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30.11.2022

09:32

Debatte

Museen sollen an einer gerechteren Zukunft mitarbeiten

Von: Frank Kurzhals

Die Aufgaben von Museen ändern sich fortlaufend. Zum Sammeln und Bewahren gesellen sich jetzt Diversität und Inklusion. Aus Distanz soll Bürgernähe werden.

Das Humboldtforum soll in diesem Winter zur Wärmestube für Wohnungslose oder Leute werden, die heizen nicht bezahlen können. IMAGO/Jürgen Ritter

Das Humboldt-Forum in Berlin Mitte

Das Humboldtforum soll in diesem Winter zur Wärmestube für Wohnungslose oder Leute werden, die heizen nicht bezahlen können.

Hannover Die Kunstmuseen Europas sind erneut in das Zentrum des gesellschaftlichen Interesses gerückt. Allerdings ohne eigenes Zutun. Denn es geht bei der aktuell aufgeflammten Diskussion nicht um relevante Ausstellungen oder inspirierende Thesen, sondern darum, dass Museen so Vielem hinterherhinken anstatt Impulse zu setzen und Anführer zu sein.

Daraus wurde die durchaus existenzielle Frage abgeleitet, was die zukünftige Aufgabe von Museen sein soll. Das Feuer weitertragen oder die Asche vergangener Kulturen mit allen Möglichkeiten, die Restauratoren haben, zu bewahren? Ob Benin-Bronzen oder koloniale Aneignung, immer reagieren die Museen, statt zu agieren, lautet der Vorwurf. Sie seien rückwärtsgewandt, statt für eine gerechtere Zukunft zu arbeiten.

Und kaum haben sich die Wogen um die überlang verzögerte Rückgabe von Raubgut zumindest ein wenig geglättet, kommt die nächste Herausforderung auf die unvorbereiteten Museen zu. Klima-Aktivisten kleben sich an Museumswände fest, bekleckern Bilder mit Kartoffelbrei oder Ketchup. Damit erzwingen sie eine Aufmerksamkeit, mit der keines der angegriffenen Museen intellektuell umzugehen weiß.

Nur den Sicherheitsdienst zu rufen, ist offensichtlich zu kurz gegriffen. Und zu lamentieren, dass diese Angriffe der Aktivisten auf unsere gemeinsame kulturelle Vergangenheit, die in den Museen verwahrt, erforscht und ausgestellt wird, brandgefährlich sei, klingt nach Rhetorik, die den Beweis schuldig bleibt. Zumindest aus Sicht der Aktivisten.

Hätte das verhindert werden können? Indem sich die Museen rechtzeitig auf relevante Themen Gegenwart und Zukunft fokussiert hätten? Museen wären dann die einzigen vor sichtbarer Sinnlichkeit berstenden Denkhäuser. Ein ungutes Gefühl scheint jedenfalls viele Museumsleitungen schon länger zu verfolgen. Im Weltverband der Museen (ICOM) wird seit Jahren diskutiert, was die zeitgemäße Aufgabe eines Museums ist, oder sein sollte.

Zahlreiche Besucher stehen am Tag der Reformation vor der Kunsthalle in einer Schlange. Es gibt freien Eintritt. Daniel Bockwoldt/dpa

Die alte Kunsthalle Hamburg

Zahlreiche Besucher stehen am Tag der Reformation vor der Kunsthalle in einer Schlange. Es gibt freien Eintritt.

Der jüngste Anlauf zur Selbstbestimmung begann 2019; da war die Sinnkrise der Institutionen schon nicht mehr zu übersehen. Das, was im ICOM definiert wird, ist in vielen Ländern relevant, weil die Zahlung von Fördergeldern daran ausgerichtet wird. In der jüngsten Weltkonferenz, die im August in Prag stattfand, gelang es nun endlich, den gordischen Knoten zu durchschlagen, indem er durch viele Kompromisse erstmal zu einem Knötchen herunterskaliert wurde.

Der ursprüngliche Vorschlag, der viel verbandsinternen Protest auslöste, war selbstkritisch, wollte, dass die Häuser von der Präsentation ihrer Objekte zur Reflektion ihrer Sammlung kommen. Er wollte, dass sie kritischer mit sich und ihrer Geschichte und natürlich mit den von ihnen verwahrten Objekten umgehen. Dass sie nicht mehr dem „closed Shop"-Prinzip folgen: frei von jeder Transparenz und nur den persönlichen Vorlieben der angestellten Kuratoren oder Kustodinnen folgen.

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In der Ausstellung über das Atmen spiegelt die Kunsthalle Hamburg Themen unserer Zeit. Von der Luftverschmutzung über das Rauchen bis zur Black Lives-Matter-Bewegung.

Aus Distanz sollte Bürgernähe, aus Deskription Gesellschaftsanalyse werden. Immer mit dem Ziel, wieder eine gesellschaftliche Relevanz zurückzugewinnen. Jenseits des erholsamen Sonntagsbesuchs im Museum.

Nach vielen Runden des Diskutierens in Prag stehen nun die neuen Leitlinien und Leitbegriffe fest. Bei 45.000 Mitgliedern mussten viele Interessen berücksichtigt werden. Mehr als 120 Länder gehören zum ICOM mit unterschiedlichster politischer Ausrichtung. 157 Komitees engagierten sich im Vorfeld.

Das führte zu einem Kompromiss. Dem fehlen die neuralgischen Punkte, aber immerhin ist der grundsätzliche Streit dadurch beigelegt und das Miteinander Reden geht wieder voran.

Weiterhin wird auf das kulturelle Erbe fokussiert. Darum soll es also auch zukünftig gehen, wie auch um das Sammeln, Forschen und Ausstellen. Diesem Begriffs-Trio wird aber neu zur Seite gestellt, dass auch das nachvollziehbare Interpretieren zukünftig dazugehören soll, das gesellschaftliche Sinngeben. Das klingt nach einer Kleinigkeit, ist aber ein Meilenstein.

Zu der traditionellen Aufgabe zu sammeln, forschen und auszustellen kommt gesellschaftliche Sinngebung hinzu. imago/Volker Preußer

Neue Pinakothek in München

Zu der traditionellen Aufgabe zu sammeln, forschen und auszustellen kommt gesellschaftliche Sinngebung hinzu.

Vor Jahrzehnten hieß dieses Phänomen „Aufklärung“. Jetzt wird es mit „Wissen teilen“ und mit „Interpretieren“ umschrieben. Aus der alten Forderung, mehr Demokratie zu wagen – in manchen ICOM-Ländern ist das nicht selbstverständlich – wurde ein abgemildertes „allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen“ Gehör zu verschaffen.

Das alles ist bislang nur in den offiziellen Sprachen der ICOM zu lesen, zu denen Deutsch nicht gehört. Auch Sprachen zu übersetzen ist Interpretieren. Vielleicht dauert es deswegen so lange. Einige Institutionen sind in Deutschland schon mal vorgeprescht wie die Museen in Niedersachsen und Bremen. Sie haben den offiziellen Wortlaut versuchshalber so übersetzt:

„Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Einrichtung im Dienste der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv fördern Museen Vielfalt und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und mit der Beteiligung von Gemeinschaften (Communities) und bieten vielfältige Erfahrungen für Bildung, Vergnügen, Reflexion und Wissensaustausch.“

Aber, und das ist der Wermutstropfen: Wie diese Definition umgesetzt wird, bleibt Ermessenssache der einzelnen Häuser. Inklusion zählt nun endlich auch zum neuen Standard und wäre formal noch am einfachsten umzusetzen. Dazu bedarf es nur einer größeren Summe – allenthalben fehlenden – Geldes.

Der Mut zu einer inspirierenden oder gar impulsgebenden gesellschaftlich wirkenden Interpretation von Kunst wird dagegen wohl noch länger auf sich warten lassen. Und damit droht den Museen der nächste Dornröschenschlaf, in den sie versinken könnten. Wer sie dann wachküsst, könnte für ihre Existenz noch gefährlicher sein als die Klima-Aktivisten.

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