Das spanische und europäische Messepublikum lässt sich auf der „Arco“ in Madrid auf junge zeitgenössische Kunst ein und kauft entschlossen.
Kota Ezawa „Kabul“
Ein Leuchtkasten, der Motive aus der Tagespresse verarbeitet.
Bild: Galerie Beckers /Galerie Kornfeld
Madrid Es ist die dritte „Corona-Messe“, die in Madrid gelesen wird. 2020 war die „Arco“ die letzte internationale Messe für zeitgenössische Kunst in Europa, die noch einigermaßen regulär abgehalten werden konnte, auch wenn die Pandemie schon drohend über ihr hing und FFP2-Masken, wenn überhaupt, nur noch zu Wucherpreisen zu haben waren.
Die in den Juni verschobene Messe letztes Jahr hätte eigentlich eine große Sause zur 40. Ausgabe sein sollen, geriet den Umständen entsprechend jedoch zu einer Sparversion mit deutlich verringerter Ausstellerzahl und so spärlichem wie verunsichertem Publikum. Dieses Jahr wird also nachgefeiert mit einem 40+1-Jubiläum. Das klingt bemüht, doch die so betitelte Sonderschau führt eindrücklich vor Augen, was in dieser Zeit geleistet wurde.
Von vielen heute großen Galerien, die hier über die Jahrzehnte teilgenommen haben, sind Werke in großen Formaten zu sehen. Ein ganzer Raum etwa mit an die Wand gehängtem – bald nicht mehr ganz so – frischem Gemüse von Karin Sander, eingereicht von der Galerie Helga de Alvear.
In der Zusammenschau ist die Liste beeindruckend und zeigt, wie die Messe und ihre Teilnehmer Markt- und Kunstgeschichte mitgestaltet haben. Das ist nicht wenig für eine im Grunde recht junge demokratische Gesellschaft. Man darf nicht vergessen: Anfang der 1980er-Jahre hatte das Land nach Jahrzehnten der Franco-Diktatur einen riesigen Nachholbedarf – wirtschaftlich, gesellschaftlich, kulturell.
Die Arco war einer der Motoren der Entwicklung und wurde schnell zum Tor zur Welt für die spanische Kunstszene und zur Brücke nach Lateinamerika zu den ehemaligen Kolonien. Gerade von dieser Funktion als Bindeglied zwischen den Kunstszenen beider Kontinente hat die Arco lange gezehrt.
Blick auf den Stand der Galerie nächst St. Stephan
Im linken Teil der Koje finden sich die Textilwerke von Sheila Hicks.
Bild: Galerie nächst St. Stephan / GRAYSC / VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Die Pandemie hat diesen Austausch jäh unterbrochen. Die Präsenz lateinamerikanischer Sammler ist dürftig. Gleichzeitig breitet Covid gnädig einen Mantel über einen Umstand, über den in Madrid ungern gesprochen wird, der jedoch in den letzten Jahren immer deutlicher geworden ist: Mit Gründung der „Art Basel Miami Beach“ vor 20 Jahren und der immer stärker werdenden „Zona Maco“ in Mexiko hat die Arco einiges an Strahlkraft eingebüßt.
Direktorin Maribel Lopez ist daher nicht unbedingt zu beneiden. Die erste, vollständig von ihr verantwortete Ausgabe war die des Jahres 2020. Im Gespräch mit dem Handelsblatt gibt sie sich realistisch: „Es wäre vermessen zu erwarten, dass die Lateinamerikaner nur zu uns kämen.“
Lopez' Augenmerk gilt aktuell vor allem den Galerien, denen sie einen optimalen Auftritt ermöglichen möchte: „ Ich unterstütze die Galerien aus Lateinamerika mit allem, was ich kann, wenn sie nach Europa kommen wollen. Wenn sie das Risiko im Moment scheuen, bin ich die Letzte, die sie zu einer Teilnahme drängt.“ Sie findet es auch nicht zielführend, nur darauf zu schauen, welche Galerien nicht hier sind. „Es ist viel wichtiger, welche Galerien hier sind.“
Denn Lopez sieht ihre Messe vor allem als Schaufenster für lateinamerikanische Kunst. „Die Arco ist mit ihrem Schwerpunkt aber auch nach Europa gerichtet. Es geht nicht primär darum, lateinamerikanische Kunst nach Lateinamerika zu verkaufen. Europäische Museen, die wissen wollen, was in Mittel- und Südamerika passiert, kommen hierher. Die lateinamerikanische Sektion fokussiert dieses Jahr zum Beispiel auf konzeptuelle Kunst, die die Grundlagen aktueller Kunst untersucht. Das ist in der Art einmalig.“
Nick Dawes „Hold“
Das 1,50 Meter breite Ölgemälde wird von den Galerien Anita Beckers und Kornfeld zum Preis von 17.300 Euro angeboten.
Bild: Galerien Anita Beckers und Kornfeld
Die Äußerungen der Messeleiterin können durchaus als Anerkennung einer langsam ablaufenden tektonischen Verschiebung verstanden werden. Das Ausbleiben ihrer angestammten Klientel interpretiert sie abwartend: „Was die lateinamerikanischen Sammler angeht: Viele von ihnen haben einen Zweitwohnsitz hier. Dieses Jahr ist es verfrüht, das Wegbleiben der anderen Lateinamerikaner als Trend zu interpretieren.“
Für europäische Galerien war der Marktplatz jedoch gerade wegen dieser Sammler wichtig. Von den 185 Ausstellern stammen 26 aus Deutschland, das damit nach Spanien das größte Kontingent stellt. Wobei die deutsche Präsenz in der Vergangenheit schon stärker war.
Die Galerie Jahn und Jahn aus München bereitet den feinnervigen Aquarellen von Julius Heinemann einen großen Auftritt. Die meisten der deutschen Aussteller kommen jedoch aus Berlin. Esther Schipper lockt mit einem Bild von Matti Braun, das Regenbogenfarben intensiviert und aus dem tiefen Inneren leuchten lässt. Galerist Mehdi Chouakri, auch aus Berlin, ist zum ersten Mal nach längerer Zeit wieder dabei.
Über die Hintergründe eines Verdrängungswettbewerbs: Der Art Basel ist es gelungen, sich in der Kunstmetropole Paris zu etablieren und die Konkurrenz beiseite zu schieben.
Dass es tatsächlich sechs Jahre geworden sind, habe auch mit internen Gründen zu tun, sagt Chouakri. Doch er sei froh, wieder hier zu sein, zumal er mit Mathieu Mercier und Hans-Peter Feldmann zwei Künstler dabeihabe, die aktuell mit institutionellen Ausstellungen präsent seien.
Überrascht wurde Chouakri von der Neugier und Offenheit der Spanier, denen eigentlich nachgesagt wird, immer etwas länger zu brauchen, sich mit Neuem anzufreunden. Er habe allerdings schon gleich am ersten Tag Arbeiten von Saâdane Afif und Bernd Ribbeck an Einheimische verkauft.
Klaus Webelholz von der Frankfurter Galerie Bärbel Grässlin bestätigt das Phänomen. Vor allem junge Künstler der Galerie hätten gute Aufnahme gefunden. Arbeiten von Jana Schröder, Alicia Viebrock oder Stephanie Deuter seien nach Spanien vermittelt worden, neben einer Installation von Secundino Hernández für 145.000 Euro, der zu den etablierten Positionen zähle.
Die Galerie Grässlin kann allerdings nicht nur auf eine jahrzehntelange Präsenz auf der Messe verweisen, sondern auch auf eine ebenso lange Kooperation mit der Madrider Galerie Heinrich Erhardt.
Aus der einst eigenständigen Antiquitätenmesse wird eine Sektion auf der Art Cologne. Aber nur für handverlesene Aussteller mit alter und außereuropäischer Kunst.
Auch Anita Beckers, ebenfalls aus Frankfurt, die sich einen Stand mit der Berliner Galerie Kornfeld teilt, freut sich schon zur Eröffnung über spanische Käufer und Interessenten, unter anderem für Susa Templin und Johanna Reich.
Obwohl sie im schwierigen letzten Jahr zum ersten Mal und zunächst nur mit einem Special Project in Madrid war, nimmt die Düsseldorferin Daniela Steinfeld mit ihrer Galerie Van Horn wieder teil und ist begeistert: „Wir haben jetzt schon gut verkauft und vielversprechende Anfragen.
Für Steinfeld hat es toll angefangen. „Ich habe den Eindruck, dass hier sehr viele internationale hochkarätige und vor allem kenntnisreiche Sammler sind.“ Schon am ersten Tag konnte sie drei Wandobjekte von Gerold Miller nach Miami und Madrid verkaufen sowie zwei spanische Reservierungen für Reliefs von Jan Albers entgegennehmen.
Das ist vielleicht die größte Überraschung auf einer Arco, die sichtlich unter dem Mangel an Käuferzuspruch aus den ehemaligen Kolonien leidet: Europäische und vor allem spanische Sammler treten an ihre Stelle und zeigen dabei Neugier und Mut zum Experiment. Das bedient die Galerie nächst St. Stephan aus Wien mit den derzeit sehr gefragten Objekten von Sheila Hicks, die mit Textilien umwickelt sind.
Vielleicht markiert das den Trend, die in der Pandemie entdeckte neue Häuslichkeit mit Kunst zu unterfüttern, mit der man leben möchte. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Messe mit Volksfestcharakter und einer Viertelmillion Besucher wie vor der Finanzkrise 2008 wohl der Vergangenheit angehört. Erwartet werden eher 70.000. Was immerhin noch auf dem Niveau etwa der „Art Basel“ ist.
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