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06.01.2022

16:07

Buchbesprechung

Geschichten aus der Welt der Kunstmesse: Ein Geschäftsmodell gerät in die Krise

Von: Stephanie Dieckvoss

Stehen die Kunstmessen vor dem Aus? Die Londoner Kunstmarktjournalistin Melanie Gerlis lässt 60 Jahre Messehistorie Revue passieren.

Besucher der Art Miami, eines Teils des Rahmenprogramms der Messe für Moderne und Gegenwartskunst. AP Photo/Lynne Sladky

Art Basel Miami Beach im Dezember 2021

Besucher der Art Miami, eines Teils des Rahmenprogramms der Messe für Moderne und Gegenwartskunst.

London An Kunstmessen scheiden sich seit jeher die Geister. Die einen lieben sie, nämlich Besucher und zufriedene Galeristen, die anderen hassen sie, meist Künstler und unzufriedene Galeristen. Das Gute an Melanie Gerlis’ neuem Buch „The Art Fair Story. A Rollercoaster Ride“ (Lund Humphries 2021) ist, dass es unterhaltsam genug ist, für Vertreter beider Fraktionen eine spannende Geschichte aufzurollen, die weit über das enge Thema von Messen zeitgenössischer Kunst hinausreicht und sich leicht an einem Wochenende lesen lässt.

In kondensierter, anschaulicher Form beschreibt sie die wichtigsten Stufen der Entwicklung des Marktes für zeitgenössische Kunst in den letzten Jahrzehnten und ruft wesentliche Meilensteine in Erinnerung: von den Wiederaufbaujahren in Europa in den 1960ern mit der Entwicklung der Art Cologne und darauf folgend der Art Basel bis zur Globalisierung und dem pilzartigen Aufspringen von Messen in jedem selbst definierten Kulturzentrum auf der Welt – bis hin zum abrupten Innehalten durch die Pandemie.

Vor dem Corona-Ausbruch erzielten Galerien im Durchschnitt an die 50 Prozent ihres Jahresumsatzes durch Teilnahme an jährlich fünf bis 20 der 365 Messen weltweit – Anlass genug, diesem Phänomen ein eigenes Buch zu widmen.

Weitgehend chronologisch angeordnet, bilden ihre Minihistorien ein Patchwork von Messegeschichten, das sich aus publizierten Quellen, aber vor allem auch aus Interviews und Zitaten speist. Diese Mischung bietet spannendes Lesefutter für Professionelle wie Amateure.

Das schmale, gebundene Buch besticht auch durch sein klares Design, dem leider die Bilder fehlen, die Messegeschichten so anschaulich machen. Dennoch wird eine Welt lebendig, in der Menschen im Zentrum der Großveranstaltungen stehen.

Wenn etwa die Autorin beschreibt, wie der Londoner Altmeisterhändler Johnny Van Haeften mit seinem Kollegen Peter Finer auf der Maastrichter Tefaf mit Kanonenkugeln Boule spielte oder wie die Art HK in Hongkong, die ShContemporary in Schanghai und die Art Singapore um die Messevormacht in Asien rangelten.

In Miami wurde das Messeaufgebot in diesem zweiten Pandemie-Winter besonders dankbar wahrgenommen. imago images/ZUMA Wire

Auf der Art Basel Miami Beach

In Miami wurde das Messeaufgebot in diesem zweiten Pandemie-Winter besonders dankbar wahrgenommen.

Nicht alles mag historisch adäquat recherchiert sein, und Gerlis’ Bemühen, große geschichtliche Würfe auf wenige Zeilen zu verkürzen, geht nicht immer auf. Mit Vorsicht zu genießen ist ihr Entwurf eines Kunstmarkts, der einzig vom Wachstum und dem Auf und Ab der Wirtschaft geprägt ist. Diese Art der Geschichtsschreibung, die einzig auf Fortschritt fixiert ist, scheint in der heutigen Zeit anachronistisch.

Eine Sprache, die leichtfüßig Asien als „erobert“ und die Messelandschaften als ein „Empire“, also ein Reich, beschreibt, hilft da wenig. Dies vor allem, da die Zukunft Asiens und vor allem Hongkongs nicht nur aufgrund der problematischen Menschenrechtslage, sondern auch wegen der geschlossenen Grenzen durch das Coronavirus im Hinblick auf den Kunstmarkt fragwürdiger denn je ist. Hier kommt der Finanzhintergrund der Journalistin zum Tragen, der politische und kulturelle Kontexte an den Rand drängt.

Auch Südamerika mit seinen bedeutenden Messen in Mexiko und Brasilien ist ein blinder Fleck in ihrem Weltbild. Aber jede Autorin setzt ihre eigenen Schwerpunkte, und Lücken kann man überall finden. Dies sollte nicht von den positiven Aspekten der Publikation ablenken.

Melanie Gerlis: The Art Fair Story: A Rollercoaster Ride
Verlag Lund Humphries Publishers Ltd., London 2021
104 Seiten
19,99 Pfund

Interessant ist der Erscheinungstermin des Buchs, das in einer neuen Serie mit „heißen Themen“ aus der Kunstwelt in Zusammenarbeit mit Sotheby’s Institute of Art in London erschienen ist. Darin erschien auch Georgina Adams lesenswertes Buch „The Rise and Rise of the Private Museum“ (2021).

Die Pandemie hat viele Bereiche des Kunstmarkts unwiderruflich verändert, aber kein anderer Sektor sieht der Zukunft so ungewiss entgegen wie Messeorganisationen. Manche Marktbeobachter fragen durchaus, ob Kunstmessen zukünftig zum alten Eisen gehören werden. So bleibt die Frage nach der Zukunft der Messen spannend.

Messen werden sich verändern, aber nicht verschwinden

Auch Gerlis kann diese Frage nicht beantworten, aber am Ende des Buchs gibt es interessante Beobachtungen, wie Galerien mit der Krise umzugehen wissen. Für Messen selbst sieht sie ein Aufgehen in einer hybriden Medienlandschaft voraus, in der Präsenzveranstaltungen und digitale Räume Hand in Hand gehen.

Gerlis prognostiziert ein Gesundschrumpfen, gestützt von einem wachsenden Bewusstsein der ökologischen Auswirkungen des ewigen Messezyklus und eines ewig reisenden Markts. Eines ist klar, Messen werden nicht verschwinden, und ein Eintauchen in ihre Geschichte, die viele in den letzten Jahrzehnten begleitet haben, macht Lust auf mehr.

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