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18.01.2023

10:25

Ausstellung

Wie der Islam in die christliche Kunst kam

Von: Susanne Schreiber

Eine verblüffende Ausstellung in Hildesheim zeigt, wie sich in einem einzigen Kunstwerk islamische und christliche Motive ergänzen. Die Verflechtung besiegt Vorurteile.

Das Reliquienbehältnis aus dem 10. Jahrhundert ist eines der ältesten Objekte des Hildesheimer Domschatzes. Oben wird es von einer islamischen Schachfigur aus Bergkristall bekrönt. Kruszewski / bph

Keilförmiges Reliquiar

Das Reliquienbehältnis aus dem 10. Jahrhundert ist eines der ältesten Objekte des Hildesheimer Domschatzes. Oben wird es von einer islamischen Schachfigur aus Bergkristall bekrönt.

Hildesheim Unsere Denkschablonen gehen davon aus, dass ein christliches Kunstwerk ausschließlich aus christlichen Elementen besteht. Und entsprechend ein islamisches Kultobjekt nur aus Motiven des arabisch-iranischen Kulturkreises. Das ist zwar meistens der Fall. Doch es gibt reihenweise so verblüffende wie prachtvolle Beispiele aus der mittelalterlichen Schatzkunst, wo sich christliche Formen mit islamischen Formen verbinden. Und zwar als Ausdruck höchster Wertschätzung.

Hier setzt die glanzvolle und wichtige Ausstellung im Dommuseum Hildesheim an. Unter dem Titel „Islam in Europa 1000 bis 1250“ versammelt sie noch bis 12. Februar Bergkristallgefäße, Elfenbeinschnitzerei, Bronzekannen, Handschriften sowie Astrolabien, deren Dekor sich aus beiden Welten speist. Anhand von feinsten Kunstobjekten zeichnet die Schau erstmals eine Geschichte der Gemeinsamkeiten und der Verflechtungen zwischen beiden Religionen nach.

Ein silbernes Madonnenrelief auf keilförmigem Reliquiar bedient auf den ersten Blick zum Beispiel noch die Erwartung, es mit einem rein christlichen Objekt zu tun zu haben; auch dessen Verzierung durch Halbedelsteine. Doch bekrönt ist das Reliquienbehältnis aus dem Domschatz von Hildesheim mit einem Bergkristall aus dem Reich der Abbasiden. Die Großmacht beherrschte den Vorderen Orient zwischen 749 und 1258.

Beim wallenden Madonnenhaar ist ferner ein rot leuchtender Siegelstein mit einem arabischen Namen eingelassen. Wie ist das Zusammentreffen von christlichen und islamischen Elementen in einem einzigen Kunstwerk möglich?

Der staunende Besucher und die Katalogleserin lernen, dass damals niemand im Mitteleuropa Bergkristall von dieser Größe zu schleifen wusste. Große Werkstätten für Kristallschleifer gab es nur in den Zentren der politischen und religiösen Elite in Konstantinopel, Bagdad und Cordoba. Der Klerus in der Hildesheimer Provinz wollte teilhaben an dieser geschmacksbildenden Hochkultur. Doch an islamische Kostbarkeiten zu kommen, war schwer. Meist fanden sie als Geschenke des Kaisers Eingang in das Kultur- und Machtzentrum von Hildesheim.

Die arabische Inschrift im roten Stein benennt in der oberen Zeile den Namen Muammad ibn Ismāʿīl (Muammad Sohn des Ismāʿīl. Die Buchstaben der zweiten Zeile sind nicht lesbar. Florian Monheim; Dommuseum Hildesheim

Arabischer Stein im keilförmigen Reliquiar

Die arabische Inschrift im roten Stein benennt in der oberen Zeile den Namen Muammad ibn Ismāʿīl (Muammad Sohn des Ismāʿīl. Die Buchstaben der zweiten Zeile sind nicht lesbar.

„Der Bergkristall galt als zu Stein gefrorenes Wasser,“ erläutert Kurator Felix Prinz im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Diese Verwandlung von Wasser in Stein wurde von den Theologen des Mittelalters als ein Bild für die Verwandlung des am Kreuz gestorbenen Christus in den Auferstandenen interpretiert. Der Bergkristall wurde so zu einem Bild für Christus selbst.“

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Damit passt der einst als abstrakte Schachfigur geschaffene Bergkristall programmatisch eben doch zum Marienrelief. Genauso wie das Siegel mit arabischer Schrift. Arabische Buchstaben assoziierten Gebildete damals mit dem Heiligen Land und deshalb mit der Heilsgeschichte des Christentums. Das Siegel und der Kristall wurde aus Verehrung in das Reliquienbehältnis eingefügt.

Felix Prinz hat die von zwölf Sponsoren geförderte Ausstellung im Team mit Claudia Höhl und Pavla Ralcheva kuratiert. Erstmals werden in einem mittelalterlichen Kirchenschatz Kunstwerke auf Formen aus dem islamischen Kulturkreis untersucht. Zu Tage tritt eine faszinierende, höchst verwickelte Geschichte von Aneignung und Nachahmung. Techniken wie der Bronzeguss migrieren ebenso wie Webmuster oder Bildprogramme. Die Schau zeigt, wie vielfältig die christlich-islamische Vergangenheit war.

Dem Team im Dommuseum ging es nicht darum, abermals die Geschichte der Kreuzzüge zu erzählen. Die Ausstellung zur sakralen Schatzkunst geht von eigenen Objekten aus und nimmt berückende Leihgaben hinzu, um die gemeinsame Geschichte der Kulturen herauszuarbeiten.

„Man weiß bei den meisten Objekten nicht, wie sie nach Hildesheim gelangt sind,“ sagt Prinz. Er sieht sie eher als Handelsobjekte oder als diplomatische Geschenke, denn als Raubkunst.

Die Ausstellung im Dommuseum Hildesheim zeichnet erstmals eine Geschichte der Gemeinsamkeiten und der Verflechtungen zwischen Islam und Chritientum nach. Kruszewski / bph

Blick in die Ausstellung „Islam in Europa 1000 bis 1250“

Die Ausstellung im Dommuseum Hildesheim zeichnet erstmals eine Geschichte der Gemeinsamkeiten und der Verflechtungen zwischen Islam und Chritientum nach.

Aus Kairo stammt eine außerordentlich attraktive Bergkristallkanne, die wahrscheinlich ein diplomatisches Geschenk war und im Barock nach San Marco in Venedig gelangte. Das Relief aus Blättern und Gepard fußt auf persischen Motiven. Eine arabische Inschrift am Hals erbittet den Segen Gottes über den Fatimidenkalifen al-Azīzbillah.

Den Klerus in San Marco störten der arabische Dekor und Segenswunsch nicht, im Gegenteil. Er schätzte den seltenen Krug hoch, wollte er doch auch am Glanz des Hofs von Kairo anknüpfen.

Islamische, persische und antike Elemente nebeneinander

Auch die Auftraggeber des Godehard-Schreins verstanden das hauchfeine byzantinische Seidengewebe als inwendige Nobilitierung der Goldschmiedearbeit. Denn das Gewebe, „so zart wie ein Windhauch“, vereint nebeneinander islamische, persische und antike Elemente. Leicht transportable Textilkunst waren einst das wichtigste Medium für den transkulturellen Austausch von Formen und Webmustern.

Zur interkulturellen Verflechtung fand 1989 im Berliner Gropiusbau schon die Ausstellung „Europa und der Orient. 800 bis 1900“ statt. Einige wenige der Hildesheimer Exponate figurierten bereits dort. 2007 fand die Documenta 12 unter der Überschrift „Migration der Form“ statt.

So schwach sie auch als Überblick auf die Gegenwartskunst war, schärfte die d12 doch entschieden unser Bewusstsein für die Wanderung von Motiven in der Kunst. Nach dem islamistischen Angriff auf die Zwillingstürme von Manhattan 2001 nahm die Mittelalter-Forschung dann verstärkt Gemeinsamkeiten und Verflechtungen in den Blick, erläutert Felix Prinz.

Islam in Deutschland

„Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland,“ hatte Christian Wulff in seiner Rede zum 3. Oktober 2010 festgestellt. Der damalige Bundespräsident meinte unsere Gegenwart und Zukunft. Dass es aber auch eine gemeinsame Vergangenheit gibt, die sich in kostbarer kirchlicher Schatzkunst widerspiegelt, hat auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth verstanden. Ihr Amt fördert nun - neben Hildesheim - auch die Erforschung der Domschätze in Bamberg, Essen, Paderborn und Regensburg auf islamische Elemente und Techniken, Muster und Formen hin.

„Islam in Europa 1000 bis 1250“, bis 12. Februar 2023, Dommuseum Hildesheim. Die Museumsausgabe des Katalogs ist bereits vergriffen. Die Buchhandelsausgabe verlegt Schnell+Steiner. Sie kostet 35 Euro. Führungen bietet das Dommuseum Hildesheim in deutscher, türkischer und arabischer Sprache an.

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