Eine neue Generation von Galeristinnen und Galeristen ist angetreten. Mit viel Lust am Ausprobieren, aber vor allem mit Taten, Programm und Haltung.
Marcus Trautner
In der kommenden Saison wird in seiner Galerie kein einziges gemaltes Bild zu sehen sein.
Bild: Bernhard Rohnke
Hannover Furchtlose Neugier und viel Experimentierwille, diese verheißungsvolle und zukunftshungrige Paarung von Eigenschaften charakterisiert eine neue Gründergeneration von Galeristen. Keine Spur von Pessimismus über den Wandel im Handel. Die jungen Galeristinnen und Galeristen, die das Handelsblatt vorstellt, sehen nach vorne, ohne dabei unkritisch zu werden.
Das spiegelt sich auch in Angebot und Grundhaltung. Berührungsängste mit neuen Technologien sind selten. Verkrustetes Denken auch. Dafür sind klare Meinungen umso häufiger. Zum Beispiel bei Marcus Trautner von der Münchner Galerie Heldenreizer Contemporary. Er ist seit 2019 Galerist. Kurz vor der lähmenden Pandemie gründete er sein Unternehmen. Davor war er mit einer Pop-Up Galerie aktiv.
Sein höchst anspruchsvolles Ausstellungsprogramm kreist um die Themen Diskursivität und Diversität. Gesellschaftskritischer und analytischer geht es kaum. Bei Trautner werden diejenigen nicht fündig, die etwas Dekorativ-Schönes für die heimische Wand suchen. Aber kritische Zeitgenossen sind willkommen. Es ist das Denk-Abenteuer Kunst, zu dem er einlädt.
Was Trautner allerdings deutlich missfällt, ist der aktuelle Hype um die Non Fungible Tokens, die virtuellen Werke in der aktuellen Kunst. „Wir beobachten momentan besonders intensiv das Phänomen der NFT-basierten Kunst mit ihrem Authentizitätexhibitionismus, der durchaus an den Signaturfetischismus des 19. Jahrhunderts erinnert“.
Gleichzeitig aber erkennt Marcus Trautner auch den unaufhaltsamen Bedeutungszuwachs des Digitalen. „Auf der vergangenen Art Dubai, auf der wir mit einem Stand vertreten waren, sind alle Werke der Sektion „Digital Galleries“ bereits am ersten Messetag vollständig verkauft gewesen.“
Imke Valentien
Die Stuttgarter Galeristin findet es beunruhigend, dass „der Markt davon abhängig ist, welche Bedeutung eine Gesellschaft der Kunst gibt“.
Bild: Galerie Imke Valentien
Dabei beginnt die kaufkräftige Digital Natives-Generation gerade erst, auf den Markt zu drängen. In der kommenden Saison zeigt seine Galerie vor allem Installationen, Skulpturen, Performances und Fotografie, alles unter der Überschrift „What about Painting“. Aber kein einziges gemaltes Bild wird zu sehen sein. „Das führt hoffentlich zu guten Diskussionen.“
Imke Valentien, die aus einer bekannten Stuttgarter Galeristenfamilie stammt, hat frei von jedwedem Konkurrenzdenken zum elterlichen Unternehmen, ebenfalls ihre eigene Galerie gegründet, in Stuttgart. „Vermittlung, das nehme ich deutlich wahr, ist noch immer ein sehr wichtiger Teil der Galeriearbeit, die Interpretationen von uns Galeristinnen und Galeristen erweitern den Blick bei Interessierten und führt dann oftmals zu der Entscheidung, ein Werk kaufen zu wollen.“
Diesen bewährten Teil der Galeriearbeit wird Valentien deswegen weiter kultivieren. Sie hat ebenfalls gute Erfahrungen mit Instagram als Verkaufsplattform gemacht, „allerdings ist diese Form des Verkaufens deutlich uninteressanter, für beide Seiten. Das direkte Gespräch und die gemeinsame Nähe zum Original fehlen.“
Sie teilt die generelle Beobachtung, dass sich der Begriff des Werktyps gerade erweitert, vom realen zum virtuellen Objekt.
Es beunruhigt die Galeristin, dass „der Markt davon abhängig ist, welche Bedeutung eine Gesellschaft der Kunst gibt“. „Auf den Schulen sind aktuell die zukünftigen Konzert- und Galeriebesucher und auch die Museumsdirektorinnen und -direktoren, und natürlich diejenigen, die Kunst kaufen. Die Kunstvermittlung muss dort beginnen.“ Sonst werde irgendwann die Kunst nicht mehr Grundnahrungsmittel sein, sondern wieder ein dekoratives Luxusgut.
Imke Valentien ist klar, so deutlich sagen das wenige Galeristen: „Wir haben aktuell brennende gesellschaftliche, politische und ökologische Probleme. Die müssen dringend von uns allen angegangen werden.“ Deswegen ist sie ganz praktisch vor Ort aktiv.
„Die aktuelle Situation macht vielen Angst, und Angst hemmt, verengt den Blick.“ Deswegen hätte sie mit Beginn der Pandemie zu den 1:1 Konzerten beigetragen, um Musikerinnen und Musikern ein Podium zu bieten und auf der anderen Seite dem Publikum einen besonderen und perspektivenreichen Kunstgenuss zu ermöglichen.
Daniel Hagemeier
Der junge Kunsthändler stellt zusammen mit seiner Frau Sakhile Matlhare zeitgenössische Kunst mit Afrikabezug aus.
Bild: Vincent Yung
Mehr Verständnis für Kunst zu schaffen, das ist auch bei Daniel Hagemeier von der relativ neuen Frankfurter Galerie Sakhile&Me ein zentrales Anliegen. Zusammen mit seiner Frau Sakhile Matlhare stellt er zeitgenössische Kunst mit Afrikabezug aus. Bei ihnen sind es tendenziell jüngere Leute, die sich für das Angebot interessieren.
„Dabei sind auch regelmäßig Kunden aus den USA oder Großbritannien, weil dieses Kunst-Segment dort bereits langjährig durch viele Galerien etabliert ist.“ Die Kennerschaft sei in Deutschland entsprechend noch nicht so entwickelt, wie dort. „Aber wir sind auf einem guten Weg. Trotzdem ist es so, dass einige bei afrikanischer Kunst zuerst noch an traditionelle Masken und Skulpturen denken.“
Wie Imke Valentien konnte auch Hagemeier im väterlichen Unternehmen lernen. „Im Kunsthandel meines Vaters habe ich mich anfänglich vor allem mit den anstehenden digitalen Aufgaben auseinandergesetzt und war Stück für Stück auch in viele andere Bereiche seiner Galerietätigkeit involviert.“
Zur gleichen Zeit promovierte Hagemeiers Frau Sakhile Matlhare in den USA über zeitgenössische afrikanische Kunst. „Und wir beide fanden dieses Feld so wichtig, dass wir entschieden, eine eigene Galerie zu gründen, als sie mit dem Studium fertig war.“
Seitdem sind beide unentwegt dabei, die Werke „unserer Künstlerinnen und Künstler zu kontextualisieren und für sie Zugänge zum Markt zu schaffen.“ Kontextualisieren, das ist einer der Schlüsselbegriffe in der aktuellen Szene, darin spiegelt sich ihr gesellschaftliches und politisches Selbstverständnis, denn alles hängt mit allem zusammen. Und auch die freien Künste sind eben so frei nicht.
Auch für den Kunsthändler Marco Pesarese ist das Kontextualisieren ein wichtiges Instrument. Er setzt auf Kooperationen und arbeitet mit Artcurial und der Galerie Zink zusammen. Alte Meister und zeitgenössische Kunst treffen bei ihm in Ausstellungen zusammen. „Das hat dazu geführt, dass mehrere Sammler von zeitgenössischer Kunst zum ersten Mal in ihrem Leben auch Alte Meister kauften.“
Sakhile Matlhare
Sie führt gemeinsam mit Ihrem Mann Daniel Hagemeier die Galerie Sakhile&Me.
Bild: Katharina Dubno
Pesarese ist mit seinem in der Nähe des Starnberger Sees gelegenen Kunsthandels schon länger im Geschäft. Sein Blick auf die Galerienszene ist von Skepsis geprägt. „Die klassischen Galerien werden an Bedeutung verlieren. Die Marktdominanz der Auktionshäuser wird weiter zunehmen.“
Dazu gehöre auch die weitere Zunahme reiner Online-Auktionen. „Gut recherchierte gedruckte Kataloge werden genauso wie echte Saalauktionen immer mehr verschwinden, und damit leider auch die Magie der klassischen Auktion“, ergänzt Pesarese.
Auktionshäuser sind für ihn nur schnelle Durchlauferhitzer. Dieses Spiel, von dem er ein Teil war, wollte er nicht weiter mitmachen. Aber es gab auch, das sagt er ganz offen, weitere Argumente. „Ich habe meinen eigenen Kunsthandel gegründet, weil ich so mehr Entscheidungs-Freiheiten habe, als in einem Auktionshaus oder einem Museum. Und letztlich sichert mir das auch deutlich bessere Verdienstmöglichkeiten.“
Das aktuell größte Problem des Handles liege darin begründet, dass „ein großer Teil der Markt-Aufmerksamkeit auf den ‚hot shit‘ der zeitgenössischen Kunst gerichtet“ ist. Dadurch würden viele bedeutende Künstlerinnen und Künstler aus vergangenen Epochen übersehen. Augenzwinkernd fügt Pesarese an: „Aber das ist auch die Chance für Kunstliebhaber, wenn sie denn ein ‚gutes Auge‘ haben, oder gute Beratung“.
Marco Pesarese
Der Händler setzt auf Kooperationen und arbeitet mit Artcurial und der Galerie Zink zusammen.
Bild: Marco Pesarese Fine Art
Gerade mal ein gutes Jahr alt ist die Hamburger Galerie Melbye-Konan. Die Galeristin mit dem Schwerpunkt auf zeitgenössische afrikanische Kunst konnte ihren Markteintritt mit einem Coup überregionale Aufmerksamkeit verleihen. Einer ihrer Künstler, Yeanzi, wurde für den Pavillon der Elfenbeinküste auf der Biennale in Venedig ausgesucht. Das gab ihr sofort Auftrieb. Stella Melbye-Konan hat ihre Galerie vergrößert und residiert jetzt in der Nähe der Außenalster.
Zum Konzept der Kunsthistorikerin, die auch Kommunikation studiert hat, gehört, nicht mehr als ungefähr zehn Bilder zu zeigen. Ihr Ehemann Jean-Claude unterstützt sie bei der Galerie-Arbeit. Instagram ist auch bei ihr ein wichtiger Kommunikationskanal, neben Anzeigen, Publikationen und Dinner-Veranstaltungen für ihre Sammler. Das bindet ihre Zielgruppen auf sehr persönliche Art.
Via Instagram verkündete kürzlich ein in Stempelform flackerndes „Sold Out“ den Ausverkauf ihrer jüngsten Ausstellung mit Arbeiten von Atowla. Dass sie einer Art von Marketing viel abgewinnen kann, vor dem sich viele scheuen, ist nicht zu übersehen. Die Aufmerksamkeitsökonomie, also Sichtbarkeit in der schlicht überbordenden Zahl von Angeboten zu erzeugen, treibt ihre Blüten. Wie schön die sind, wird das Publikum entscheiden.
Stella Melbye-Konan
Die Galeristin mit Schwerpunkt auf afrikanischer Gegenwartskunst meldete kürzlich den kompletten Abverkauf ihrer Ausstellung mit Arbeiten von Atowla.
Bild: Galerie Melbye-Konan
Jedenfalls zählt es zu den notwendigen Kernkompetenzen aller Galeristen und Kunsthändler, sich gut zu positionieren. Mit Werbung, aber eben auch mit Taten, Programm, Haltung. Galerien brauchen ein Narrativ. Die Geschichte von Marco Trautner beeindruckt dabei in jeder Hinsicht. Sein Galeriename Heldenreizer war ein Fundstück 2012.
Er hatte an der Bayrischen Staatsoper „Walküre“ gesehen, „im 3. Akt überführt Wotan seine Tochter Brünhild des Verrats, weil sie Sieglinde zur Flucht verholfen hat: „Heldenreizerin warst Du mir: gegen mich doch reiztest du Helden! Wunschmaid bist du nicht mehr“.
Das hat bei Trautner gesessen – und wurde Galerieprogramm. Weil es keine auffindbare maskuline Form zu Heldenreizerin gab, hat er dann kurzerhand die männliche Form geschaffen. „Das war so absurd wie amüsant. Es ergeben sich bei näherer Betrachtung so viel Facetten. Das hat mir gefallen und deswegen gibt es heute Heldenreizer.“
Und so gesehen sind alle Galeristinnen und Händler dieser neuen Generation nicht nur furchtlos neugierig und experimentierfreudig, sondern auch engagierte Heldenreizer und Heldenreizerinnen.
Mehr: Deutscher Kunsthandel: André Kirbach in Pilsum: Faible für das Stille
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