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07.06.2022

15:01

Expressionismus

Umfangreiche Abendauktion bei Ketterer: Das beste Angebot dieser Saison

Von: Susanne Schreiber

Das Münchener Auktionshaus versteigert neben August Mackes Paradies-Bild auch Dix-Aquarelle aus der Sammlung Gurlitt und Goethe-Porträts von Andy Warhol.

Das Gartenbild befand sich fast 100 Jahre in der Sammlung der Familie des Krefelder Seidenfabrikanten Erich Raemisch. Quelle: Ketterer Kunst GmbH und Co. KG

August Macke „Mädchen mit blauen Vögeln“:

Das Gartenbild befand sich fast 100 Jahre in der Sammlung der Familie des Krefelder Seidenfabrikanten Erich Raemisch. Quelle: Ketterer Kunst GmbH und Co. KG

Düsseldorf So viele exquisite Meisterwerke des Expressionismus hat es in dieser Tiefe auf dem deutschen Auktionsmarkt schon Jahrzehnte nicht mehr gegeben. Das Kunstauktionshaus Ketterer in München ruft am kommenden Freitagabend gegen 19 Uhr das Gemälde „Mädchen mit blauen Vögeln“ von August Macke auf.

Der farbglühende Blick in einen Garten mit blauen Reihern entstand 1914 kurz nach Mackes Tunisreise und vor seinem Tod auf den Schlachtfeldern in der Champagne. Das doppelseitig bemalte Bild befand sich bis 1928 im Nachlass des Künstlers. Dann vermittelte es der Kunsthändler Ferdinand Möller dem Seidenfabrikanten Erich Raemisch.

Fast einhundert Jahre befand es sich in dieser kunstsinnigen Familie. Der Krefelder Rechtsanwalt war selbst Kunstsammler und ein Verfechter der Moderne. Für die Avantgarde trat er auch als Mitglied im fortschrittlichen „Werkbund“ ein, und auch als Geschäftsführer und späterer Vorstand des Branchendachverbands „Verein deutscher Seidenwebereien“.

Für den Kunsthistoriker Walter Cohen war das den Alltag als Paradies spiegelnde Werk ein Höhepunkt „nicht nur von Mackes, sondern von deutscher Kunst des historischen Jahres 1914.“ Ketterer setzt das 60 mal 82 Zentimeter messende Querformat auf 2 bis 3 Millionen Euro an. Der Schätzpreis ist – wie immer bei Ketterer – bewusst niedrig angesetzt. Denn die Expertin orientiert sich an Christie’s Macke-Rekord aus dem Jahr 1998. Der liegt seitdem bei 6,4 Millionen Dollar.

Doch nicht nur sechs- und siebenstellige Werke von Mitgliedern der Künstlergemeinschaft Brücke finden sich in dieser mit 101 Losnummern extrem umfangreichen Abendauktion bei Ketterer. Es sind – wie berichtet - auch 45 Werke der Sammlung Hermann Gerlinger darunter.

Deren Charme besteht nicht nur in ihrer musealen Güte und Marktfrische, sondern auch darin, dass sie preislich weit gestaffelt ist. Die Radierung „Fördelandschaft“ von Erich Heckel ist auf moderate 3.000 bis 4.000 Euro geschätzt.

Auch sonst findet der Sammler, der sich für die heftigen Farben und die direkte ungekünstelte Malweise der Expressionisten interessiert, weitere Angebote in dieser Auktion: Die Gemälde von Emil Nolde, Conrad Felixmüller und Max Pechstein warten ebenfalls mit herausragenden Provenienzen auf.

Das Aquarell war Bestandteil der Sammlung Cornelius Gurlitt. Deren Erbin, das Kunstmuseum Bern, restituierte das Blatt an die Nachfahren des verfolgten Sammlers Littmann, weil es keine Raubkunst bewahren möchte. Quelle: Ketterer Kunst GmbH und Co. KG / VG Bild-Kunst

Otto Dix „Dompteuse“:

Das Aquarell war Bestandteil der Sammlung Cornelius Gurlitt. Deren Erbin, das Kunstmuseum Bern, restituierte das Blatt an die Nachfahren des verfolgten Sammlers Littmann, weil es keine Raubkunst bewahren möchte. Quelle: Ketterer Kunst GmbH und Co. KG / VG Bild-Kunst

Besondere Aufmerksamkeit dürften zwei Aquarelle von Otto Dix aus der Gurlitt-Sammlung erregen. Die „Dompteuse“ war eines der ersten Bilder, die vor zehn Jahren der beschlagnahmten Sammlung von Cornelius Gurlitt ein Gesicht gaben. Jetzt wird die Verquickung der Themenkreise „Bordell“ und „Zirkus“ auf 100.000 bis 150.000 Euro geschätzt.

Möglich wird die Versteigerung, weil Gurlitts Erbin, das Kunstmuseum Bern, im Dezember 2021 entschieden hat, keine Werke zu behalten, die eventuell Gegenstand von Restitutionsbegehren werden könnten. Bern gab die herrische „Dompteuse“ und das Profilbild einer Halbweltdame in der Loge an die Erben des jüdischen Rechtsanwalts und bekannten Breslauer Sammlers Dr. Ismar Littmann und an die Enkelin seines Freundes und Unterstützers Dr. Paul Schaefer zurück.

Den Auktionsverkauf hat das Kunstmuseum Bern organisiert, erfährt das Handelsblatt auf Nachfrage. Ketterer Kunst ist in gutem Kontakt mit den Vertretern der Familie Littmann. 2021 hatten die Münchener bereits Lovis Corinths „Klostergarten“ und Emil Noldes „Buchsbaumgarten“ aus der Littmann-Sammlung in der Auktion.

Neu ist in diesem Katalog, dass Inhaber Robert Ketterer nicht nur die Herkunftsgeschichte und Stellung im Kunstmarkt beleuchten lässt. Es gibt klein gedruckte Angaben, die für Sammler wichtig sind. Etwa wenn sie vor der Auktion ermitteln wollen, wo das eigene Budget für den Hammerpreis und die Zusatzkosten ausgereizt wäre.

Der Zusatz „R/D,F“ etwa bei Erich Heckel wichtigem Gemälde „Kinder“ von 1909 bedeutet: Es kann sowohl regel- wie differenzbesteuert werden. Es fällt zusätzlich Folgerecht an, weil Heckels Tod noch keine 70 Jahre zurückliegt.

Das vierteilige Set des Klassiker-Kopfs zitiert das berühmte Tischbein-Portrait von Goethe in der Campagna. Der versteigerte Satz ist die Nummer 26 aus einer Hunderter-Auflage. Quelle: Ketterer Kunst GmbH und Co. KG

Andy Warhol „Goethe“:

Das vierteilige Set des Klassiker-Kopfs zitiert das berühmte Tischbein-Portrait von Goethe in der Campagna. Der versteigerte Satz ist die Nummer 26 aus einer Hunderter-Auflage. Quelle: Ketterer Kunst GmbH und Co. KG

Das Folgerecht gilt natürlich auch für zeitgenössische Künstler wie Norbert Bisky, Hermann Nitsch, Georg Baselitz, Cindy Sherman und Andy Warhol. Von ihnen ruft Ketterer exemplarische Werke zu sechsstelligen Preisen auf. Ein kundenfreundlicher Service ist auch, dass der Katalog die erwartete Aufrufzeit nennt.

Zu den wenigen Einlieferungen aus Firmensammlungen zählen zwei charakteristische Gemälde von Konrad Klapheck. Die Bilder einer altmodischen Alarmanlage und einer monumentalisierten vermeintlichen Industrie-Kurbel hatte ein der Hannoveraner und spätere Berliner Galerist Dieter Brusberg an die BEB Erdgas und Erdöl GmbH & Co KG in Hannover verkauft. Jetzt suchen diese surrealistischen Allegorien „Zuversicht“ und „Im Zeichen der Angst“ neue Eigentümer.

Die Zeiten sind politisch und ökonomisch angespannt. Das hat dem Kunstmarkt bislang in dieser Saison noch nicht geschadet. Hochkarätige Kunst hat sich bislang als attraktive Wertanlage empfohlen. Gleichwohl bleibt die Häufung von derart zahlreichen Werken des deutschen Expressionismus ein Risiko für den Versteigerer.

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