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09.03.2023

11:46

Expressionismus und zeitgenössische Kunst

Tagauktionen in London: Das Interesse an deutscher Kunst hält an

Von: Stephanie Dieckvoss

Rückblick auf die Londoner Tagauktionen: Christie’s hat Erfolg mit den Papierarbeiten aus der Sammlung der Deutschen Bank. Sotheby’s punktet mit den Ergebnissen für Kandinsky.

Die 1930 entstandene Papierarbeit verdreifachte ihre Schätzung von 500.000 bis 700.000 Pfund auf 1,7 Millionen. Sotheby's

Wassily Kandinsky „Flächen und Linien“

Die 1930 entstandene Papierarbeit verdreifachte ihre Schätzung von 500.000 bis 700.000 Pfund auf 1,7 Millionen.

London Wenn man sich nur auf die Star-Lose der Londoner Auktionen konzentriert, vergisst man, dass deutsche Kunst nicht nur im achtstelligen Millionenbereich verkauft wird. Und selbst da gibt es nicht immer einen rauschenden Andrang und regen Wettbewerb.

Wassily Kandinskys Gemälde „Murnau mit Kirche II“ verkaufte sich zwar bei Sotheby’s mit einem Auktionsrekordpreis für Kandinsky von 37,2 Millionen Pfund, aber ging doch „nur“ an den im Vorab verpflichteten Garantie-Geber. Und bei Phillips zog der französische Sammler Marcel Brient sein stark beworbenes Gemälde „Mathis“ von Gerhard Richter (1983) vor der Auktion zurück. Das Interesse war bei der hohen Schätzung von zehn bis 15 Millionen Pfund nicht da, und der Sammler behält es dann wohl lieber – oder wird es privat verkaufen.

Wie sieht es aber im Mittelfeld aus? Gerade bei Christie’s lohnt es sich, einen Blick auf die Werke moderner Künstler in den Tagesauktionen zu werfen. Hier kam der Rest der amerikanischen Levy-Sammlung zum Aufruf, wurde eine weitere deutsche Privatsammlung versteigert und dazu noch Werke aus der Sammlung Deutsche Bank angeboten.

Dabei handelte es sich oftmals um Papierarbeiten, die den expressionistischen Künstlerinnen und Künstlern in Form von Holzschnitt, Grafik und auch Zeichnung zwar wichtig waren. Für viele Sammler sind sie aber doch zu speziell.

Von Otto Dix kam der „Soldat mit Tabakspfeife“ von 1918 zum Aufruf, in dem sich der Künstler stilistisch noch ganz dem positivistischen Futurismus zuwendet. Die Gouache aus einer deutschen Privatsammlung war auf 200.000 bis 300.000 Pfund geschätzt worden, verkaufte sich aber unter der Schätzung für 189.000 Pfund. Hier war offenbar die Umschlagszeit zu kurz. Zuletzt war sie 2019 bei Christie’s mit einer überhöhten Schätzung von 500.000 bis 800.000 Pfund unverkauft geblieben. Es ist dennoch ein ikonisches Werk.

Haben einige Vertreter der Neuen Sachlichkeit Probleme, mit ihren sozialkritischen Arbeiten in der heutigen Zeit Fans zu finden, geht es dem unterbewerteten Walter Dexel mit seinen abstrakten Glasbildern gut. Aus der gleichen Sammlung wie Dix brachte ein Hinterglasbild des Müncheners statt der erwarteten 15.000 bis 25.000 Pfund erstaunliche 40.000 Pfund.

Für die 2004 ausgeführte, auf Dibond montierte Farbfotografie erzielte Christie's 302.400 Pfund. Das 190 x 250 cm große Werk wurde nur einmal für den Markt geprintet. Zusätzlich gibt es einen Artist-Proof. Christie's Images Ltd. 2023

Wolfgang Tillmans „Freischwimmer 39“

Für die 2004 ausgeführte, auf Dibond montierte Farbfotografie erzielte Christie's 302.400 Pfund. Das 190 x 250 cm große Werk wurde nur einmal für den Markt geprintet. Zusätzlich gibt es einen Artist-Proof.

Es stellt sich immer wieder die Frage, wo die Sammlerin, der Sammler deutsche Kunst verkaufen soll. Im eigenen Land, in dem es sich um ein Heimspiel handelt oder im internationalen Umfeld? Die Antwort fällt nicht eindeutig aus.

Ein früher Otto Müller, „Tänzerin mit Schleier, von einem Mann beobachtet“ aus der Levy Sammlung bei Christie’s, liegt weder im Zeitgeist, noch repräsentiert das Bild den typischen Stil des Expressionisten. Es ging bei geschätzten 250.000 bis 400.000 Pfund zurück.

Aber alle sieben Papierarbeiten aus der Sammlung der Deutschen Bank verkauften sich hier zu guten Preisen. Dabei erzielte Emil Noldes „Schlepper im Hafen“ von 1910 mit 44.000 Pfund den besten Preis und das Doppelte der Taxe.

Einige Experten mögen diese Arbeiten als Durchschnitt abqualifizieren; aber sie geben Sammlern im Mittelfeld die Möglichkeit, Arbeiten von wichtigen Künstlern der deutschen Avantgarde zu erwerben. Und das zu Preisen, von denen man im Feld der Zeitgenossen nur träumen kann. Und nicht nur laufen da in jeder „Now“-Auktion die Preise in den mindestens sechsstelligen Bereich davon. Dort spielen auch deutsche Künstler keine Rolle mehr. Der Markt liegt fest in amerikanischer und britischer Hand.

Christie’s hatte alle deutsche Kunst in seine beiden Londoner Tagesauktion gepackt und macht nun gleichsam bis zum Sommer Pause. Sotheby’s hingegen operiert flexibler. In der Tagesauktion in London gab es nicht sehr viele Arbeiten; aber diese waren von guter Qualität.

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Kandinskys Papierarbeit „Schluss“ von 1926 verdoppelte die untere Schätzung von 500.000 bis 700.000 und verkaufte sich für 927.000 Pfund; „Flächen und Linien“ von 1930, ebenfalls auf Papier, verdreifachte die Schätzung von 500.000 bis 700.000 Pfund auf 1,7 Millionen. 2009 zahlte der Einlieferer bei Christie‘s knapp 600.000 Pfund, ein guter Gewinn.

Abstrakte Kunst spricht einen globalen Geschmack an, der sich mit der expressionistischen Überzeichnung manchmal schwertut. Da sind dann doch die deutschen Sammler gefragt. Diese sind aber mit Hunderten Arbeiten der Sammlung Gerlinger, die Ketterer seit 2022 versteigert, gut bedient.

Sotheby’s scheint jedenfalls nicht alles auf die Londoner Karte setzen zu wollen. Die erste Live-Auktion im neuen Domizil in Köln hat am 29. März neben den Zeitgenossen der Sammlung Ingvild Goetz auch Expressionisten im Angebot. Davor kommt in Paris am 15. März noch die Sammlung von Robert und Helga Ehret mit 58 Losen zum Aufruf.

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Die Sammlung Ehret beinhaltet allerdings nicht nur Expressionisten, sondern auch französische Kunst von Edgar Degas und bis zur Kunst der Nachkriegszeit, darunter Ernst Wilhelm Nay. Seine Werke sammelte der Deutsche Bank-Manager seit den 1970er-Jahren.

Der Auktionsort mag verwundern, ist Paris doch nicht die Drehscheibe für deutsche Kunst. Aber Bastienne Leuthe von Sotheby's verweist auf das Timing direkt im Anschluss an die Surrealisten-Auktion und betont, das Haus habe gute Erfahrungen mit Sammlungsversteigerungen in Frankreich gemacht.

Der deutsche Galerist Aeneas Bastian, der auch ein Standbein in London hat, gibt zu bedenken: „Die London-Reisen vieler internationaler Sammler mögen seltener geworden sein; das Interesse an deutscher Kunst aber hält an.“ Vielleicht fällt es ihnen ja leichter, nach Paris zu fahren.

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