Das Geschäft mit Textilien ist schon immer innovations- und wachstumsgetrieben gewesen. Jetzt wird seine Geschichte in der Hansestadt Lübeck beleuchtet.
Blick in die Ausstellung „Guter Stoff. Textile Welten von der Hanse bis heute“
Der Handel mit Stoff war schon im Mittelalter ein Wachstums- und Innvoationstreiber.
Bild: Olaf Malzahn
Lübeck Kleider machen Leute. Diese Erkenntnis ist kein bisschen neu, sie gilt seit der Antike. Schon der römische Rhetorik-Lehrer Quintilian bereitete seine Schüler so auf ein Leben mit Erfolgsgarantie vor. Hast du was, dann bist du was, lautet die dahinterstehende Grund-Mechanik. Kleidung wird zum sichtbaren Zeichen einer gesellschaftlichen oder auch sozialen Zugehörigkeit. Und wer mehr darstellen will, als ihm tatsächlich zusteht, auch dem hilft Kleidung.
Zum massiven gesellschaftlichen Problem wurde diese Haltung des Vor-Täuschens einer falschen Standeszugehörigkeit erstmals im Mittelalter, als Kleiderstoffe günstiger und damit für viel mehr Menschen erschwinglich wurden. Es ist die Geburtsstunde der Mode. Der ab dem 12. Jahrhundert eingesetzte horizontale Trittwebstuhl machte es möglich. Damit waren die Anfänge einer bis heute anhaltenden ‚Dress for Success‘-Bewegung geboren.
Den vielfältigen Spuren dieser bedeutenden mittelalterlichen Konsum- und Distributionsrevolution geht jetzt das Hansemuseum in Lübeck in einer kleinen und überaus faszinierenden Ausstellung nach. „Guter Stoff – Textile Welten von der Hansezeit bis heute“ zeigt, wie die neuen Möglichkeiten der Stoffherstellung Wirtschaft und Gesellschaft veränderten. Städte, zu denen auch Lübeck gehörte, standen im Zentrum dieser Entwicklung.
Kostbare Stoffe dienten der augenscheinlichen Demonstration von Reichtum. Sie kamen über die Seidenstraße aus Asien nach Europa, während Wollstoffe von Europa bis an die Wolga geliefert wurden. Ein dichtes Netzwerk von Handelswegen etablierte sich. Es war ein Wachstums- und Innovationsmarkt. Die Hanse handelte zwar nicht selber, aber sie schuf Strukturen, die den Handel beförderten.
Um Konkurrenzprodukte zu diskreditieren, entwickelte die Branche der Stoffproduzenten und Lieferanten Markenzeichen, mit denen die Stoffe gekennzeichnet wurden. Siegel, meist aus Blei, und eine spezifische Webkante weisen auf den Produktionsort hin und garantieren Qualität. Wer nicht ordentlich markierte, riskierte den Ausschluss. Einige schöne Beispiele dieser selten zu sehenden Vorformen eines „Made in“ zeigt die klug inszenierte Ausstellung, die immer dann verliert, wenn sie überinszeniert.
Blick in die Ausstellung „Guter Stoff. Textile Welten von der Hanse bis heute“ im Hansemuseum Lübeck
Stoff-Handel hat die Welt schon früh schrumpfen lassen. Die den Globus überspannenden Vertriebswege haben die Welt verkleinert, aber auch anfälliger gemacht.
Bild: Olaf Malzahn
Breite, nachgewebte Stoffbahnen, die wie Baldachine von der Decke hängen, können nicht wirklich überzeugen. Wenn aber Originale gezeigt werden, wie das mittelalterliche, aus Wolle und Seide gefertigte grüne „Kinderoberkleid mit Seidenband an Kragen, Knöpfen und Ärmeln“ oder ein Seidentäschchen mit einem Bügelrahmen aus Messing, dann gewinnt die Präsentation eine Wirklichkeitsdimension hinzu. Eine solche stellt sich bei technischen Spielereien wie einem schön gemachten „Lebenden Buch“, das als interaktives Lehr- und Lernspielzeug einen eigenen Raum bekommen hat, nicht ein.
Höhepunkt dieser frühen ‚Konsumrevolution‘ ist das 15. Jahrhundert. Sogar bisher weniger Betuchte können sich jetzt Mode leisten, die Ausgaben für Kleidung steigen mit den günstiger werdenden Stoffen signifikant. Um der neuen Lust an Mode Einhalt zu gebieten, entwickeln Städte Luxusordnungen. Nach Einkommensgruppen gegliedert wird vorgeschrieben, was an Kleidung und Schmuck gekauft und damit getragen werden soll.
Seide durfte fortan nicht mehr jeder und jede anziehen, auch wenn es der Geldbeutel zuließ. Kermes-Rot, eine höchst kostbare Farbe, die aus den Eiern der Kermes-Laus gewonnen wird, war für die meisten ebenfalls verboten. Geldstrafen dienten der Durchsetzung. Also wurden Schlupflöcher gesucht. Schwarz war die Lösung. Es wurde von den Blaufärberinnen verarbeitet, die neben Schwarz auch Grün produzieren durften.
Diese Nicht-Farbe Schwarz blieb erlaubt, obwohl ein intensives und langlebiges Schwarz zum Färben von Stoff nur mit viel Aufwand herstellbar und deswegen teuer war. Aber immerhin fiel es nicht unter das Luxus-Verbot, wie andere Farben. Deswegen trugen die aufstrebenden gesellschaftlichen Schichten gerne Schwarz. Farbe bleibt ein zentrales Distinktionsmittel der Gesellschaft.
Die Hose für Männer wird ebenfalls im Mittelalter erfunden, die hüftlangen Strümpfe werden unmodern. Körperbetonung ist angesagt. Neue Farben und Muster lassen den Markt weiterwachsen, begeistern die Käuferschaft. Der Adel ist Trendsetter, der Rest der vermögenden Bevölkerung folgt ihm.
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Die Ausstellung vermittelt das Bild eines bunten Mittelalters, weil sie sich vor allem mit denjenigen Städtern beschäftigt, die sich leuchtende Farben und vielgestaltige Muster leisten konnten. Von der dunklen Seite dieser Zeit berichtet die Ausstellung nicht. Dafür hat sie sich die dunklen Seiten der Stoffproduktion vorgenommen. Farben, die Gewässer vergifteten und Färbepflanzen, über die sich schon Martin Luther beschwerte, weil sie übermäßig die Landschaft belasteten. Sie markieren den Beginn der konsumbedingten Umweltverschmutzung.
Stoffhandel hat die Welt schon früh schrumpfen lassen. Die den Globus überspannenden Vertriebswege haben die Welt verkleinert, aber auch anfälliger gemacht. Das verliert die Ausstellung nicht aus dem Blick. Die heute aus dem Takt geratene Schrittfolge von Konsum, Produktion und Handel wird folgerichtig durch Fragen zur Nachhaltigkeit ergänzt, die bereits im Mittelalter Relevanz hatten. Und deren Bedeutung die sehenswerte Ausstellung bis in unsere Zeit verfolgt.
„Guter Stoff. Textile Welten von der Hanse bis heute“, Hansemuseum Lübeck, bis 23. April. Das Begleitmagazin hat 129 Seiten und kostet 9,90 Euro
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