Blockchain, NFTs und Virtual Realtity können den Galeriebetrieb erleichtern. Doch es gibt kein digitales System, das sich wie eine Eier legende Wollmilchsau jeder Kunsthandlung überstülpen lässt.
Dokumentiert auf der Blockchain
Der digitale Fingerabdruck hält die Oberflächenstruktur eines Kunstwerks bis in die Nanopartikel hinein fest.
Bild: 4ARTechnologies
Köln Der Schock sitzt tief und verstellt den Blick. Wer NFT (Non Fungible Token, digitales Eigentumszertifikat) hört, denkt zuerst an unautorisierte Kopien von Kryptokunst, starke Preisschwankungen und drastischen Wertverlust infolge zu Tal gefahrener Kryptowährungen. Das fördert im Kunsthandel nicht gerade die Bereitschaft, sich mit digitalen Lösungen auseinander zu setzen, die den Betrieb leichter machen.
Dabei ist der Transformationsprozess durchaus im Gang. Er ist nur noch nicht so richtig in der Zukunft angekommen und macht weniger Schlagzeilen als millionenträchtige Verkäufe respektive Abstürze. Zu diesem Schluss gelangten Teilnehmende am „Praxistag für Galerien“ vor zehn Tagen in Köln.
Auf der alljährlichen Veranstaltung, die der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) organisiert, lässt sich die Branche über Entwicklungen auf allen wichtigen, den Galeriebetrieb aktuell berührenden Gebieten auf den neuesten Stand bringen. In diesem Jahr legte der BVDG erstmals einen von vier thematischen Schwerpunkten auf die Digitalisierung.
Ein desaströses Bild zeichnete Dino Lewcowicz, Direktor der im Schweizerischen Zug ansässigen 4ARTechnologies AG. „Die Galerien in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben ihre Prozesse mehrheitlich nicht modernisiert. Sie könnten neben der Webseite auch 1980 so funktioniert haben“, sagte er im Nachgang dem Handelsblatt. Teilweise würden sie für das Management ihrer Kundenbeziehungen noch auf Excel-Listen zurückgreifen oder mit selbst erbauten Datenbanken wie etwa Filemaker arbeiten.
4ARTechnologies, die sich auf den Kunstwerkpass, die Nachverfolgung der Werke über alle Stationen hinweg und das Angebot komplementärer Dienste konzentrieren, gehört neben der britischen Firma Verisart und der Berliner Artory GmbH zu den führenden Dienstleistern. Sie alle arbeiten an der Vereinheitlichung der digitalen Standards für den weltweiten Kunstbetrieb.
Nicht-invasiver Fingerabdruck
Er hält die Oberflächenstruktur eines Kunstwerks bis in die Nanopartikel fest.
Bild: 4ARTechnologies
Lewcowicz findet, es sei an der Zeit, dass sich die Galerien eine professionelle Software zulegen, die so gut wie alles managt: den Bestand, die Kundenbeziehung, Bezahlvorgänge, Onlinepräsenz und –shop, virtuelle Showrooms und automatisierte Kommunikation. „Damit lässt sich sehr viel Zeit sparen und gleichzeitig viel mehr erreichen“, sagt der Entwickler.
Hinzu kommt die inzwischen technisch gereifte Möglichkeit, auf eine blockchain-gesicherte Dokumentation für jedes einzelne Werk zurückzugreifen, etwa mit der 4ART App. Das beginnt mit dem nicht-invasiven, digitalen Fingerabdruck, der die Oberflächenstruktur eines Kunstwerks bis in die Nanopartikel festhält, über festgehaltene Besitzerwechsel bis hin zu den Zustandsberichten, die einen Ist-Zustand beispielsweise vor und nach einer Ausleihe dokumentieren.
Ein handelsübliches Smartphone ist die einzige Voraussetzung. Selbst scheinbar gleich aussehende Seriendrucke können so eindeutig identifiziert werden. Mit eingeschlossen werden können auch Logistikprozesse, also Transporte, die bei Ortswechsel, Ausleihen oder Restaurierung ins Spiel kommen.
Dies alles sind Komponenten, die beim Weiterverkauf oder im Versicherungsfall essenziell sind. Ein Beispiel lieferte der Kunde, dem die Ahr-Flut 2021 das Haus, Dokumente und wertvolle Kunst zerstörte. Das Blockchain-Zertifikat bewies, dass er sie besessen hatte.
„Noch stark ungenutzt“ sei der digitale, schon für 12 Euro erhältliche Kunstwerkpass, der die wichtigen Details, Dokumente und Transaktionen des Kunstwerks zertifiziert und bereitstellt, sagt Lewcowicz. Das erstaunt ihn, denn Sammler und Händler seien im Schnitt 5000 Kilometer voneinander entfernt.
Die 4ART App im Einsatz
Mit einem handelsüblichen Smartphone lässt sich überprüfen, ob das Werk authentisch ist.
Bild: 4ARTechnologies
Im Blick hat Lewcowicz hier allerdings die Sammler aus Dubai, Hongkong oder Miami. „Die erwarten das“, ist er überzeugt. Seiner Ansicht nach liegen auch Welten zwischen der Klientel der Art Basel und der Art Basel Miami Beach. In Florida wären die fortschrittlicher aufgestellten Sammler anzutreffen.
Es gibt allerdings kein digitales System, das sich wie eine Eier legende Wollmilchsau jedem Unternehmen überstülpen lässt. Zu diesem Schluss kommt auch, wer das Gespräch mit Kerstin Gold sucht.
Die Aussicht auf Profit ist für Sammler von art NFTs nicht ausschlaggebend. Entscheidend sind ein überzeugendes künstlerisches Konzept und eine animierende Vermittlung.
Als Strategieberaterin für den Kunsthandel bekommt Gold hautnah mit, wie Galeristinnen und Galeristen auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren. „Was ist relevant für mich“, ist die Kernfrage, die sich eine Galerie zu stellen habe. „Warum brauche ich Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR)? Habe ich Kunden, die ich damit leiten kann?“
Gold unterscheidet zwischen der nach innen, auf den Warenbestand, Kundenkontakte und das Galeriemanagement konzentrierten Digitalisierung und den nach außen gerichteten Lösungen, mit denen Kunden begeistert werden können; etwa mit VR, AR oder automatisierten Chatbots.
Chatbots können text- oder sprachbasiert in Sekundenschnelle auf Käuferfragen antworten. Auf diesem Gebiet allerdings sei der Wissensstand noch klein. Die neueren technischen Möglichkeiten würden den Kunsthandel in der Regel noch überfordern.
Die Kunstwelt steckt voller Fälschungen. Ein Sammler und ein Investor wollen sich des Problems annehmen – und nutzen dafür die Blockchain-Technologie.
„Wer vor einem Berg von Anforderungen steht, fühlt sich gelähmt“, berichtet Gold aus ihrer Praxis. Andererseits glaubt sie fest daran, dass die von Lewkowicz angesprochene Erwartungshaltung weiter wachsen wird. „Die Sammler werden nicht mehr lange auf digitale, komfortable Lösungen verzichten wollen“, ist die Beraterin überzeugt.
Das gilt auch für die Zukunftsvision eines nur noch über den Austausch von blockchain-basierten Zertifikaten abgewickelten Kunsthandels, den Lewkowicz vorstellte. Solche Transaktionen würden zunehmen und vieles erleichtern, schätzt Gold. Eine Entwicklung, die wiederum den Transformationsprozess beschleunigen werde.
Grundsätzlich ist die Gesprächsbereitschaft gewachsen, auch in Folge der Pandemie, beobachtet Gold. Wie nötig die ist, zeigt auch der Blick hinter die Kulissen des digitalen Kunstsammelns. Auf dem Praxistag berichtete Gold, wie fremd manchem Galeristen die junge, techaffine Sammlerklientel sei. „Das sind aber in zehn oder 15 Jahren Ihre Kunden“, widerspricht die Strategieberaterin. „Mit wem wollen Sie dann ihr Geschäft machen?“
Mehr: Deutscher Kunsthandel: Besteuerung von Galerien: Bauchweh bei Bescheid
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