Sebastião Salgado ist Fotograf, aber auch Menschenrechts- und Umweltaktivist. Mit seinen Themen ist er den großen Debatten der Menschheit immer um ein paar Jahre voraus.
Sebastião und seine Frau Lélia Wanick Salgado
Das Paar auf der Fazenda seiner Familie in Brasilien 2006. (Instituto Terra)
Bild: Ricardo Beliel
Salvador Zwei Jahre arbeitete Sebastião Salgado bereits für die renommierte Fotoagentur Magnum, als er am 30. März 1981 vor dem Hilton Hotel in Washington auf Ronald Reagan wartete. Die „New York Times“ wollte eine Reportage über die ersten 100 Tage des US-Präsidenten. Salgado war aus Paris eingeflogen. Er hatte den Job eher widerstrebend angenommen. Politikerporträts interessierten ihn nicht. Doch die Reportage sollte sein Leben verändern.
Als Reagan aus dem Hotel kam, schoss der Attentäter John Hinckley jr. auf den Präsidenten. Den getroffenen Reagan lichtete Salgado nicht ab. Dafür reagierte er zu spät. Er schoss aber ein Fotos von dem durch die Bodyguards überwältigten Attentäter. Die Aufnahme besticht noch heute durch ihre Dynamik. Das Foto wurde weltweit veröffentlicht – und Salgado verdiente damit so viel, dass er sich danach erstmals die langen Recherchereisen leisten konnte, für die er berühmt werden sollte.
Jetzt hat der 75-Jährige als erster Fotograf den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Die Begründung der Jury: „Salgado fordert mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden und verleiht der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit.“ Die Absicht ist eindeutig: Hier soll zwar auch der Fotograf geehrt werden, aber vor allem der Aktivist Salgado, der aus Brasilien stammt. Dort hat gerade ein neuer Präsident eine Offensive auf den Amazonas, auf Indigenen-Reservate und die Naturparks des Landes gestartet.
„Er war immer seiner Zeit voraus, hat vieles prophetisch vorhergesehen und ins Rampenlicht gehoben“, sagte der Regisseur Wim Wenders in seiner Laudatio auf Salgado. Er kennt Salgado gut. Wenders hat den Fotografen in seinem Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ 2014 eindrücklich portraitiert. Wenders zeigt dabei das Visionäre Salgados mit dessen eigenen Werken.
Den Regisseur erstaunt, wie der Fotograf mit seinen Themen und Perspektiven den großen Debatten der Menschheit immer um ein paar Jahre, manchmal auch Dekaden voraus war: Die Fotos von den Goldsuchern in der brasilianischen Serra Pelada gingen 1986 um die Welt, dieser invertierte Turmbau zu Babel im brasilianischen Amazonas – kurz bevor Regenwaldschutz beim Umweltgipfel der Uno in Rio de Janeiro 1992 ein Thema wurde. „Gold“, „Kuwait. Eine Wüste in Flammen“ und andere Reportagebände von Salgado verlegt der Taschen Verlag.
Sebastião Salgado
Goldmine der Serra Pelada im Jahr 1986.
Bild: Sebastião SALGADO / Amazonas images
Für sein Werk „Arbeiter“, eine Archäologie des industriellen Zeitalters, porträtierte er bis 1992 über neun Jahre lang Werktätige auf der ganzen Welt. Schon ahnend, dass Roboter und Künstliche Intelligenz die traditionellen Arbeitsverhältnisse durcheinanderwirbeln und die Handarbeit in der Fabrik, auf dem Feld oder in der Mine entwerten würden. Mit „Exodus“ lancierte er 2000 sein erstes Werk über Flüchtlinge vor allem in und aus Afrika – sehr lange bevor Migrantenströme Europas Politik erschüttern sollten.
In „Genesis“ schließlich, seinem Buch über abgelegene Naturparadiese der Welt und Naturvölker, zeigte er vor sechs Jahren erstmals die bedrohte Schönheit – bevor „der Klimawandel die Zukunft auf dem Planenten verdunkelt“, wie Wenders das ausdrückt. „Er zeigt uns in Genesis etwas, was noch so ist wie am Anfang, was noch nicht für immer vergangen ist.“ Genau dieser Verzicht auf Gegenwart macht Sebastião Salgado für die akademische Lehre uninteressant. Er fotografiere alles so gleich, moniert Elisabeth Neudörfl, Professorin für Dokumentarfotografie in Essen.
Warum Salgado instinkthaft große Themen vor anderen erkennt, lässt sich aus seiner Biografie erahnen: Er hat Entwurzelung, zerstörte und intakte Natur schon früh mitbekommen. Aufgewachsen ist er auf dem Land, in einer bergigen Region nördlich von Rio. Es ist ein Landstrich, wo Portugal als Kolonialmacht afrikanische und indigene Sklaven nach Gold und Diamanten schürfen ließ und wo bis heute Erz gefördert wird.
Sebastião Salgado „Kuwait“
Die Stichflamme und die Wasserfontäne dynamisieren sich auf diesem Bild, das 1991 entstand.
Bild: Sebastião SALGADO / Amazonas images
Salgado wuchs auf der Farm seiner Familie auf, studierte später Volkswirtschaft an renommierten Unis. Auch in Brasilien waren die 68er-Jahre für Studenten eine unruhige Umbruchphase. Aber anders als in Europa oder den USA waren Studentenproteste, an denen sich Salgado beteiligte, lebensgefährlich wegen der Repression der regierenden Militärs. Salgado ging mit seiner Frau Lélia ins Exil nach Paris. Dort leben sie bis heute.
Er arbeitete als Ökonom für die Internationale Kaffeeorganisation, reiste um die Welt, auch für die Weltbank, und begann, mit der Leica seiner Frau zu fotografieren. 1973 macht er sich selbstständig als Fotograf, schon bald im Auftrag von renommierten Agenturen, bis er 1979 zu Magnum wechselte. „Meine Fotos haben sicherlich eine ästhetische Dimension“, entgegnet er auf Vorwürfe, er würde trostloses Elend ästhetisch darstellen. Das sei unbestritten. „Meine Sprache ist das Licht. Denn es ist auch und vor allem die Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen, die meine Arbeit als Sozialfotograf bestimmt.“
Seine Bilder wirken so plastisch, weil Salgado Licht und Schatten in extrem vielen Grautönen einfängt. Deshalb beschäftigt der Künstler einen Mann, der die Belichtungszeiten für jede Aufnahme in vielen Stunden berechnet. Wim Wenders wollte diesem Anspruch in seinem Film nahekommen. Doch er gab nach kurzer Zeit auf, erzählte er dem Handelsblatt, weil das sein Budget gesprengt hätte.
Sebastião Salgado
Vor Menschen und Autos ergreift der Elefant in Sambia die Flucht. Fotografiert im Kafue National Park. Zambia 2010.
Bild: Sebastião SALGADO / Amazonas images
In Wenders Film ist zu sehen, wie Salgado unter hohem persönlichem Einsatz in einer immer frenetischeren Frequenz in die politischen Konfliktgebiete Afrikas reist. Die Fotos, die er zurückbringt, sind kaum zu ertragen in ihrer Intensität. Auch Salgado zahlte drauf. „Ich wurde in dieser Geschichte verletzt. Ich sah den Tod auf eine schreckliche Weise und die Gewalt, die wir selbst verursacht haben. Ich glaubte nicht mehr, dass die menschliche Spezies eine Überlebenschance hätte.“ Salgado wurde krank, hörte auf zu fotografieren.
Und kehrte im Jahr 2000 auf seine Farm zurück, wo er aufgewachsen war. Doch das Paradies seiner Kindheit war verödet: Wo er im Atlantikregenwald noch das Spiel von Licht und Schatten erlebt hatte, klaffte eine Mondlandschaft. „Sie war genauso verwundet, so tot wie ich.“ Er begann, das Land aufzuforsten. Inzwischen hat er 2,5 Millionen Bäume gepflanzt auf den 700 Hektar. Aus der braunroten Brache ist ein Regenwald geworden mit Hunderten von neuen Bächen, wilden Tieren. „Auch wenn du kein einziges Foto gemacht hättest, Sebastião, wärst du trotzdem ein Held des Friedens. Dann würden die fast drei Millionen Bäume für dich sprechen“, sagt Wenders in der Frankfurter Paulskirche bei der Preisverleihung.
Warum Salgado letztendlich den Friedenspreis bekommen hat, erklärt Wenders so: „Weil er sich Zeit genommen hat für die Grundlagenforschung, die jedem dauerhaften Frieden vorgelagert ist.“ Salgados nächstes Werk soll 2021 erscheinen. Das Thema wird sein: Amazonien.
Mitarbeit: Susanne Schreiber
Mehr: Wim Wenders: Lesen Sie hier, was der Starregisseur über die Fotografie denkt.
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