Marseille ehrt die aus Ägypten stammende Künstlerin Ghada Amer mit vier parallelen Ausstellungen und der französischen Staatsbürgerschaft.
Ghada Amer „Self-Portrait In Black And White“
2020 entstand mit Pinsel und Stickgarn das Selbstporträt in Schwarzweiß.
Bild: Lepkowski Studios; Ghada Amer
Marseille Wären da nur die schwarz umrandeten Augen und die etwas lange Nase von Ghada Amer, könnte man an Nofretete denken. Das dunkle, krause Haar der in Ägypten geborenen Künstlerin deutet jedoch auf eine Querdenkerin hin, eine feministische Kämpferin für die rechtliche und sexuelle Freiheit aller Frauen. Damit sind insbesondere jene Frauen gemeint, die in Ländern leben, in denen die Religion ihr Leben radikal einschränkt.
Die Stadt Marseille hat Ghada Amer vier Ausstellungen gleichzeitig ausgerichtet. Sie berücksichtigen alle Aspekte ihres dreißigjährigen Schaffens.
Ghada Amer wurde 1963 in Kairo geboren und kam mit elf Jahren nach Nizza. Dort begann sie ihre Kunstausbildung, die sie an der Pariser Kunstakademie fortsetzte. Ihr Eindruck, als Frau wäre es unmöglich, in Frankreich als Malerin Karriere zu machen, trieb sie 1996 nach New York.
Von Amerika aus gelang es ihr, mit ihrer Arbeit nicht nur den Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann zu überzeugen, der sie 1999 zur Biennale nach Venedig einlud, sondern auch Jean-Hubert Martin. Der Franzose stellte einige ihrer Werke im Jahr 2000 im Rahmen der Kunstbiennale von Lyon vor.
Amers Gemälde erscheinen auf den ersten Blick wie ein abstraktes Farben- und Fäden-Gewirr, das bei genauer Betrachtung stilisierte, auf die Leinwand gestickte Frauengestalten erkennen lässt: Gesichter mit Pin Up- oder Pop Art-Charakter, zwei Frauen, die einander verführend betasten oder umschlingen oder Frauendarstellungen aus Pornozeitschriften, die sich der einsamen Lust hingeben.
Ghada Amer
Blick in die Ausstellung „Ghada Amer, Witches and Bitches“ im Frac Provence-Alpes-Côte d’Azur in Marseille.
Bild: Ghada Amer; Frac
Die Künstlerin wollte diese von Männern geprägte Vision des weiblichen Körpers entlarven. Vielleicht kam genau diese doppelte Lektüre ihrer Gemälde bei vielen männlichen Sammlern und Kuratoren besonders gut an.
Seit sie ihren Aktionsradius mit Beginn des 21. Jahrhunderts enorm ausweitete, um Installationen für Gärten, Skulpturen und Keramiken herzustellen, ist die künstlerische Stoßrichtung weniger überzeugend. Das schlägt sich auch auf die Preisgestaltung nieder.
Der höchste Auktionszuschlag geht auf das Jahr 2013 zurück, als Sotheby’s in London für das bestickte Gemälde von 2005, „The Golden Painting 2“, 146.500 Pfund verzeichnen konnte. Das entsprach damals 223.153 Dollar. Christie’s schlug 2011 in New York „Eight Women in Black & White“ aus dem Jahr 2004 für 146.500 Dollar zu.
Die Exiliranerin Shirin Neshat ist eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart. Ihr Blick auf den Iran sucht die Mehrdeutigkeit – und stellt die Frau in den Vordergrund.
Von den vier Galerien, die Ghada Amer vertreten, ist die in Berlin und Palma de Mallorca aktive Galerie Kewenig die einzige, die dem Handelsblatt aktuelle Preise mitteilte. Für Gemälde muss man mit 175.000 Dollar rechnen, für die Keramiken zwischen 15.000 bis 100.000 Dollar, je nach Größe.
In der optisch gelungensten Ausstellung, in der Kapelle des ehemaligen Armenhauses „Vieille Charité“, sieht die Besucherin bunte Keramiken, die Kewenig produziert und verkauft. Mit ausgestellt sind dunkle, großformatige Bronzen in Form von Paravents. Sie wurden von der New Yorker Tina Kim Gallery produziert. Preise werden jedoch nicht verraten.
Senta Kewenig zufolge kommen Ghada Amers Garten-Installationen quer über den Erdball gut an. Für den Garten in Marseille, der auf dem Hügel der Festung Saint-Jean liegt und den Blick auf den neuen Hafen freigibt, verwendet Amer erstmals arabische Schriftzüge.
Ghada Amer
Der in Korten-Stahl ausgeführte Schriftzug lautet: „Die Stimme der Frau ist Revolution“.
Bild: Yves Inchierman; Mucem
Die in ein Beet eingelassenen Schriftzeichen aus Kortenstahl bilden den programmatischen Satz: „Die Stimme der Frau ist Revolution“. Dabei änderte die Künstlerin nur einen Buchstaben, um den in der arabischen Welt üblichen Ausspruch „Die Stimme der Frau ist Ursprung der Scham“ umzuformulieren.
Die Installation konzipierte Amer für einen saudi-arabischen Auftraggeber. Die Bestellung wurde jedoch wegen des Wortes „Revolution“ storniert. Die multikulturelle Stadt Marseille akzeptierte das Werk umso lieber. Schließlich verleiht Frankreich der Künstlerin endlich die französische Staatsbürgerschaft. Ghada Amer, die auch einen amerikanischen Pass besitzt, sagt zum Handelsblatt: „Ich fühle mich einfach als Französin!“
„Ghada Amer“, bis 16.4., Mucem, Fort Saint-Jean — Bâtiment Georges Henri Rivière (Mucem: Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée), Marseille
„Ghada Amer. La voix de la femme est Révolution“, bis 16.4., Garten des Fort Saint-Jean, Mucem, Marseille
„Ghada Amer. sculpteure“, bis 16.4., Chapelle du Centre de la Vieille Charité, Marseille
„Ghada Amer. Witches an Bitches“, bis 26.2., Frac - Provence-Alpes-Côte d’Azur, Marseille
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