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29.01.2023

07:17

Künstliche Intelligenz

KI-generierte Kunstwerke krempeln den Kunstmarkt um

Von: Stephan Scheuer, Susanne Schreiber

PremiumKI-Systeme kreieren beeindruckende Filme und preisgekrönte Bilder. Der Kunstmarkt könnte vor einem Umbruch stehen.

Das Wandbild „World Wind” (i.) hat die KI Midjourney nach Wortbefehlen geschaffen. Bitforms Gallery NYC

Blick in die Schau von Marina Zurkow und James Schmitz

Das Wandbild „World Wind” (i.) hat die KI Midjourney nach Wortbefehlen geschaffen.

San Francisco, Düsseldorf Flammen lodern. Die Kontur einer Frau ist zu erkennen. Das Feuer selbst scheint die Formen von Menschen anzunehmen. Dann verschwinden die Bilder. In einer anderen Szene ist wieder der Körper einer Frau zu erkennen. Wenige rote Stofffetzen bedecken Bauch und Arme. Krähen haben die Frau umzingelt.

Das Publikum im Alamo-Drafthouse-Kino im Zentrum von San Francisco applaudiert, als die letzten Szenen des Kurzfilms „Protoplasm“ enden. Weniger später wird der Film mit Preisen ausgezeichnet. Dabei geht es aber nicht um besondere Kameraführung oder ein gutes Drehbuch – Künstliche Intelligenz steht im Vordergrund.

Keine Szene von „Protoplasm“ wurde mit einer Kamera aufgenommen. Alle entstammen einer Künstlichen Intelligenz. Die Macherin hinter dem Film, Yuqian Sun, kommt nicht aus der Filmszene, sondern ist Informatikerin und promoviert an der britischen Kunsthochschule Royal College of Art.

Das weltweit erste KI-Filmfestival in San Francisco ist ein Symbol für eine tief greifende Veränderung des Kunst- und Filmmarktes. Algorithmen sind mittlerweile in der Lage, komplexe Bilder und Videos zu schaffen. Die Grenzen zu klassischer Kunst verwischen. Der Kunstmarkt könnte vor dem größten Umbruch seit Jahrzehnten stehen.

KI-generierte Kunstwerke gibt es zwar schon seit einigen Jahren. Aber innerhalb der vergangenen Monate haben digitale Werkzeuge gewaltige Fortschritte gemacht. Anwendungen wie DALL-E 2, Midjourney und Stable Diffusion machen es möglich, dass die Eingabe von ein paar Worten ein fotorealistisches Bild innerhalb von Sekunden entstehen lässt.

Stable Diffusion wurde unter anderem von einem Team um Professor Björn Ommer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München entwickelt. Stable Diffusion zeichnet durch so wenig benötigte Rechenleistung aus, dass es auf vielen heimischen Computern genutzt werden kann.

Aus einem von der Künstlerin aufgebauten Bildspeicher komponiert, thematisiert das digitale Bild Umweltfragen von heute. Bitforms Gallery NYC

Marina Zurkow „A Questionable Tale (#1)“

Aus einem von der Künstlerin aufgebauten Bildspeicher komponiert, thematisiert das digitale Bild Umweltfragen von heute.

Beim jährlichen Kunstwettbewerb des US-Bundesstaates Colorado wurde im August ein Bild prämiert, das von einem der Text-zu-Bild-Generatoren erstellt wurde. Das ausgezeichnete Bild unter dem Titel „Théâtre D’Opéra Spatial“ wirkt wie eine Opernaufführung gepaart mit Elementen von Science-Fiction. Der erste Platz bei dem Kunstwettbewerb brachte Jason M. Allen ein Preisgeld von 300 Dollar ein.

Er habe von Anfang an transparent gesagt, dass er ein KI-Werkzeug für die Erstellung des Bildes genutzt haben. Nur den genauen Wortlaut, mit dem er das System gefüttert hatte, wollte er nicht verraten. Allen ist kein gelernter Maler. In seinem Hauptberuf leitet er das Brettspielunternehmen Incarnate Games.

Urheberrechtsschutz bei KI-generierter Kunst

In der Kunstszene führte Allens Gewinn des Kunstpreises zu heftiger Kritik. Dabei steht die Frage im Raum, ob Menschen wie Sun und Allen überhaupt die eigentlichen Urheber der Kunstwerke sind. Denn ein KI-Werkzeug macht deutlich mehr als etwa ein Pinsel, den ein Künstler über eine Leinwand bewegt. Algorithmen sind sogar in der Lage, ganz ohne Eingabe von Menschen Bilder oder Videos zu produzieren.

Die Frage des geistigen Eigentums sei auf den ersten Blick leicht zu beantworten, sagte Sarah Polcz von der Juristischen Fakultät der Stanford Universität. „Ein Kunstwerk, dass ausschließlich von künstlicher Intelligenz geschaffen wurde, unterliegt keinem Urheberrechtsschutz.“ Das bedeute, jeder könnte so ein Werk frei kopieren. In der Praxis sei die Frage jedoch deutlich schwerer zu beantworten, räumte Polcz ein. „Oft entsteht ein Kunstwerk aus der Kombination von Mensch und Künstlicher Intelligenz.“

Die Frage des Urheberrechts gehe aber beim Einsatz von KI in der Kunst noch einen Schritt weiter, argumentierte Polcz. „Manche KI-Modelle werden mit Material trainiert, das per Urheberrecht geschützt sein kann.“ Der Reiz einiger KI-Systeme liege gerade darin, den Stil eines bekannten Künstlers imitieren zu können. Genau dort beginnt das nächste Problem. Bis wann ist ein Werk von einem bekannten Künstler inspiriert und wann ist es eine Kopie?

KI erschafft aus archivierten Videos bewegte Bilder auf den Oberflächen der Philharmonie von Los Angeles. Studio Refik Anadol

Refik Anadol „WDCH Dreams“

KI erschafft aus archivierten Videos bewegte Bilder auf den Oberflächen der Philharmonie von Los Angeles.

In der Musikindustrie wird diese Fragen bereits vor Gericht ausgetragen. Der Verband der Musikindustrie in Amerika RIAA hat eine Klage gegen mehrere Start-ups angestrengt, die per KI Stimmen oder Musik generieren. Der Verband argumentiert: „Die Nutzung von Werken unserer Mitglieder für Trainingszwecke ist unberechtigt.“ Der Ausgang der Rechtsstreitigkeiten rund um KI-generierte Werke sei noch offen, sagte Polcz. „Die Gerichte müssen nun eine Position im Umgang mit diesen Techniken finden.“

In San Francisco geht die Kunstszene bereits einen Schritt weiter. Galerist Steven Sacks hat in seiner Zweitgalerie eine ganze Ausstellung Werken gewidmet, die mittels KI entstanden sind. Der Gründer der New Yorker Galerie Bitforms machte sich einen Namen mit digitaler Kunst.

„Es scheint immer Kontroversen zu geben, wenn fortschrittliche Werkzeuge auf den Markt kommen und Künstler sie nutzen,“ bemerkte Sacks. Die Bitforms Gallery ist dabei, den Markt für KI-Kunstwerke zu testen. Sind etablierte Kunstkäufer bereit, viel Geld für Bilder zu zahlen, die von Algorithmen generiert wurden?

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In New York läuft bei Bitforms noch bis 11. Februar die Ausstellung „World Wind“ von Marina Zurkow in Zusammenarbeit mit James Schmitz. Es geht um die bedrohliche Seite des Klimawandels, den „Ökozid“. KI ist Ausgangspunkt für Zurkows Kunst. Aber das titelgebende Wandbild hat der Algorithmus allein geschaffen. „Wir hatten keineswegs erwartet, dass Midjourney ein so atemberaubendes und treffsicheres Bild produzieren würde,“ schreibt Marina Zurkow in einem Email-Interview dem Handelsblatt.

Die Frage, ob KI für Kunst eine Gefahr werden könnte, sehen Zurkow und Schmitz gelassen. Denn es bleibe immer ein Unterschied zwischen einem KI-Kunstwerk und dem Werk eines lebenden Künstlers. „Heutzutage beginnt und endet das, was viele Menschen als Kunst empfinden, mit dem, was in ihren Instagram-Feeds erscheint,“ schreibt James Schmitz.

KI ist Werkzeug, kein Ersatz für Kunst

Schmitz prognostiziert: „Die Schwemme der von künstlicher Intelligenz erzeugten Inhalte wird bewirken, dass Künstler und Kunstwelt andere Arten von Kunst höher schätzen werden.“ Diese andere, überlieferte Form von Kunst bezieht sich Zurkow zufolge auf Parameter wie „Konzept, Geschichte, Komplexität, Kontext, Glaubwürdigkeit, Nachhaltigkeit und Witz in einem Werk.“

KI ist für beide Künstler immer nur ein Werkzeug, kein Ersatz für Kunst. „Ich habe KI benutzt, um eine einzigartige Datenbank von Bildquellen zu erstellen, die ich dann auf die gleiche Weise verwenden kann, wie jemand einen Stapel „Life“-Magazine zerschneiden würde,“ erläutert Marina Zurkow ihren Ansatz.

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Mehrere Unternehmensberatungen und Marktforscher sind überzeugt, dass per Algorithmus generierte Bilder, Videos oder andere Objekte einen gewaltigen Markt kreieren werden. Die Beratungsgesellschaft Acument rechnet mit einem jährlichen Wachstum von 34,3 Prozent zwischen den Jahren 2022 bis 2030. Zu Ende des Jahrzehnts soll der Markt ein Volumen von 111 Milliarden Dollar erreichen.

Der Marktforscher Grand View Research geht in einer Studie von einem Marktvolumen von 109 Milliarden Dollar im Jahr 2030 aus. Und Polaris Market Research erwartet in einer Studie sogar einen Markt mit einem globalen Umsatz von 201 Milliarden Dollar im Jahr 2032. Dabei gehen alle drei Studien davon aus, dass die KI-Systeme sehr viele Branchen abdecken werden. Hochwertig kreierte Bilder ließen sich nicht nur in der Kunst, sondern auch im Werbegeschäft, im Modemarkt, in der Bildung und Medizin nutzen.

Ob sich solch gigantische Prognosen erfüllen werden, ist aber noch völlig unklar. Das Auktionshaus Sotheby’s versteigerte schon im Jahr 2019 ein mithilfe von KI kreiertes Kunstwerk für 40.000 britische Pfund. Damals führte die Versteigerung zu großem Interesse. Mittlerweile spielen KI-Kunstwerke bei Sotheby’s eher eine untergeordnete Rolle.

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