Superjachten fungieren als Steuerparadies und transnationales Machtzentrum. Das lang bewunderte Luxusgut steht zunehmend in der Kritik, schreibt der Soziologe Grégory Salle in seinem Buch.
Superjacht Dilbar am Kai von Sotschi
Das in der Bremer Lürssen-Werft gebaute 156 Meter-Schiff, das der Familie eines russischen Oligarchen zugerechnet wird, ließen die Hamburger Behörden 2022 in Beschlag nehmen.
Bild: imago/ITAR-TASS
Hamburg Bis 2020 liegen an den Preview-Tagen für VIPs der Kunstbiennale von Venedig immer große bis sehr große Jachten in der Lagune. Sie sind die Schaubühnen für das große Fressen. Wo sich schwerreiche Sammler tummeln, umgeben sie sich oft mit Künstlern. So war es jedenfalls bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Danach ging es den Jachten und vor allem ihren Besitzern, zumindest einigen, an den Kragen.
Die in der Bremer Lürssen-Werft gebaute 156 Meter Jacht „Dilbar“ wurde zum Beispiel 2022 in Hamburg beschlagnahmt. Sie soll einem der russischen Oligarchen oder einem Familienmitglied gehören. Damit änderte sich schlagartig das Wahrnehmungsmuster dieser schwimmenden Trophäen. Lange Zeit wurden sie als Luxusgut bewundert, als exzentrische Tollheit und Spielzeug der Superreichen. Seit dem Angriffskrieg sind sie zu Objekten der Gesellschaftskritik geworden.
Der französische Soziologe Grégory Salle hat dem Phänomen der Jachten unter diesem Aspekt eine unterhaltsame und lehrreiche 170-seitige Abhandlung gewidmet, die 2021 in Frankreich erschien und Ende vergangenen Jahres auf Deutsch bei Suhrkamp. Salles Buch ist vollscharfsichtiger Beobachtungen und Analysen. Er geht essayistisch vor und sichert sich damit viele Freiheiten in den Darstellungsmöglichkeiten, Häme eingeschlossen.
Grégory Salle: Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän
edition suhrkamp 2790, Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
170 Seiten
16 Euro
Die Titel gebenden „Superyachten“ beginnen für Salle bei 30 Meter Länge, die ungleich imposanteren Mega-Jachten messen schon über 50 Meter. Die Giga-Jachten ab 80 Metern sind die Krönung im Wettlauf um pubertäres Längengehabe. Auch Superlative lassen sich noch steigern, jedenfalls in diesem Segment.
Wenn diese Jachten erst mal auf dem Wasser sind, dann müssen sie natürlich auch ausgestattet sein. Zum Beispiel mit Kunst und Kitsch. Auch darüber schreibt Grégory Salle. Und darüber, dass sie als Versteck dienen können. Das für 450 Millionen Dollar bei Christie’s versteigerte Leonardo da Vinci zugeschriebenen Gemälde „Salvator Mundi“ soll „auf der im Besitz des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman befindlichen Superyacht Serene“ seinen dekorativen Platz gefunden haben.
Amadea in der San Diego Bay
Die 325-Millionen-Dollar-Jacht gehörte einem russischen Oligarchen.
Bild: AP Photo/Gregory Bull
Die Serene misst großzügige 134 Meter. Auf Jachten wie dieser werden Whirlpools nur noch müde belächelt, RainSky-Duschen sind hier längst Standard. Die „verbrauchen 45 Liter Wasser pro Minute und kosten 18.000 Euro“. Bei ihnen kann „man die Tropfengröße und die Geschwindigkeit, mit der sie fallen, regulieren“ zitiert Salle die Firma Dornbracht. Und sie kann sowohl schlichtes Wasser, wie auch vorgewärmten Champagner regnen lassen. Darauf legte ein russischer Auftraggeber Wert.
Vor vier Jahren war auf einer anderen Jacht durch die spielenden Kinder ein Bild von Jean-Michel Basquiat im Wert von 110 Millionen Dollar beschädigt worden, berichtet Salle. Sie bewarfen das Werk mit Cornflakes-Schalen. Durch die ungeschickten Rettungsversuche der Besatzung ist das Bild dann wohl ganz zerstört worden.
Immer mehr Russen landen auf westlichen Sanktionslisten. Aber sie haben vorgesorgt – manche können sogar ihre Villen weiter nutzen.
Für Salle sind die Superjachten ein Sinnbild unserer Zeit. Sie stehen für „die rasante Zunahme wirtschaftlicher Ungleichheit, die Beschleunigung der ökologischen Katastrophe“ und den „Fortbestand juristischer Ungerechtigkeit.“ Jachten von 70 Metern Länge verbrauchen um die 500 Liter Treibstoff pro Betriebsstunde, und wie es den auf wenig rechtsfreiem Platz zusammengepferchten Arbeitern geht, bleibt im Dunkel der Maschinenräume.
Nach Salle ist der Markt der Jachten durch jede Krise noch gestärkt worden, Umsatz und Absatz stiegen kontinuierlich. Es ist ein Separatismus ‚von oben‘, der sich mit ihnen etabliert. Große Jachten sind Hoheitsräume einer demonstrativen Abgeschiedenheit. Das macht sie einzigartig, macht sie nach Salle im „Kapitalozän“ zu Steuerparadiesen und transnationalen Machtzentren. Sie sind das Gegenteil der schwimmenden Städte, der Kreuzfahrtschiffe. Sie sind das neue gesellschaftlich ‚Oben‘ in einer gewollten ‚splendid Isolation‘. Sie sind sichtbar und unsichtbar zugleich.
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