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12.05.2022

15:40

Fotografie

Fotofestival düsseldorf photo+: Kampfansage an die Macht der Bilder

Von: Christiane Fricke

In Düsseldorf läuft das Fotofesfestival düsseldorf photo+ an. Es zeigt die Fotografie als ein künstlerisches Medium von vielfältiger Gestalt.

Auch der Film besteht letztlich aus fotografischen Bildern. Deshalb schließt das Festival „düsseldorf photo+“ Bewegtbilder nicht aus. Abgebildet ist ein Standbild aus dem Film „In the Future They Ate From the Finest Porcelain“. Er läuft im Rahmen der Ausstellung „Imagi(ni)ng Otherwise – Counter-Actual Experiments in Resistance and Reclamation“ im Bambi Filmstudio (Ausschnitt aus einem Breitwandformat). düsseldorf photo+

Larissa Sansour & Søren Lind

Auch der Film besteht letztlich aus fotografischen Bildern. Deshalb schließt das Festival „düsseldorf photo+“ Bewegtbilder nicht aus. Abgebildet ist ein Standbild aus dem Film „In the Future They Ate From the Finest Porcelain“. Er läuft im Rahmen der Ausstellung „Imagi(ni)ng Otherwise – Counter-Actual Experiments in Resistance and Reclamation“ im Bambi Filmstudio (Ausschnitt aus einem Breitwandformat).

Düsseldorf Kein zweites Bildmedium ist im Alltag so omnipräsent wie die Fotografie. Kein zweites lockt so viel Publikum in die Ausstellungen. Auf dem deutschen Kunstmarkt haben wir es jedoch mit einem schwierigen, sehr besonderen Nischenmarkt zu tun.

Darüber täuschen Veranstaltungen wie das gerade anlaufende Fotofestival „düsseldorf photo+“ vielleicht auf den ersten Blick hinweg. Denn hier wird die Fotografie als ein der Kunst einverleibtes, in ihr aufgegangenes Medium gefeiert, das Geschichten über die Welt neu und anders erzählt. Auch in Gestalt bewegter und digitaler Bilder und Sounds, was der Untertitel „Biennale for Visual and Sonic Media“ anzeigt (bis 19.6.)

„Wir müssen hinschauen. Wir müssen berichten. Und zwar kontinuierlich und mit vielen Zungen“. Das ist die Botschaft der zentralen Gruppenausstellung „Think We Must“ in der Akademie-Galerie. Kampfeslustig nimmt man es hier mit der Macht der Bilder und Narrative auf. Vielleicht am frappierendsten gleich zu Beginn des kleinen Rundgangs.

Dort treffen Adam Broombergs in feinsten mimischen Nuancen fotografierte Porträtserie der Trans-Aktivistin Gersande Spelsberg auf Helmar Lerskis schwarzweißes Porträtwerk „Metamorphosen des Lichts“, das er gegen Ende 1935 auf einem Flachdach in Tel Aviv aufgenommen hatte.

Während Lerski sein Modell mittels dramaturgischer Lichtführung mal wie einen leidenden Christus, mal wie einen duldsamen Mönch, mal wie einen müden Helden aussehen lässt, versucht Broomberg einer Persönlichkeit näher zu kommen. Dabei geht er zwar methodisch wie Lerski vor, der seinem Modell unter heißer Sonne einiges Durchhaltevermögen abnötigte. Broomberg macht mit dem nahezu unbewegt bleibenden Gesicht von Spelsberg jedoch eben nicht, was er will. Dazu sind die von Spelsberg erzählte Geschichte ihrer Geschlechtsumwandlung und ein Gedicht von CAConrad über die Auseinandersetzung mit Identitäten zu hören.

Die Serie entwickelte die estländische Künstlerin aus der Reflektion über medientheoretische Schriften zu Wirkungsmechanismen von Werbung und Konsum. Cosar, Düsseldorf

Marge Monko „Window Shopping“

Die Serie entwickelte die estländische Künstlerin aus der Reflektion über medientheoretische Schriften zu Wirkungsmechanismen von Werbung und Konsum.

Besser lassen sich die von der Fotografie überschrittenen Horizonte, Epochen und Medien nicht vor Augen führen. „Fotografie ist mehr als nur eine kontinuierlich fortschreitende Technik zur Erzeugung von Bildern“, konstatiert das Organisationsteam, bestehend aus der Künstlerin Pola Sieverding, dem Galeristen Rupert Pfab, dem Berater Thomas Rieger (Konrad Fischer Gallery) und der Projektleiterin Ljiljana Radlovic. Die Fotografie biete eine Form des Denkens und Erkennens in Gestalt einer Vielzahl audiovisueller Techniken, die untrennbar mit dem Alltag verbunden sei.

Mit diesem, die Fotografie weiter denkenden und manchmal erstaunlich weit dehnenden Ansatz positioniert sich Düsseldorf, den hartnäckig verfochtenen Anspruch auf die Ansiedlung eines bundesdeutschen Fotoinstituts fest im Blick. Erst jüngst wurde – wie Oberbürgermeister Stephan Keller in seinem Grußwort betont – eigens eine Koordinationsstelle für Fotokunst im Kulturamt geschaffen, während ein Beirat mit der Politik an der Weiterentwicklung „der Fotostadt“ arbeitet.

Mit gewollten Unschärfen durch Verpixelung hinterfragt der Künstler sowjetisches Propagandamaterial. Die Serie wird erstmals in der Konrad Fischer Galerie gezeigt. VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Thomas Ruff „tableau russe_04 II“

Mit gewollten Unschärfen durch Verpixelung hinterfragt der Künstler sowjetisches Propagandamaterial. Die Serie wird erstmals in der Konrad Fischer Galerie gezeigt.

Mit nicht üppigen 150.000 Euro haben die Organisatoren die zweite Ausgabe des Festivals auf die Beine gestellt, die selbstverständlich und – so hoffen alle Beteiligten – besser finanziert nach einer Fortsetzung verlangt. 50 Ausstellungen an 45 Orten werden geboten, zu ungefähr je einem Drittel verteilt auf Off-Spaces, nicht kommerzielle Einrichtungen und Galerien.

Die Konrad Fischer Galerie wartet mit zwei bildgewaltigen, digital bearbeiteten Serien auf, in denen sich Thomas Ruff mit Fotos beschäftigt, die lügen: Beiden Serien, den „Tableaux Chinois“ und den jetzt erstmalig gezeigten „Tableaux Russes“, liegen analoge historische Propagandabilder aus der eigenen Fotosammlung zu Grunde. Sie wurden von Ruff digital weiter bearbeitet und teilverpixelt. Kostenpunkt: Je 85.000 Euro.

Die Quellen für die „Tableaux Chinois“ fand der Künstler in der französischen Ausgabe einer Zeitschrift der kommunistischen Partei, die den Europäern von den späten 1950er- bis in die siebziger Jahre ein idealisiertes Bild vom Leben in China vermittelte. Die „Tableaux Russes“ schlagen den Bogen zurück zur russischen Avantgarde, die in den 1930er-Jahren in sowjetischen Propagandamagazinen publizierte.

Kenner haben es vielleicht erwartet, dass es bei Linn Lühn auch einmal eine Man Ray-Schau mit Fotografien geben wird. Denn die auf zeitgenössische emporstrebende Künstler konzentrierte Galeristin schaut gern über den Tellerrand, und hat dabei speziell die Künstler des surrealistischen Zirkels im Blick.

Das Bildnis ist eines von 26 Fotografien aus der kompletten gleichnamigen Edition in der Galerie Linn Lühn. Man Ray Trust, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Man Ray „Femmes“

Das Bildnis ist eines von 26 Fotografien aus der kompletten gleichnamigen Edition in der Galerie Linn Lühn.

So gab es in jüngster Zeit allein zwei Solopräsentationen zu Meret Oppenheim und eine William Copley-Schau. 2014 publizierte Lühn Copleys „Porträt des Künstlers als junger Händler“, ein origineller Text, in dem der Künstler über sein unorthodoxes Vorleben als Kunsthändler Auskunft gibt. Darin wird eine Fotoausstellung mit Arbeiten Man Rays zwar nicht dokumentiert. Aber die dadurch angestoßene Recherche führte am Ende dazu, dass ihr aus Händlerkreisen die selten komplett angebotene Serie „Femmes“ von Man Ray angeboten wurde.

Das 26-teilige, 1933 aufgenommene Portfolio „Femmes“ ist etwas Besonderes auf dem ausgedörrten Markt für Man Ray, auch wenn es 1981, also posthum in einer Auflage von 35 zuzüglich fünf Künstlerexemplaren vom Negativ abgezogen wurde. Gestempelt und für jedes einzelne Bild zertifiziert von Juliette Man Ray, seiner Frau, sowie begleitet von einem Katalog, kostet die Serie 45.000 Euro netto. Sie wird nur komplett abgegeben.

Faszinierend heute, insbesondere aus feministischer Perspektive dürfte sein, was Man Ray bewegte, als er – offenbar völlig hingerissen – die Gesichtsausdrücke und Gesten seiner Freundinnen und ihre Souveränität auf sich wirken ließ. Alle Sinne sah er im Kopf der Frau gebündelt, schreibt er in einem begleitenden Text, den das Studio Marconi, Herausgeber des Portfolios, dazu veröffentlichte. „Der Kopf einer Frau ist ihr vollständiges körperliches Porträt.“

Ankauf für Düsseldorf: Fotokollektion für acht Millionen Euro – War die Sammlung zu teuer?

Ankauf für Düsseldorf

Fotokollektion für acht Millionen Euro – War die Sammlung zu teuer?

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Wenige Häuser weiter gastiert bei Cosar die estländische Künstlerin Marge Monko mit ihrer Farbserie „Window Shopping“. Ausgestellt sind Gruppen von sequentiell gehängten Schaufensterbildern, die Monko während ihrer Reisen in europäischen Metropolen mit ihrer Hasselblatt-Kamera im 6 x 6-Format fotografierte. Jede Installation beginnt oder schließt mit der viel kleineren Reproduktion einer historischen Schwarzweißaufnahme, die den Flaneur wie bei einem Schaufensterbummel stoppen und genauer hinschauen lässt.

Die Theorie zu dieser Art „mobilisiertem“ Blick lieferte die amerikanische Medientheoretikerin Anne Friedberg; und den Titel für Monkos Serie auch gleich dazu. Zwischen 4.200 und 17.000 Euro sollen die auf zwei Exemplare limitierten Fotoinstallationen kosten.

Die Fotografie ist nur Arbeitsmaterial, um die Bildidee umzusetzen. Endprodukt ist hier ein Wandbehang in Jacquardweberei. Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf

Astrid Busch „Inverted Voids #03“

Die Fotografie ist nur Arbeitsmaterial, um die Bildidee umzusetzen. Endprodukt ist hier ein Wandbehang in Jacquardweberei.

Bei Rupert Pfab zeigt Astrid Busch wie sich die Atmosphäre und Wahrnehmungen eines längeren Aufenthalts in Istanbul künstlerisch niedergeschlagen haben. Die Fotografie lieferte zwar das Arbeitsmaterial. Doch ist sie nach vielfältigen, technisch und materiell aufwendigen Umsetzungs- und Bearbeitungsprozessen kaum mehr wieder zu erkennen.

Das Resultat sind dichte, farblich attraktive abstrakte Bilder, die aus der Ferne sehr malerisch wirken, auch wenn sie geknittert zur Plastik mutieren oder die Anmutung eines Reliefs besitzen. Preislich geht es mit 2000 Euro los und endet bei 15.000 Euro für die große Tapisserie.

Die großformatigen Pflanzenporträts von Gino Bühler, mit denen sich Schönewald Fine Arts an dem Festival beteiligt, wirken nach all dem geradezu herkömmlich und banal. Doch der ausgebildete Pilot scheut keinen Aufwand. Absolute Windstille benötigt er für seine Langzeitbelichtungen, um die Pflanze im ersten Morgengrauen genau in jenem Augenblick abzulichten, in dem sie sich dem Licht zuwendet.

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Auch scheut sich Bühler nicht, Karl Blossfeldt, den stilbildenden Pflanzenfotografen der Neuen Sachlichkeit zu zitieren. Er wird wissen, das Blossfeldt Formen und Strukturen zu Unterrichtszwecken ins Bild setzte. Aber auch, dass er das Erscheinungsbild seines Bildgegenstandes wie er selbst leidenschaftlich genau studierte. Schönewald bietet Bühlers Serie „Photosynthese. Urformen des Lebens“ in großen Pigmentdrucken und 5er-Auflage an. Die Preise sind gestaffelt. Die erste Auflage kostet 12.500 Euro.

Düsseldorf ist ehrgeizig und hat bekanntlich in der jüngeren Vergangenheit keine Mittel gescheut, um sich als „Fotostadt“ ins rechte Licht zu rücken. Es wäre doch gelacht, wenn davon die Foto-Biennale nicht profitieren würde. Mit ausreichend Mitteln ausgestattet, könnte das Festival die Vielfalt der Ansätze und Wandlungen des mittlerweile über 180 Jahre umspannenden Mediums vielleicht noch konzentrierter und auch publikumsnah durchleuchten und vermitteln.

Mehr: Fotofestivals in Düsseldorf: Alles in einen Topf geworfen

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