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21.12.2022

08:03

Ausstellung über Johann Gottfried Schadow

Als der Bildhauer in Ungnade fiel

Von: Christian Herchenröder

Die Pferde über dem Brandenburger Tor und die Prinzessinnengruppe sind seine bekanntesten Skulpturen. Eine Ausstellung beleuchtet den Entstehungsprozess im Werk des Klassizisten Johann Gottfried Schadow.

Das lebensnahe Doppelstandbild  der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen erschien dem neuen Herrscher Friedrich Wilhelm III. als nicht standesgemäß. Andres Kilger; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Johann Gottfried Schadow

Das lebensnahe Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen erschien dem neuen Herrscher Friedrich Wilhelm III. als nicht standesgemäß.

Berlin Wer sich mit dem Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow beschäftigt, könnte glauben, dass über ihn und sein Oeuvre schon alles gesagt ist. Seine Skulpturen gehören seit der Berliner Jahrhundert-Ausstellung 1906 zum Kanon deutscher Kunstgeschichte. Als Protagonist des Klassizismus wird er in einem Atemzug mit Antonio Canova und Berthel Thorvaldsen genannt, mit denen er in seiner römischen Zeit 1785-1787 engen Kontakt pflegte. Als Schöpfer der Quadriga am Brandenburger Tor und Gründer der Berliner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts ist er ein Leitbild.

Die letzte große Schadow-Ausstellung war die Wanderschau „Schadow und die Kunst seiner Zeit“, die 1994/95 in Düsseldorf, Nürnberg und Berlin 180 Exponate präsentierte. Wenn jetzt Berlins Alte Nationalgalerie in einer Heerschau im dritten Stock des Museums nicht weniger materialreich das Lebenswerk beleuchtet, so macht das schon Sinn. Denn die Schau und ihr Katalog widmen sich in erhellender Breite den Entstehungsprozessen der Werke und der Rezeption des preußischen Klassizisten.

Im Zentrum der Ausstellung steht die Prinzessinnen-Gruppe, deren Gipsmodell 1796 auf der Berliner Akademieausstellung erschien und deren Marmorausführung Friedrich Wilhelm II. vier Monate später genehmigte.

Das lebensgroße Doppelstandbild der Kronprinzessin Luise und der Prinzessin Friederike von Preußen, das heute Kultstatus genießt, erschien dem neuen Herrscher Friedrich Wilhelm III. als „fatal“. Er ließ Schadow das Blumenkörbchen entfernen, das ursprünglich die rechte Hand der Luise zierte, ein in der Tat überflüssiges Accessoire, das den linearen Fluss der antikischen Gewänder störte.

Die natürliche Haltung und Lebensnähe der Figuren waren Friedrich Wilhelm nicht standesgemäß; außerdem mokierte er sich über den lockeren Lebenswandel der Prinzessin Friederike. Und so wurde ein gefeiertes Hauptwerk Schadows in die Gästewohnung des Berliner Schlosses verbannt.

Hier, in den sogenannten Petitekammern der Öffentlichkeit weitgehend entzogen, wurde das Standbild nahezu vergessen. Erst die nach 90 Jahren erste öffentliche Präsentation in der Berliner Kunstakademie 1886 verschaffte der Marmorgruppe die verdiente permanente Rezeption.

Der Bildhauer war mehr dem realistisch Schönen und einer gefühlvollen Naturnähe als der Idealisierung verpflichtet. Abgebildet ist das Grabmal des Grafen Alexander von der Mark von 1788–1790. Andres Kilger; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Johann Gottfried Schadow

Der Bildhauer war mehr dem realistisch Schönen und einer gefühlvollen Naturnähe als der Idealisierung verpflichtet. Abgebildet ist das Grabmal des Grafen Alexander von der Mark von 1788–1790.

Ein Jahr später wurde der Originalgips aus dem Besitz des Schadow-Schülers Albert Wolff für die Nationalgalerie erworben. Die Berliner Ausstellung zeigt nun erstmals den aufwändig restaurierten Gips und die Marmorfassung nebeneinander und als wäre das nicht schon genug, figuriert auch ein 1906 für die Hamburger Kunsthalle entstandener Bronzeguss in der Schau.

Die Nachwirkung der Gruppe ist immens. Sie kulminiert in Replikaten aller Größen in Gips, Alabaster, Marmorstaub und Porzellan. Teuerste der modernen Ausformungen ist die von der Berliner Porzellanmanufaktur für 24.500 Euro angebotene Gruppe aus Bisquitporzellan. Die Urfassung dieser 54 cm hohen Version wurde 1796 von der KPM ausgeführt. Sie erschien 1993 in Sotheby’s Thurn und Taxis-Auktion und wurde für 101.200 D-Mark zugeschlagen.

Der König pflegte seine Distanz zu Schadow. Als Königin Luise von Preußen 1810 starb, wurde nicht er, sondern sein Schüler Christian Daniel Rauch mit dem Auftrag für die Grabskulptur betraut. Von nun an wurde dieser als Haupt der Berliner Bildhauerschule gewürdigt und das bittere Zitat, dass Schadow in Rauch aufgegangen sei, war Realität. Auch der staatstragende Auftrag zu einem Reiterstandbild Friedrichs des Großen ging an Rauch. Hätte die Prinzessinnengruppe den Zeitgenossen vor Augen gestanden, wäre dieser Prestigeverlust nicht eingetreten.

Andererseits fehlte es nicht an Ehrungen. 1816 wird Schadow Direktor der Berliner Akademie der Künste. Und es gab noch öffentliche Aufträge für den „nordischen Phidias“, wie Schadow von Anhängern bezeichnet wurde, obwohl seine plastische Arbeit mehr dem realistisch Schönen und einer gefühlvollen Naturnähe als der Idealisierung verpflichtet war.

Leicht hingeflegelt wirkt dieser entspannt innehaltende Satyr (um 1800). Andres Kilger; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Johann Gottfried Schadow

Leicht hingeflegelt wirkt dieser entspannt innehaltende Satyr (um 1800).

1819 wird das Blücherdenkmal in Rostock enthüllt, der erste monumentale Bronzeguss in Deutschland seit Andreas Schlüters Großem Kurfürsten. Er tauscht sich mit Goethe in Weimar aus und erschafft eine Büste des Dichters nach der Lebendmaske. 1821 wird das unter einem Eisenguss-Baldachin von Karl Friedrich Schinkel stehende Bronzestandbild Martin Luthers enthüllt, das auf Schadows Entwurf von 1805 zurückgeht.

Was die Berliner Schau hervorhebt und was in früheren Ausstellungen zu kurz kam, sind die Lehrwerke Schadows. Sie prägen sein Schaffen in den 1820er- und frühen 1830er-Jahren. Unter dem Titel „Polyclet oder von den Maßen der Menschen“ erarbeitet er Proportionsstudien des menschlichen Körpers, den er in Segmente aufteilt. Das Vorbild liefert Gérard Audran in seiner 1683 publizierten Proportionslehre, die sich auf antike Skulpturen stützt.

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Mit den „National-Physiognomien“ setzt Schadow sein Programm auf prekäre Weise fort. Hier finden sich Kopfstudien, in denen nicht das Körpermaß, sondern die Herkunft der Menschen (etwa aus Afrika oder China) eine Rolle spielt. Auch eine Büste wie der sogenannte „Kaffernprinz“ mit stark betonten negroiden Zügen reiht sich in diese Menschenbilder. Sie sollen das Lehrbare der Kunst repräsentieren, sind aber in ihrer Anmutung schon Vorboten einer Rassenlehre. Als außerordentlich begabter Zeichner erscheint Schadow in den ausgestellten Blättern, die schreitende und tanzende Mädchen und Aktstudien zeigen.

Als Lithograph und Pionier im Zinkdruck arbeitet der Bildhauer in noch jungen graphischen Techniken. Als letzte Arbeit in Marmor entsteht die Statue eines liegenden nackten Mädchens, die dem „Schlafenden Hermaphrodit“ der Sammlung Borghese nachempfunden ist.

Einen Blick in die Bildhauer-Werkstatt und in die skrupulösen Arbeitsprozesse, die von der Entwurfszeichnung über plastische Vorarbeiten in Wachs und Ton zu Gipsmodellen führte, gestattet eine Gruppe von Exponaten, die sich frei von Idealisierung auf die Antike beziehen. Hier ist der Bildhauer auf intime, unverstellte Weise sichtbar, auch in seiner Suche nach Schönheit im Gesetzmäßigen, die ihm nicht nur sein Freund Canova, sondern auch die Kunstgeschichte attestieren.

Bis 19. Februar 2023. Katalog im Hirmer Verlag 39,90 Euro

Mehr: Johann Gottfried Schadow: Zu wenig Marmor

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