Das Museum des 21. Jahrhunderts entwickelt sich zu einem Kiosk der Künste on- und offline: Ein Meinungsangebot, das Perspektiven auf die Welt eröffnen will.
Hans Makart „Der Einzug Karls der V. in Antwerpen“ (Mitte)
Digitale Formate und Bewegtbilder werden in der Hamburger Kunsthalle stets mitgedacht.
Bild: Marco Vedana
Hamburg Die Museen werden, heißt es immer wieder, nach der Corona-Pandemie grundsätzlich anders sein als vorher. Aber was wird anders sein? Wer genau hinschaut, wird bemerken, dass der Transformationsprozess schon längst begonnen hat.
Hier sind die Institutionen in den USA den Europäern wieder einen Schritt voraus. Einen Blick darauf hat kürzlich Max Hollein, Direktor des New Yorker Metropolitan Museum (MET), in einem digitalen Talk mit Reinhard Spieler, dem Direktor des Sprengel Museum in Hannover, freigegeben.
Zwar leidet das MET auch unter der Pandemie; von den gut 140 Kuratoren, die in 80 Sprachen parlieren können, sind die meisten noch im Homeoffice. Aber der Betrieb geht natürlich auch ohne Touristenmassen weiter, eben digital.
Hollein summiert auf der Habenseite, dass sich das Publikum durch die digitalen Kanäle enorm vergrößert habe. Auch die Altersunterschiede bei den Nutzern lösen sich auf. Das 85-jährige Board-Mitglied des Museums sei in der Nutzung digitaler Kanäle genauso aktiv, wie die Jugend.
Die Reichweite des Metropolitan Museum sei nun nahezu weltumspannend. An einer der jüngsten Eröffnungen nahmen live 35.000 Besucher teil – ein Rekord. Deswegen werden alle wesentlichen Eröffnungen zukünftig hybrid stattfinden, vor Ort und im Netz. Das neue Publikum, so Hollein, sei ein Gewinn.
Ein noch größerer Gewinn sei allerdings die neue Grundfunktion der Museen für die Gesellschaft. Sie waren schon immer Orte von Debatten über die großen Themen der Gesellschaft. Bislang aber eher indirekt. Denn provozierender Stil oder ganz neue Ausstellungsthemen erzählen eben auch etwas über die Freiheiten in einer Gesellschaft. Mit und nach der Pandemie würden diese Debatten allerdings zu ihrer zentralen Aufgabe.
Jakrawal Nilthamrong „Filmstill“
Die Ausstellung „The Last Museum“ der Kunst-Werke Berlin ist für die Betrachtung am Bildschirm eingerichtet.
Bild: Kunst-Werke Berlin
Museen werden zu kuratierten Plattformen für Gesellschaftsentwürfe und damit auch Orte politischer Diskussion. In Zukunft macht dann nicht mehr eine Ausstellung die Attraktivität einer Institution aus, sondern die Thesenbildung, die Qualität ihrer intellektuellen oder populären Impulse, die eine solche Institution auf allen Kanälen produzieren wird.
Die Rankings werden sich ändern. Die Berufsbezeichnungen haben sich schon erneuert. Der „Kurator im Digitalen Raum“, wie beim KW Institute for Contemporary Art (Kunst-Werke Berlin), wird zu einem Standard in der Postenbesetzung von Museen werden. Und Museen werden sich stärker der bisherigen Hilfswissenschaften bedienen müssen, wie der Philosophie oder der Soziologie.
Ein anderer Museumsdirektor, Yilmaz Dziewior vom Museum Ludwig in Köln, ist auf diesem Weg bereits seit einiger Zeit unterwegs. „Wir erforschen noch intensiver unsere eigenen Sammlungsbestände und öffnen sie unserem Publikum in immer wieder neuen Ausstellungskonstellationen, um damit Thesen und Sichtweisen zur Diskussion zu stellen.“
Aktuell dient der amerikanische Philosoph John Dewey mit seinen bislang nur einem Insiderkreis vertrauten Thesen dazu, das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft in einer Ausstellung zu reflektieren. Dazu bedarf es nicht der großen Ausstellung mit vielen Leihgaben, sondern nur noch der zündenden Idee.
Das Museum wird zur Thesenmaschine, zum Ort der Auseinandersetzung; auch zum Ort der Diskussion über das Verhältnis von Ökologie und Ökonomie. „Ökologie ist auch in den Künsten ein zentrales Thema“, so Dziewior, der deswegen auch einen neuen Blick auf die Kunst der Moderne werfen möchte. Dafür plant er eine Ausstellung aus der eigenen Sammlung zum Thema „Die grüne Moderne“. Perspektivenwechsel par excellence. Aus dem Musentempel wird eine Arena der Diskussion und des Streits.
Die Museen des 21. Jahrhunderts, davon sind nicht nur Hollein und Spieler überzeugt, werden zu den neuen, begehrten Storytellern. So viele Museen es gibt, so viele unterschiedliche Geschichten über Sammlungen und Werkbedeutungen können erzählt werden.
Die neue Rolle der Museen versucht auch Alexander Klar, Direktor der Hamburger Kunsthalle, anzunehmen. „Wir werden zunehmend zum Broadcaster und entwickeln unsere Ausstellungen nicht nur im Ausstellungsraum, sondern denken auch digitale Formate und das Bewegtbild mit. Das wird auch nach der Pandemie bleiben.“
Die digitale Eröffnung der Ausstellung „De Chirico. Magische Welten“ haben bislang fast 25.000 Personen gesehen. Mit über 88.000 Abonnentinnen und Abonnenten ist der Instagram-Account der Hamburger Kunsthalle, so Alexander Klar nicht ohne Stolz, der publikumsstärkste Account eines Kunstmuseums in Deutschland.
Ernst Ludwig Kirchner „Braune Figuren im Café“
Das Museum Ludwig in Köln plant eine Schau „Die grüne Moderne“.
Bild: Rheinisches Bildarchiv, Köln
Doch auch Klar fasziniert die schon von Walter Benjamin beschworene Aura des Kunstwerkes, die sich nur im Original finden lässt. Und deswegen freut auch er sich auf die Wiedereröffnung, ohne in das alte Muster des Musentempels zurückfallen zu wollen. Das souveräne digitale Kunstwerk als Objekt der Präsentation liegt in Hamburg indes noch in einiger Ferne.
Da ist das KW Institute for Contemporary Art schon weiter. Hier herrscht schon länger die Auffassung, dass eine „Ausstellungsinstitution nicht an den sie begrenzenden Mauern endet.“ Die Möglichkeiten, die das Netz bietet, wurden bislang, so Nadim Samman, Kurator Digitaler Raum, vor allem als Chance für Marketing oder Dokumentation wahrgenommen, weil unsere Gewohnheit, Kunst vor allen auch als physisches Phänomen zu sehen, immer noch dominiere. Das möchte er ändern.
Sammans Ausstellungen in den Kunst-Werken Berlin respektieren die Online-Möglichkeiten gleichberechtigt zum Offline-Modus. Hier findet Zukunft statt, im Labor, das sich noch klassisch Ausstellung nennt.
Museen werden also immer mehr zu Aufenthaltsorten. Nicht nur das Museums-Café und der angeschlossene Buchladen sind damit gemeint. Die Kommunikationsangebote, die Ausstellungen oder einzelne Kunstwerke machen, lassen das Museum des 21. Jahrhunderts zu einem Kiosk der Künste werden, zu einem Meinungsangebot, das Perspektiven auf die Welt eröffnet on- und offline.
Einbruch beim Kartenverkauf, ausfallende Sponsorengelder und knappe öffentlich Kassen: In Deutschland ringen die Museen finanziell mit der Coronakrise.
Konsequent weitergedacht könnten genau hier zukünftig viele wesentliche Diskussionen initiiert werden. Das Museum wäre dann ein Diskursort von Politik und Gesellschaft, hier ginge es nicht nur um Meinungshoheit, sondern um Meinungsvielfalt.
Die einstmals „heiligen Hallen“ der Kunst, das scheint ausgemacht, werden zu dem, was Anfang des 20. Jahrhunderts das Kaffeehaus war: Eine Melange derjenigen, die (vor-)denken und argumentieren und derjenigen, die vor allem eine Meinung haben. Machtvoll kann beides sein. Aber dieses Szenario ist erst in der Ferne hörbare Zukunftsmusik.
Mehr: Coronakrise: So laden geschlossene Museen zu virtuellen Rundgängen ein
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