Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

27.12.2022

08:53

Bilanz der Auktionen in 2022

Absicherung statt Investment: Der neue Trend auf dem Kunstmarkt

Von: Christian Herchenröder

2022 ist ein Jahr der Kontraste. Herausragende Privatsammlungen haben bei Christie’s, Phillips und Ketterer zu glänzenden Ergebnisse geführt. Eine Analyse

Christie‘s konnte die Kunstsammlung des Microsoft-Mitgründers für zuvor nie erreichte 1,6 Milliarden Dollar versteigern. Christie's Images Ltd. 2022

Paul Allen Sammlung

Christie‘s konnte die Kunstsammlung des Microsoft-Mitgründers für zuvor nie erreichte 1,6 Milliarden Dollar versteigern.

Berlin Es ist schon paradox. Eine abgekühlte Weltwirtschaft, hohe Inflationsraten, Energieprobleme, Rezessionsangst, unstete Börsen, der Kollaps der Krypto-Währungen und der Rückgang des privaten Konsums prägen das zweite Halbjahr 2022. Die schwächelnde Konjunktur in China und eine geschrumpfte US-Wirtschaft trüben die Entwicklung.

In dieser Situation zeigen sich die Kunstmärkte in einer erstaunlich robusten, streckenweise sogar glänzenden Verfassung. Das gilt nicht für den Markt in seiner Gesamtheit. Es sind die Auktionen, die ihn beherrschen, und die in aller Munde sind – mehr als die Messen, die nach der Covid-Pause zwar wiedererstanden sind, aber nicht wieder die rasanten Verkaufserfolge haben, die sie zu alternativen Geldmaschinen machten. Gleichwohl sind die Galerien relativ gut durch die Corona-Krise gekommen – auch dank des staatlichen Programms „Neustart Kultur“.

Zu den prägenden Erscheinungen des Kunstmarktjahrs aber gehört die Bestätigung etablierter Sammeltendenzen. In den Auktionen mit Impressionisten, Moderne und Nachkriegskunst dominierte der Geschmack von „Upper Manhattan“, der die Werke von Claude Monet bis Mark Rothko, Francis Bacon und Andy Warhol schätzt.

Im Kontrast dazu beflügeln die Millennials, die Generation der zwischen 1980 und 1995 geborenen Wohlhabenden, die zum nicht geringen Teil aus dem Start-up-Bereich kommen, mit forschen Geboten den Markt für junge, aufstrebende Künstlerinnen und Künstler.

Was beide Sammlergruppen eint, ist der Trend, dass die von ihnen begehrte Kunst nicht mehr als Investment betrachtet wird. Die Käufer der Blue-chip-Werke erwerben diese laut der Plattform Business Insider als „Absicherung gegen Abwertung“. Die Käufer aufstrebender Kunst denken nicht an Wertsteigerung, weil sie für angesagte Künstler ohnehin schon Rekordpreise bieten. Der neue Geschmack treibt vor allem Werke afro-amerikanischer Künstler von Kerry James Marshall bis Amoako Boafo, ganz besonders aber Werke weiblicher Künstler nach oben.

Bei Christie’s, Sotheby’s und Phillips haben Einlieferungen aus bedeutenden Sammlungen Absatz und Preisflug stimuliert. Christie's Images Ltd. 2022; VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Interieur der Sammlung Bass

Bei Christie’s, Sotheby’s und Phillips haben Einlieferungen aus bedeutenden Sammlungen Absatz und Preisflug stimuliert.

In den New Yorker Frühjahrs- und Herbstauktionen erreichten u.a. Arbeiten von Lucy Bull, Shara Hughes, Christina Quarles und Anna Weyant unerwartet hohe Auktionserlöse von 1,6 bis 4,5 Millionen Dollar. Hier handelte es sich um Arbeiten, die in den Jahren 2017 bis 2021 entstanden sind. Die 1995 geborene Hyperrealistin Anna Weyant ist seit ihren Instagram-Auftritten und seit sie mit dem Megagaleristen Larry Gagosian liiert ist, ein besonderer Liebling der neuen Käufer geworden.

Unter den führenden Auktionshäusern erreichten drei von vier 2022 den höchsten Gesamtumsatz ihrer Geschichte. Christie’s, wo allein schon die Sammlung Paul Allen mit 1,6 Milliarden Dollar einen historischen Rekorderlös bescherte, ist mit einem Jahresumsatz von 8,4 Milliarden Dollar unangefochten der Marktführer. Die Auktionen von Kunst und Luxusgütern erlösten 7,2 Milliarden, Privatverkäufe spielten 1,2 Milliarden Dollar ein.

Auktionen in New York: Christie's setzt 1,3 Milliarden in nur einer Woche um

Auktionen in New York

Christie's setzt 1,3 Milliarden in nur einer Woche um

Ein wildes Tanzbild, ein Skelett und ein amerikanisches Historienbild machen auf Christie's jüngster Abendauktion Furore. Herausragend auch die Ergebnisse der Sammlung Anne Bass.

Sotheby’s hatte auf eine Halbjahresbilanz verzichtet und verkündet nun für das Gesamtjahr 8 Milliarden Dollar. Da sind allerdings Immobilien eingerechnet. Die Kunstauktionen allein liegen bei 5,7 Milliarden Dollar, 9,5 Prozent weniger als 2021. Ein Rekordergebnis legt wiederum Phillips mit 1,3 Milliarden Dollar Umsatz vor. Das Haus kann auf 47 Prozent neue Käufer und auf eine Steigerung der Privatverkäufe um 20 Prozent verweisen.

Die wachsende Attraktivität des Marktplatzes Paris bezeugen nicht nur die deutlich an Substanz gewinnenden Auktionen der globalen Auktionshäuser, sondern auch der Rekordumsatz von 216,5 Millionen Euro, mit dem das französische Haus Artcurial wuchern kann.

Bei Christie’s, Sotheby’s und Phillips haben Einlieferungen aus bedeutenden Sammlungen Absatz und Preisflug stimuliert. Die Kunstmarkt-Analysten von ArtTactic haben für 2022 einen Zuwachs der „Single Owner Collections“ von 30,9 Prozent in den drei Häusern errechnet.

Sotheby’s kann darauf pochen, dass es mit einem Jahresumsatz von 1,1 Milliarden Dollar Marktführer in Asien bleibt und das mit einem im Luxusdistrikt von Hongkong geplanten Stützpunkt unterstreicht. Sotheby's

Sotheby's Asiengeschäft

Sotheby’s kann darauf pochen, dass es mit einem Jahresumsatz von 1,1 Milliarden Dollar Marktführer in Asien bleibt und das mit einem im Luxusdistrikt von Hongkong geplanten Stützpunkt unterstreicht.

Es war weltweit ein Jahr brillanter Sammlungen auf dem Auktionsblock, wenn man nicht nur an die Sammlung Paul Allen bei Christie’s, sondern auch an die Al Thani Collection bei Sotheby’s in Paris, die Sammlung Grasset bei Sotheby’s in London und die Sammlung Gerlinger bei Ketterer in München denkt.

Die meisten von ihnen sind Symptom eines großen Vermögenstransfers, der noch ein Jahrzehnt andauern wird, weil die alte Generation superreicher Sammler ihre Kunstschätze nicht mehr den Museen vermacht, sondern in den Markt zurückfließen lässt.

Unter den fünf höchsten Auktionszuschlägen dieses Jahres, die von 149,2 Millionen Dollar für Georges Seurats Gemälde „Les Poseuses“ angeführt werden, ist neben Bildern von Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Paul Gauguin nur ein Werk der Nachkriegskunst: Andy Warhols „Blue Marilyn“ von 1964. Sie erreichte in einem Stützkauf von Larry Gagosian mit 195 Millionen Dollar bei Christie’s knapp die untere Schätzung.

Auktion in New York: Privatsammlung von Microsoft-Mitgründer Paul Allen erlöst Milliardensumme

Auktion in New York

Privatsammlung von Microsoft-Mitgründer Paul Allen erlöst Milliardensumme

Christie‘s nimmt für die ersten 60 Kunstwerke aus dem Nachlass des Microsoft-Mitgründers mehr als 1,5 Milliarden Dollar ein.

Schon das zeigt, dass im Markt nicht alle Preisvorstellungen reüssieren. Immer wieder zeichnet sich selbst in Prestige-Auktionen eine gewisse Höhenangst der Bieter ab, die lediglich die untere Schätzung als Richtwert gelten lässt.

Das ist gesundes Marktverhalten in einer Auktionsszene, die vor allem in den Versteigerungen der drei Großen von Garantien Dritter und von „irrevocable bids“, den unwiderruflichen, geheimen Geboten, geprägt ist. Das ist eine seit 2008 gepflegte Marktstrategie, den Absatz der Star-Lose abzusichern.

In der Allen-Auktion war jedes Los mit einer Garantie versehen; zwölf von 22 Losen waren es in Sotheby’s Auktion zeitgenössischer Kunst am 16. November, 18 von 44 Losen in der Versteigerung moderner und zeitgenössischer Kunst bei Phillips. Das zeigt, wie sehr das Vertrauen in eine offene und öffentliche Preisbildung geschwunden ist.

Das Bild aus der Sammlung Gerlinger erlöste 4,75 Millionen Euro. Ketterer Kunst GmbH & Co KG

Ernst Ludwig Kirchner „Blaues Mädchen“

Das Bild aus der Sammlung Gerlinger erlöste 4,75 Millionen Euro.

Mit Blick auf die Allen-Auktion erscheinen Impressionisten und Moderne als Marktführer. Aber ganzjährig betrachtet, ist es wieder die zeitgenössische Kunst, die den Markt beflügelt. Der Onlinedienst Artprice hat in einer Studie, die den Zeitraum von Juli 2021 bis Juni 2022 umfasst, einen globalen Umsatz von 2,7 Milliarden Dollar in den Auktionen der Gegenwartskunst errechnet, eine Absatzsteigerung von 20 Prozent in den USA und einen Verlust von 33 Prozent in China.

In der Herbstsaison 2022 sind allerdings laut ArtTactic die Umsätze für moderne und zeitgenössische Kunst in den Hongkong-Auktionen der drei Großen im Vergleich zum Herbst 2021 um 34,3 Prozent gesunken. Doch das lässt sich als vorübergehende Flaute deuten, die der Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung geschuldet war.

Investitionen in Asien

Sotheby’s kann darauf pochen, dass es mit einem Jahresumsatz von 1,1 Milliarden Dollar Marktführer in Asien bleibt und das mit einem im Luxusdistrikt von Hongkong geplanten Stützpunkt unterstreicht. Auch Phillips lässt sich nicht lumpen. Im Kulturdistrikt der Stadt lässt das russische Unternehmen ein von Herzog & de Meuron entworfenes sechsstöckiges Hauptquartier bauen. Das ist eine plausible Investition: Auf asiatische Kunden entfallen nach Auskunft des Hauses 34 Prozent des Jahresumsatzes und 40 Prozent dieser Käufer sind Millennials, also Sammler unter 40.

Der Markt für die Kunst von heute ist aber nicht alles. Auch andere Sammelgebiete beleben den Markt. Für Sammler von Antiken und Ausgrabungsobjekten bleibt die römische Skulptur Marktmagnet. Ein Paradebeispiel ist die um 140 n. Chr. entstandene Marmorbüste des Kaisers Antonius Pius. Sie erlöste am 6. Dezember bei Sotheby’s 7,7 Millionen Pfund.

Der mit Tempera auf Holz gemalte Madonnen-Tondo aus der Sammlung Paul Allen kam auf 48,5 Millionen Dollar. Christie's Images Ltd. 2022

Sandro Botticelli

Der mit Tempera auf Holz gemalte Madonnen-Tondo aus der Sammlung Paul Allen kam auf 48,5 Millionen Dollar.

Der Altmeistermarkt hatte neben dem Botticelli-Rundbild aus der Allen-Sammlung die Wiederkehr erstrangiger Stillleben aus der bei Sotheby’s ausgebotenen Sammlung Grasset zu bieten. Die vieldeutigen Blumen- und Früchtearrangements sind zwar nicht mehr so teuer wie in den 1990er-Jahren. Aber sie konnten immerhin Preise wie 2,7 Millionen Pfund für ein Blumenstück von Jan Davidsz. de Heem und 2 Millionen Pfund für ein großes Frühstücksstillleben des Floris van Dijck einspielen. Ein stattlicher Preis sind auch die im Juli bei Christie’s für eine Quellnymphe von Lucas Cranach d. J. gebotenen 9,4 Millionen Pfund.

Der deutsche Expressionismus hat in diesem Jahr wieder deutlich an Boden gewonnen. Das ist nicht nur superben Einzelwerken wie dem restituierten Franz Marc-Gemälde „Füchse“ zu verdanken, das bei Christie’s im März 42,7 Millionen Pfund realisierte. Auch die 23,2 Millionen Euro für Max Beckmanns „Selbstbildnis gelb-rosa“ wären da zu nennen. Käufer ist Reinhold Würth, wie er selbst im Gespräch mit dem Handelsblatt publik gemacht hat. Der Unternehmer und Schraubenmilliardär war bereits vor Jahren als Käufer von national bedeutendem Kulturgut aufgefallen. So erwarb er etwa die Holbein-Madonna und eine Skulptur von Tilman Riemenschneider.

Auktionen: Ketterer Kunst: Jahresumsatz reißt erstmals die 100-Millionen-Marke

Auktionen

Ketterer Kunst: Jahresumsatz reißt erstmals die 100-Millionen-Marke

Das Münchner Auktionshaus Ketterer zieht eine herausragende Bilanz. Die Dezemberauktionen wurden eine Sternstunde vor allem für den Expressionismus-Markt.

Nachhaltig in die Breite wirken die Millionenerlöse für Werke von Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner in der mit einem Rekorderlös verwöhnten Herbstauktion von Robert Ketterer. Mit einem Jahresumsatz von über 100 Millionen Euro ist Ketterer Kunst wieder deutscher Marktführer.

Der Markt für Möbel des 18. Jahrhunderts hatte in den Auktionen der Sammlung Gordon Getty bei Christie’s und der Pariser „Hotel Lambert”-Auktion mit den Al Thani-Objekten bei Sotheby‘ s erfolgreiche Auftritte bis zum Hochpreis von 3,6 Millionen Euro für zwei vergoldete Sessel der Epoche Louis Seize.

Die New Yorker Design-Woche von Christie’s, in der 98 Millionen Dollar umgesetzt wurden, bestätigt die anhaltende Stärke dieses Sammelgebiets. Hier gab es Millionenpreise, zu denen 8,4 Millionen Dollar für einen lebensgroßen Esel des französischen Marktfavoriten François-Xavier Lalanne zählen.

Höhepunkt der Juwelenauktionen war der rosa Diamant von 11.15 Karat, den Sotheby's in Hongkong für 57,7 Millionen US-Dollar absetzen konnte.

„Williamson Pink Star”

Höhepunkt der Juwelenauktionen war der rosa Diamant von 11.15 Karat, den Sotheby's in Hongkong für 57,7 Millionen US-Dollar absetzen konnte.

In dem eher schwächelnden Fotografie-Markt gab es allerdings den unerhört hohen Erlös von 12,4 Millionen Dollar bei Christie‘s für Man Rays berühmten Rückenakt „Le Violon d’Ingres“.

Den Grafikmarkt beleben schon rein zahlenmäßig die in den Herbstauktionen von Sotheby’s bis 1,5 Millionen Dollar teuren Siebdrucke von Andy Warhol. Schon im März hatte Pablo Picassos Radierung „Le repas frugal“ aus der Sammlung Heinz Berggruen bei Christie’s mit 6 Millionen Dollar eine einsame Wegmarke gesetzt.

Den Luxusmarkt beherrschen im zweiten Halbjahr die Juwelenauktionen. Sie hatten diesmal nicht in Genf ihren Höhepunkt, sondern bereits im Oktober in Hongkong. Da konnte Sotheby’s den „Williamson Pink Star“, einen rosa Diamanten von 11.15 Karat für 57,7 Millionen US-Dollar absetzen.

Mehr: Der Kunstmarkt im ersten Halbjahr 2022: Halbjahresbilanz der Auktionsriesen: Ein zwiespältiges Ergebnis

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×