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16.03.2023

10:08

Frauen im Auktionshaus – Teil 1

Diese Frauen leiten das Geschick von Auktionshäusern

Von: Sabine Spindler, Susanne Schreiber

Bei Versteigerern arbeiten überwiegend Expertinnen. Doch nur ganz wenige erobern die Führungsposition. Unsere Serie stellt die Leitfiguren vor. Teil 1

2018 klopft Sotheby' Chefin für Moderne und impressionistische Kunst für den „Liegenden Akt“ von Modigliani 157,2 Millionen Dollar ein. Die Britin leitet auch die millionenschweren Abendauktionen.Foto: Sotheby‘s

Helena Newman:

2018 klopft Sotheby' Chefin für Moderne und impressionistische Kunst für den „Liegenden Akt“ von Modigliani 157,2 Millionen Dollar ein. Die Britin leitet auch die millionenschweren Abendauktionen.
Foto: Sotheby‘s

München, Düsseldorf Sie lächelt – auch beim Warten. Und moderiert den sich langsam entfaltenden Bieterwettstreit. Helena Newman ist Sotheby’s oberste Chefin für Impressionismus und Moderne Kunst. Und zugleich ist sie bei einer Auktion die Chefin im Ring.

Sie lächelt, weil sie weiß, dass sie gleich wieder einen Rekordpreis einhämmern wird. Diesmal für einen Frauenakt von Amedeo Modigliani. Mit modulierender Stimme hält Newman die neueste Bestmarke für den Pariser Bohemien fest. Am Ende sind es 157,2 Millionen Dollar: 2018 war das der höchste Preis, der Sotheby’s für ein Kunstwerk in einer Auktion bezahlt wurde.

Die Ausnahmeerscheinung

Nichts wird dem Zufall überlassen in einer Prestigeauktion mit millionenschwerer Kunst. Alles ist choreografiert: die Reihenfolge der Kunstwerke, die Gruppierung der Kollegen an den Telefonen mit den superreichen Topkunden, sogar das Kleid der Auktionatorin. Bei unserem Beispiel trägt Helena Newman ein rot schimmerndes, figurbetontes Kleid von Catherine Walker, farblich abgestimmt auf das kleine Picasso-Gemälde hinter ihr.

Helena Newman ist eine Ausnahmeerscheinung. Weltweit sind die meisten Mitarbeitenden in Auktionshäusern zwar Frauen – am Empfang, in der Akquise, als Expertin, Katalogautorin, Restauratorin oder Buchhalterin. Aber als Auktionatorin auf dem Rostrum, jener Art von Kanzel, die dem Versteigernden einen Überblick auf Saal und Kundschaft verschafft, sah man Frauen lange nur vereinzelt. Und wenn, dann war die Domäne der Frauen die Wohltätigkeits- und die Tagesauktion. Die Prestige trächtigen Abendauktionen mit Millionenzuschlägen haben sie sich erst jüngst erobert.

Die fünfteilige Handelsblattserie stellt Frauen vor, die mit und ohne Hammer das Geschick eines Versteigerungshauses leiten. Pandemie, Digitalisierung und Debatten um Diversität und Inklusion befördern ihre Sichtbarkeit.

Jahrhundertelang bestimmten Männer den Verlauf von Versteigerung wertvoller Kunst. James Christie startet 1766 sein Unternehmen. Matthias Heberle gründete 1798 das „Antiquargeschäft mit Auktionsanstalt“ in Köln, die Firma, aus der Lempertz entstand. Noch heute dirigieren bei Hochpreisobjekten meist Männer das Geschehen: Das 23 Millionen teure Beckmann-Selbstbildnis hat Grisebach-Mitinhaber Markus Krause dem Unternehmer und Sammler Reinhold Würth zugeschlagen. Robert Ketterer wies Richard Serras statisch fragile Stahlplastik „Corner Prop No 6“ dem auf Schloss Derneburg residierenden Amerikaner Andy Hall für gut eine Million Euro zu.

Die Vorreiterin

Als die afroamerikanische Kunstexpertin Andrea Fiuczynski Anfang der 1990er-Jahre ihre Karriere bei Christie’s begann, sahen einige männliche Kollegen in der vielsprachigen Kunstexpertin und Chairwoman für die US-Westküste und später auch für Kanada und Südamerika, bald eine Konkurrenz im Rostrum.

So dramatisch und dynamisch, aber auch erfolgreich waren ihre Auktions-Auftritte. Die Haute Couture von Elizabeth Taylor und wichtige „Single Owner“-Einlieferungen wie der Nachlass von Rudolf Nurejew bei Christie‘s, Gemälde von Konrad Bernheimer und die Schätze des einstigen Sotheby´s Besitzers Alfred Taubman wurden ihr anvertraut.

Im Glitzerdress 2017 bei der Abendauktion in Hongkong: Asiatische Kunden schätzten es, dass nicht der übliche weiße Mann, sondern eine farbige Frau kompetent versteigerte. Foto: „The Value“

Andrea Fiuczynski:

Im Glitzerdress 2017 bei der Abendauktion in Hongkong: Asiatische Kunden schätzten es, dass nicht der übliche weiße Mann, sondern eine farbige Frau kompetent versteigerte.
Foto: „The Value“

Als Christie‘s ab 2001 seine Aktivitäten in Hongkong nach der Übergabe der Metropole an die Chinesen forcierte, erkannte Fiuczynski ihre Chance. Sie leitete als eine der ersten Frauen Abendauktionen mit millionenschwerer, zeitgenössischer Kunst aus Ost und West und mit chinesischem Kunsthandwerk.

Die Asiaten fanden es großartig, dass nicht wie üblich der angelsächsische weiße Mann sondern erstmals eine nicht-weiße Frau auftrat, erinnert sie sich im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Ich hatte zu der Zeit schon in den USA Abendauktionen mit lateinamerikanischer Kunst und Single Owner Sales realisiert. Für mich als Farbige und Frau gab es zu dieser Zeit nur ein unerreichbares Terrain – das waren die Contemporary und Impressionist Evening Sales in New York“, erzählt die heute 60-Jährige in fließendem Deutsch.

Andrea Fiuczynski hat eine starke Ausstrahlung und war als Auktionatorin eine Vorreiterin. Am Ende hat sie sich für das weniger hektische Leben als Kunstberaterin entschieden und nicht mehr bis nach New York durchgekämpft.

Die Hammerfrauen

Das schafft 2016 Helena Newman und etabliert sich in der Welt der testosterongetriebenen Abendauktionen. Zwei Jahre später schwingt die Amerikanerin Tash Perrin den Hammer bei Christie’s Versteigerungsmarathon mit dem Rockefeller-Nachlass.

Frauen stehen auch im deutschen Versteigerungsgeschäft ganz vorn: Mit dem Hammer in der Hand etwa Katrin Stoll von Neumeister, Irene Lehr und Gudrun Ketterer. Andere Frauen zeigen Stärke in der Geschäftsführung wie Diandra Donecker bei Grisebach oder Isabel Apiarius-Hanstein, die das Traditionshaus Lempertz aus Köln in sechster Generation derzeit gemeinsam mit ihrem Vater leitet.

Viele unterschätzen sie, weil die Co-Geschäftsführerin keine laute Frontfrau im Gucci-Kleid ist. Aber: „Ich werde in Zukunft als erste weibliche Chefin die ganze Verantwortung für das Unternehmen übernehmen,“ sagt die 35-Jährige. Es wirkt frisch, uneitel und geerdet, wenn sie das sagt.

Das Auktionsgeschäft gehört schon in ihrer Kindheit zu ihrem Leben. „Kein Urlaub ohne Kundenbesuch“, erinnert sich die studierte Architektin, die ihre Erfahrungen mit zeitgenössischer Kunst in renommierten Galerien gesammelt hat. „Mein Vater ist eher der Chef alter Schule, ich bin eine Team-Playerin“, beschreibt Apiarius-Hanstein sich selbst.

Sie hat bereits als Auktionatorin agiert, arbeitet momentan aber hauptsächlich strategisch in der Akquise und der Kommunikation. Das online-Kundenmagazin „À Jour“ war eines ihrer wichtigen Projekte, um mit dem Mix aus Alter Kunst und modernem Design auch die eigene Generation zum Sammeln zu inspirieren.

Der Konkurrenzkampf unter den Häusern ist hart. Es zählen nicht nur Kennerschaft und ein breites Vertriebsnetz. „Es sind oft sehr persönliche Gründe, warum sich Kunden für unser Haus entscheiden.“ Deswegen vertraut sie auf die guten, langjährigen Kontakte von Lempertz, die bis nach Lateinamerika reichen. Von außen scheinen die Hierarchien im Hause Lempertz noch zu bestehen. „Manche Kunden wollen lieber mit meinem Vater verhandeln, andere schätzen eine jüngere Perspektive.“ Damit kann sie gut umgehen. Kompetenz und keine Allüren lautet ihre Devise.

Die Pionierin

Rollenvorbilder für die heutigen Frauen an der Spitze von Auktionshäusern sind die Gründerinnen der Wirtschaftswunderjahre. Carola van Ham (1926–2016) eröffnete 1959 in Köln ihr Versteigerungshaus in bester Lage. Sie hatte Ware und Kundenkartei des Auktionators Franz Menna gekauft. Für ihr „Kunsthaus am Museum“ war die „Monatsmiete doppelt so hoch wie das bisherige Jahreseinkommen,“ pflegte sie lachend zu erzählen.

Die Kunsthistorikerin startete ihr Unternehmen im Jahr 1959 in Köln. Sie war Deutschlands erste Auktionatorin mit einem Faible für Kunstgewerbe.Foto: Archiv Van Ham

Carola van Ham-Eisenbeis

Die Kunsthistorikerin startete ihr Unternehmen im Jahr 1959 in Köln. Sie war Deutschlands erste Auktionatorin mit einem Faible für Kunstgewerbe.
Foto: Archiv Van Ham

Die unerschrockene Kunsthistorikerin hatte in der Männerdominierten Kunstwelt eine starke Frau zum Vorbild. Ihre eigene Mutter Catharina van Ham war als erste Maklerin für eine Kölner Privatbank an der Börse zugelassen – und dazu noch alleinerziehende Mutter. Das prägt. „Wenn mein Vorgänger Franz Menna davon leben kann, dann kann ich das auch“, lautet Carola van Hams Motto.

Das Kunsthaus am Museum wurde für Sammler von Kunstgewerbe und Gemälden immer wichtiger und wuchs. 1996 holte Carola van Ham ihren Sohn Markus Eisenbeis ins Unternehmen. Der änderte den Namen in Van Ham und vergrößerte es stetig. Noch heute schlägt Eisenbeis mit dem Hammer zu, den bereits seine Mutter in Händen hielt.

Gründerin in geteilter Stadt

Eine Pionierin ist auch Gerda Bassenge (1915 – 1995). Die Berlinerin hatte 1953 für ein Monatsgehalt von 50 D-Mark als Lehrling bei der führenden Avantgarde-Galerie von Gerd Rosen angefangen. Nach dem überraschenden Tod von Rosen im Jahr 1961, gründete die schlagfertige, temperamentvolle Kunstexpertin ihr eigenes Unternehmen. Nur zwei Jahre nach Mauerbau eröffnete sie die Galerie Gerda Bassenge. Dafür hatte die alleinerziehende Mutter etliche frühere Mitarbeiter von Gerd Rosen engagiert.

Die Berlinerin mit der kessen Schnauze eröffnete ihre Galerie mit Auktionshaus nur zwei Jahre nach dem Mauerbau. Sie versteigerte nicht selbst. Das übernahm ab 1967 Sohn Tilman. Foto: Archiv Bassenge

Gerda Bassenge:

Die Berlinerin mit der kessen Schnauze eröffnete ihre Galerie mit Auktionshaus nur zwei Jahre nach dem Mauerbau. Sie versteigerte nicht selbst. Das übernahm ab 1967 Sohn Tilman.
Foto: Archiv Bassenge

Neben der Galerie, in der sie sich für Künstler mit Potenzial stark machte, organisierte Bassenge von Anfang an Auktionen. Aber die kenntnisreiche Chefin mit dem Gespür für Menschen und Künstler versteigerte allerdings nicht persönlich. Das taten Mitarbeiter und bald schon Sohn Tilman, den sie 1967 ins Unternehmen holte.

Die Chefin mit der kessen Berliner Schnauze sammelte selbst, unter anderem einen bronzenen Gedenkkopf einer Königin-Mutter aus dem Königreich Benin. Bis heute ist das von Enkel David Bassenge geführte Auktionshaus eine erste Adresse für Grafik, Bücher und Autografen.

Für Frauen nur Nischen

Außerhalb von Familienunternehmen war eine hammerschwingende Frau lange auf Nischen angewiesen. Weil die Deutsche Anke Adler-Slottke mehrsprachig war, durfte sie ab 1963 für Londoner Briefmarken-Versteigerer Robson Lowe Ltd. vor einem ausschließlich männlichen Bieter-Publikum Postwertzeichen versteigern. Später versteigerte Adler-Slottke dann für Christie’s Briefmarken, wechselte zur bildenden Kunst und leitete mit der oben erwähnten Andrea Fiuczynski die Mauerbach-Auktion in Wien.

Das war 1996 die erste Restitutions-Versteigerung, in der über 1000 von den Nationalsozialisten geraubte, herrenlose Kunstwerke aus dem Sammellager im ehemaligen Kartäuserkloster Mauerbach unter den Hammer kamen. Der Erlös von 120 Millionen Schilling – umgerechnet rund 17 Millionen D-Mark – wurde unter Opfern der NS-Verfolgung aufgeteilt.

Ein Nischendasein fristen Frauen, die versteigern wollen, heute nicht mehr. Grisebach und Van Ham beschäftigen je zwei Auktionatorinnen, bei Neumeister sind es mit Eigentümerin Katrin Stoll auch zwei. Bei Karl & Faber sorgt neben Geschäftsführer Rupert Keim Sheila Scott für gute Stimmung im Saal bei der Verteilung der Kunstwerke. Auch bei Sotheby’s haben die Auktionatorinnen bereits einen Anteil von 40 Prozent. Frauen sind im Vormarsch. Das Handelsblatt stellt die Leitfiguren vor.

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