Die Langen-Foundation bei Neuss stellt das Werk des Künstlers Julian Charrière vor. Sie bringt brisante ökologische Fragestellungen und Überwältigungs-Ästhetik in ein irritierendes Spannungsverhältnis.
Julian Charrière
Der Künstler zeigt die Verletzlichkeit des Planeten durch die Feier seiner Schönheit.
Bild: Studio Julian Charrière
Hombroich bei Neuss Farne und Schachtelhalme wuchern in einem dunklen Spiegelkabinett. Vorsichtig bahnt man sich den Weg durch den feuchten Urwald, gelegentliche Stroboskop-Blitze beleuchten das verwirrende Szenario und die schmalen Wege, wispernde Klänge verdichten sich zu einem geheimnisvollen Sound, der sich selbst erzeugt. Denn die Wachstums-Aktivitäten der Pflanzen werden aufgezeichnet, ein Algorithmus übersetzt sie in Lichtimpulse und Klänge.
Die urtümlichen Pflanzen wuchsen bereits im Karbonzeitalter und bildeten die Grundlage der heutigen Kohleflöze, die nicht weit entfernt von der Ausstellung in Lützerath gerade heiß umkämpft sind. In der Langen Foundation bei Neuss formieren sie sich nun zu einer gigantischen Installation mit dem Titel „Panachronic Garden“. Sie sind ein besonders spektakulärer Teil der bislang größten Werkschau von Julian Charrière.
Pflanzen sind derzeit ein wichtiges Thema in der Kunstwelt. Allein im Rheinland sind zwei Ausstellungen zu sehen, die denkbar unterschiedlich über unser sich stetig wandelndes Verhältnis zu Pflanzen und damit zur Natur nachdenken. Denn ganz anders als die sinnlich-opulente Schau „Controlled Burn“ des französisch-schweizerischen Künstler Julian Charrière trägt das Kölner Museum Ludwig mit der Ausstellung „Grüne Moderne“ die Kritik am ausbeuterischen und zugleich idealisierenden Umgang mit der Natur didaktisch und dokumentarisch vor.
Auch in Köln werden die unmerklichen Bewegungen der Pflanzen sichtbar gemacht, kurioserweise durch Max Reichmanns Kinofilm „Blumenwunder“ von 1926. Die Mischung aus Ballett- und wissenschaftlichem Zeitraffer-Film überblendet tanzende Frauen mit rankenden Pflanzen.
Die ansonsten knochentrockene Kölner Schau präsentiert sich demonstrativ politisch korrekt als klimafreundlich mit handgemalten Wandtexten, um Plastik zu sparen. Sie übernimmt bereits benutzte Museumsarchitektur, entschied sich, keine Originale auszuleihen und den Katalog nicht zu drucken. Das Ganze ist in etwa so sinnlich wie ein Online-Seminar.
Julian Charrière dagegen präsentiert seine mahnende Kritik an den herrschenden Verhältnissen ohne Zahlenwerk und wissenschaftliche Ausführungen; er setzt nicht auf Betroffenheit durch beunruhigende Daten, Fakten, Interviews mit Leidtragenden oder Fachleuten, wie es für gesellschaftspolitische Kunst heute üblich ist.
Julian Charrière „Controlled Burn“
Das 32-minütige Video von 2022 überwältigt mit implodierenden Feuerwerken über stillgelegten Ölbohrinseln und verrostenden Kühltürmen. Abgebildet ist ein Film-Still.
Bild: Jens Ziehe; VG Bild-Kunst, Bonn
Charrière setzt allein auf die ästhetische Überwältigungskraft seiner Installationen, Fotos und Videos, die erst bei näherer Betrachtung ihre beunruhigenden Geheimnisse preisgeben. Nach Rainer Maria Rilkes geflügeltem Wort, dass „das Schöne nichts als des Schrecklichen Anfang“ sei, präsentiert er etwa die Kraft des Feuers, das Energie freisetzt, dem Boden Nährstoffe zufügt, aber auch Zerstörung anrichtet und ganz buchstäblich den Klimawandel, die Energiekrise und andere Umweltkatastrophen befeuert.
Die titelgebende Arbeit der Ausstellung ist ein 32-minütiges Video mit implodierenden Feuerwerken über stillgelegten Ölbohrinseln und verrostenden Kühltürmen. Ein anderes Video zeigt eine Performance von 2019 in Lugano, wo Charrière in einem Brunnen sowohl Wasser als auch Flammen fließen ließ.
In eisigen Vitrinen dagegen zeigt er tiefgekühlte Orchideen und Kakteen und Fotografien vom optisch paradiesisch wirkenden Bikini-Atoll, bestreut mit verstrahltem Sand. Er stammt von den amerikanischen Tests mit Wasserstoffbomben in den 1950er-Jahren. Oder er ummantelt atomar verseuchte Kokosnüsse von den Marshall-Inseln mit Blei wie Kanonenkugeln; ein dezenter Verweis auf die frühere Nutzung der Insel Hombroich als Station für Nato-Raketen. Aber dann arrangiert er die Kugeln doch wie harmlose Zierkürbisse an den riesigen Glasfronten der Langen Foundation.
Die Berliner Julia Stoschek Collection imponiert mit eindrucksvollen Bildern in einer hoch brisanten Video-Schau. Mit ausgestellt: elf Neuankäufe seit 2017.
Die Ideen und Materialien für seine Werke sammelt Charrière auf weltweiten Reisen. Er klettert auf Vulkane, erforscht radioaktiv belastetes Gelände, eisige Gletscher und Palmölplantagen.
Der repräsentative Überblick über das Oeuvre des in Berlin lebenden Künstlers findet in der ikonischen Architektur Tadao Andos einen idealen Rahmen. Denn sie bietet weite Räume, in denen Charrières wuchtige, das Pathos nicht scheuende Bilder, Installationen und Landschaftsfotografien sich ideal entfalten können. Souverän wechselt und kombiniert er die Medien und Techniken; manches streift hart den Kitsch, übertritt aber die rote Linie nie.
Nicht selten drängt sich angesichts der Opulenz und betörenden Schönheit seiner Arrangements der barocke Vanitas-Gedanke auf, der hier aber nicht nur die Vergänglichkeit alles Lebendigen predigt, sondern die Verletzlichkeit des Planeten durch die Feier seiner Schönheit, aber auch die seiner Vernichtung anprangert. Ein gewagter Spagat, der fasziniert und zugleich unbehaglich stimmt.
Schließlich ist Charrière gewiss nicht ein CO2-neutraler Weltreisender in Sachen Kunst und seine aufwändigen Installationen wahre Energiefresser. Diesen Vorwurf allerdings kontert er bereits im Entrée der Schau: Vor dem Museum ist im Wasserbassin eine Solarkraftanlage installiert, die laut Auskunft des Museums zumindest einen Teil der Energie für die aufwändige Schau produziert. Nach dem Ende der Ausstellung wird die Anlage nach Namibia gestiftet.
Julian Charrière: „Controlled Burn“, Langen Foundation Neuss, bis 6.8.2023, www.langenfoundation.de
„Grüne Moderne“, Museum Ludwig, Köln, bis 22. Januar 2023
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