal Art“ wieder in den Blick.
Minimal ist dabei auch die Anzahl der ausgestellten Objekte. Es sind insgesamt nur 17, meist aber raumgreifende Werke von zehn Künstlern. Sie sollen dem Publikum das Wesen dieser in den 1960er-Jahren entstandenen und auf Teilhabe ausgerichteten Kunst verdeutlichen. Der weitaus größte Teil der gezeigten Arbeiten stammt aus der Sammlung Seibt.
Wer mehr aus dieser Privatsammlung sehen möchte, muss sich noch einige Jahre gedulden. Der Wirtschaftsanwalt ist Partner bei Freshfield Bruckhaus Deringer. Immer wieder wurde er als „Lawyer of the Year Germany“ im Sektor Merger & Acquisitions ausgezeichnet, von der „Wirtschaftswoche“ sogar zum „Legal All Star“ ernannt.
Vor dem Bild „Braunes Kreuz“ von Imi Knoebel
Christoph Seibt im Gespräch mit Kathrin Baumstark, der künstlerischen Leiterin und Kuratorin der Ausstellung.
Bild: Bucerius Kunst Forum, Foto: Ulrich Perrey; VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Der Erfolgreiche plant ein eigenes Ausstellungshaus in Hamburg. In spätestens fünf Jahren soll es eröffnet werden, einschließlich einer Atelierwohnung für kuratierende Künstler. Das Ganze entweder im Zentrum von Hamburg oder zumindest zentrumsnah.
Immerhin stehen die Öffnungszeiten bereits fest. Von Donnerstag bis Sonntag sollen die unterschiedlichsten Ausstellungen zu sehen sein, zusammengestellt aus dem Schaulager und bereichert durch Leihgaben. Jeweils mit Führungen und Katalogen in Deutsch, Englisch und Französisch.
Auf die Frage, was den 1965 geborenen Seibt an konzeptueller Kunst interessiert, kommt eine verblüffende Antwort. Der Mann, der seine berufsangemessen konservative Kleidung stets durch einen Twist wie rosa Strümpfe oder pinkfarbenes Anzugfutter akzentuiert, ist fasziniert vom Spiel mit Perfektion und deren Brechung. Aber auch von formellen und mathematischen Strukturen. Das überzeugt sofort.
Mindestens ebenso wichtig ist Seibt aber auch die Kontemplation, die Kunst ermöglicht. Statt noch mehr „VUCA“ – also Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit, von dem er mit dem englischen Akronym berichtet – sucht der Vielbeschäftigte in der Kunst Abstand, Konzentration und gleichzeitig neue Perspektiven auf die Probleme des Alltags.
Aktuell hat Seibt mit 50 Werken eine der umfangreichsten Sammlungen von Imi Knoebel, zu denen sich Arbeiten von Blinky Palermo, Gerold Miller oder auch Frank Gerritz, Beat Zoderer, Fred Sandback oder Jill Baroff gesellen. Sein Wohnhaus ist längst zu einem Kunsthaus geworden, das auch von kleineren sammlerischen Abwegen berichtet, wenn, etwas verschämt an der Seite, einige Miniatur-Arbeiten von Jeff Koons zu sehen sind.
Minimal Art in Hamburg
Blick in die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum
Bild: Bucerius Kunst Forum, Foto: Ulrich Perrey; VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Dafür heischt im Eingangsbereich gleich ein plakatives Statement die Aufmerksamkeit des Gastes. Es stammt von dem italienischen Konzept- und Lichtkünstler Maurizio Nannucci und könnte für Seibt eine Art Motto sein: „New Ideas for Other Times“ leuchtet es von oben herab; gespiegelt darunter ist zu lesen „Other Ideas for New Times“. Genau das, davon ist Seibt überzeugt, kann Kunst leisten. Wenn man sie nur richtig versteht.
Eine Gelegenheit dazu bietet jetzt das Bucerius Kunst Forum. Hier ist Minimalismus nicht nur künstlerische Haltung, sondern Programm. Selbst die sonst üblichen Beschriftungen seitlich der ausgestellten Objekte fehlen in dem Parcours. Damit verweist die Schau auf einige der hoffnungsfrohen Utopien der späten 1960er-Jahre.
Die Künste versuchten in dieser Aufbruchszeit, demokratisch zu werden, dem Kunstmarkt den Rücken zu kehren, frei zu sein, auch von der Individualität der künstlerischen Handschrift.
Die Kunst des Minimalismus wollte für alle Betrachter ohne jedwede Vorbildung erfahrbar sein. „What you see is what you see“, so der zum Zitat gewordene Anspruch, den der Künstler Frank Stella formulierte. Keine Interpretation, keine Bedeutung, die über das hinausgeht, was zu sehen ist. Farbe ist Farbe, Material ist Material, Raum ist Raum und Mensch ist Mensch. Welch Anspruch.
In Hamburg eröffnet die Berliner Wentrup Gallery eine Dependance. Das ist auch eine Absage an den zu hektischen Messezirkus.
Jedes Objekt hat in der Ausstellung seinen eigenen Hoheits-Raum zugeteilt bekommen. Auch die „Vierkantrohre“ von Charlotte Posenenske, die zu den herausragenden deutschen Vertreterinnen des konzeptuellen Minimalismus zählt. Dass ihr Werk „Vierkantrohre Serie D“ von 1967/2019 bei Seibt jetzt fehlt, ist gerade mal an einigen zarten Spuren auf der Wand zu erkennen, die das Objekt aus verzinktem Stahlblech bislang trug. Eine Leerstelle ist in dem Wohn- und Ausstellungsraum dadurch nicht freigeworden.
Die „Serie D“ entstand ein Jahr, bevor die 1930 geborene Künstlerin entschied, nicht weiter Teil des Kunstbetriebes sein zu wollen. Ihre Erkenntnis: „Es fällt mir schwer, mich damit abzufinden, dass Kunst nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen kann.“ Dann studierte Posenenske Soziologie.
Die vierteilige an Lüftungsrohre erinnernde Konstruktion aus Quadrat- und Rechteckrohren kann frei nach eigenem Gusto zusammenmontiert werden, die Künstlerin hat dazu bewusst keine Vorgaben gemacht.
Bei Seibt ragte die Skulptur gänzlich anders in den Raum hinein als jetzt im Kunst Forum. Das Umbauen ihres Kunstobjektes ist wie das Umbauen der Gesellschaft, es macht Arbeit und ist nie abgeschlossen. Die eine ewig gültige Form gibt es nicht. Aber die Aufforderung an alle, daran ganz uneitel trotzdem mitzuarbeiten.
Zur Sicherheit, falls die Besucher doch mit mehr Fragen aus der Ausstellung kommen, als sie selbst beantworten können, liegen ein Katalog und ein Heft zur Hilfe parat.
„Minimal Art. Körper im Raum“: Bucerius Kunst Forum in Hamburg bis 24. April 2022. Katalog: 29,90 Euro.
Mehr: Konrad Fischer Galerie: Gravitationszentrum der anderen Art
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