In Potsdam hat SAP-Gründer Hasso Plattner mit dem „Minsk“ ein zweites Museum in einem aufwendig sanierten Bauwerk der DDR-Moderne eröffnet. Im Fokus: der Dialog von Ost- und Westkunst.
Ikonische Architektur der DDR-Moderne
Das nun zum Museum umfunktionierte ehemalige Terrassenrestaurant „Minsk“.
Bild: Ladislav Zajac; DAS MINSK Kunsthaus in Potsdam
Potsdam Es ist ein Potsdamer Juwel. Das in den Siebzigerjahren im modernistischen Stil der DDR erbaute „Minsk“, ein stark frequentiertes Restaurant, das nach der Wende vor sich hindämmerte, wurde nach aufwendiger Restaurierung zum Museum.
Der Milliardär und Mitgründer des Software-Unternehmens SAP gönnt sich mit dem geschichtsträchtigen Bau nach dem 2017 eröffneten Neubau des Barberini ein zweites Privatmuseum. Hier soll künftig Kunst der DDR, wie Plattner sie als Kontrast zu seiner Impressionisten-Sammlung erworben hat, in Dialog mit der Moderne des Westens treten.
2019 erwarb die gemeinnützige Hasso Plattner Foundation das marode, asbestverseuchte Gebäude und baute es zu einem Museum um. Die Foundation wurde 2015 gegründet. Sie finanziert die Einrichtung und den Betrieb des Hauses, wie sie bereits das Museum Barberini unterhält, und fördert neben dem Austausch von Kunst und Kultur auch Umweltschutz und Bildung in Afrika und Forschungsinitiativen im digitalen Bereich.
Schon die Eröffnungsschau in dem zweistöckigen Gebäude, in dem einst legendäre Partys und Bankette stattfanden, ist programmatisch. Im unteren Stockwerk, in dem der Ausstellungssaal mit einer Glaswand von der hellen, einladenden Eingangshalle getrennt ist, sind Gemälde von Wolfgang Mattheuer ausgestellt.
Eine rekonstruierte geschwungene Treppe führt hinauf zum zweiten Ausstellungsareal, in dem ein Video und Fotoarbeiten des Kanadiers Stan Douglas hängen. Der Verweis auf ostdeutsche Ästhetik ist mit einem Tableau von schwarz-beigen Keramikfliesen, die dem Foyer seine Prägung geben, gelungen. Dieses Dekor wurde von der Keramikerin Hedwig Bollhagen entworfen.
Der Biennale-Künstler Douglas, der sich in seinen Werken oft auf literarische Vorlagen bezieht, ist hier mit Aufnahmen Potsdamer Schrebergärten der Neunzigerjahre präsent, Oasen im Stadtraum der Neunzigerjahre, die zum Teil schon damals gefährdet waren und verschwunden sind.
Kunstmäzen Hasso Plattner
Der SAP-Mitbegründer spendierte Potsdam 2017 bereits das Museum Barberini.
Bild: imago/Martin Müller
Von den Fotos, die neutral-dokumentarisch wirken, geht keine Faszination, eher eine nostalgische Wirkung aus. Sie steht im Kontrast zu der von Douglas oft zelebrierten unheimlichen Atmosphäre. Sein Film „Sandmann“ von 1995, der sich auf eine Erzählung von E.T.A. Hoffmann bezieht und in den Kulissen der Defa-Studios aufgenommen wurde, hat mehr von dieser Stimmung, auch wenn er wie in den Fotos den postsozialistischen Wandel dieser Zeit in den Blick nimmt.
Eine Schrebergarten-Szene, hell beleuchtet von einem Sonnenzirkel, ist auch Motiv eines der größten Bilder in der Mattheuer-Ausstellung. Sein Titel „Der Nachbar, der will fliegen“ (1984) verweist auf einen geflügelten Menschen, der sich aus dem spießigen Rückzugsort einer umzäunten Scheinidylle in die Lüfte hebt.
Das Motiv des Ikarus begegnet uns in weiteren Bildern des 2004 gestorbenen Künstlers, der auch als Bildhauer hervorgetreten ist. In dem Gemälde „Seltsamer Zwischenfall“ (1984/91) blicken Menschen im Bus auf den in einer Alpenlandschaft abgestürzten Flügelträger herab. Ist das die Fortsetzung des Schrebergarten-Motivs? Dann wäre der todbringende Fall die Tragödie eines in westlicher Hemisphäre abgestürzten Renegaten.
Auch die Sehnsucht nach Welt prägt dieses Bild, dem Illusion eingeschrieben ist. Ihm geht das 1976 entstandene Großformat „Mensch, ich seh die ganze Welt“ voraus. Mehrere Menschlein kraxeln eine von abgestorbenen Bäumen gesäumte Anhöhe hinauf; auf dem Gipfel verkörpert ein Mann mit ausgebreiteten Armen den Titel.
Stan Douglas „Berliner Straße 105“
Der Künstler umkreist mit seinen Fotos Potsdamer Schrebergärten der Neunzigerjahre, die zum Teil schon damals gefährdet waren und verschwunden sind.
Bild: Stan Douglas, Courtesy Victoria Miro und David Zwirner
1984 schreibt Mattheuer in sein Tagebuch: „Die ganze Welt als Heimat schafft sich keiner. Aber wer die Heimat als ein Stück Welt begreift, kann ein Weltbürger sein.“ Diese illusionäre Ersatzfunktion ist Thema des Bildes.
Mattheuer, der seit 1958 auf fast allen Dresdner Kunstausstellungen figurierte, die den Kanon des sozialistischen Realismus repräsentierten, vertrat eine eigenwillige, an impressionistischen Vorbildern, an Caspar David Friedrich und am belgischen Symbolismus geschulte Position. Eine Landschaft wie „Morgensonne“ (1982) ist Alfred Sisley verbunden und das frühe Werk „Vorfrühling in Reichenbach“ Claude Monet.
Die Abendnebel-Landschaften sind in einen undurchdringlichen Dunst getaucht, dem nur die Mondsichel und schwaches Laternenlicht eine Struktur gibt. Diese Gemälde sind Abbilder gescheiterter Hoffnung, die sich ins Romantische zurückzieht. In der 1992 entstandenen Landschaft „In der Ferne: Reichenbach“ ragt ein massives Baumrepoussoir bedrohlich aus dem rechten Bildrand.
Wolfgang Mattheuer „Der Nachbar, der will fliegen“
Umzäunte Scheinidylle: Befindlichkeiten, auf die Leinwand gebracht 1984 (Ausschnitt)
Bild: Jósef Rosta / Ludwig Museum, Budapest; VG Bild-Kunst, Bonn 2022
1988 trat Mattheuer aus der SED aus, in die er 1958 eingetreten war. Er wurde von der Stasi bespitzelt, sein Spätwerk atmet die Resignation eines, der zweifach den Nationalpreis der DDR erhielt, aber mit seinem Lebenswerk nur einmal in der gesamtdeutschen Szene präsent war: 1999 mit dem Ankauf von Werken für den neuen Bundestag.
Die Ausstellungen „Wolfgang Mattheuer: Der Nachbar, der will fliegen“ und „Stan Douglas: Potsdamer Schrebergärten“ laufen bis 15. Januar 2023. Der Katalog kostet 38 Euro.
Mehr: Ausstellung: Kunst in der DDR: Die Grenze in den Köpfen
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