Europas wichtigste Kunstmesse präsentiert sich nach der Corona-Flaute in Bestform. Der Muttergesellschaft MCH Group droht derweil finanzielles Ungemach.
Thomas J Price „Moments Contained“
Der Künstler errichtet erfundenen, gewöhnlichen, farbigen Bürgern monumentale Denkmäler aus Bronze. Abgebildete Skulptur steht auf der Art Basel im Sektor Art Unlimited. Den Künstler hat die Galerie Hauser & Wirth im Programm.
Bild: Stefan Pangritz
Basel Noch nie war Basel so zeitgenössisch! Die „Art Unlimited“, das Format der Kunstmesse „Art Basel“ für große Formate, präsentiert sich so frisch und auf der Höhe der Zeit wie wohl nie zuvor. Rassismus, Dekolonisierung, politische Gewalt, Ungleichheit und Empowerment sind die beherrschenden Themen des aktuellen Kunstdiskurses. Der nimmt unter den 70 Positionen in der 16.000 Quadratmeter großen Halle ungewohnt breiten Raum ein.
Klassische Positionen wie Carl André (bei Konrad Fischer), Hanne Darboven (Kewenig), Ernst Caramelle (Peter Freeman, Mai 36, nächst St. Stephan) oder Stan Douglas (David Zwirner) machen zwar nach wie vor gut die Hälfte der Präsentationen aus. Doch die ganz zeitgenössischen Positionen bilden die aktuelle, gesellschaftlich und politisch engagierte Tendenz ab.
Textilien spielen eine große Rolle. Der vierteilige Fries aus Stoff von Diedrick Brackens thematisiert den Umgang mit Denkmälern für Kolonialisten und Sklavenhaltern. Über 50 Matten hat Yee I-Lann (Silverlens, Manila) für „Tikar/Meja“-mit 19 anderen in kollaborativer Arbeit in Malaysia gewoben und schlägt so die Brücke zur Documenta.
Thomas Price errichtet erfundenen, gewöhnlichen, farbigen Bürgern monumentale Denkmäler aus Bronze. Sie stehen bereits in einigen Städten vor allem des englischsprachigen Raums. Dass die knapp vier Meter hohe Figur „Moments Contained“ ausgerechnet beim Marktgiganten Hauser & Wirth auf Ungleichheit hinweist, sagt viel über das Verhältnis von Produktion und Vermarktung, Diskurs und Macht in der Kunstwelt aus.
Die üblichen - und fast immer im westlichen Kontext stehenden - Größen des Kunstmarkts verblassen dagegen fast, oft zu Unrecht. Martha Roslers Werk etwa, dessen „Wiederentdeckung“ nun auch schon einige Zeit zurückliegt, wurzelt in der Protest- und Studentenbewegung der 1960er- und 70er-Jahre.
Peter Uka „Ballad of a young man (Odukoya)“
Der in Nigeria geborene, in Köln lebende Künstler beschäftigt sich mit Repräsentationen und Inszenierungen afrikanischer Menschen
Bild: Stefan Pangritz
Nagel Draxler (Berlin) und Mitchell-Innes & Nash (New York) zeigen zum ersten Mal seit wahrscheinlich einem halben Jahrhundert einige von Roslers Collagen aus genau dieser Zeit, die zum Beispiel nackte Frauenkörper aus Illustrierten zu einem Wimmelbild sexistischer Präsentation machen. Die originalen Collagen in Vitrinen und spätere Abzüge davon (Auflage 10) an der Wand ergeben eine museale Präsentation, die für 1,6 Millionen Dollar ein vorzugsweise institutionelles Zuhause sucht.
Auf der Art Basel selbst geht es wie gewohnt etwas konservativer zu. Leinwände bestimmen den Eindruck, hier und da eine Skulptur; neuere Medien machen sich rar, im Erdgeschoss noch mehr als im ersten Stock. NFTs muss man suchen. Bei Nagel Draxler findet man sie, die Galerie gilt auf diesem Gebiet mittlerweile als ein der ersten Adressen.
Seinen 30. Geburtstag feiert das Galerieimperium Hauser & Wirth mit einem Rückblick auf eigene Geschichte. Einfach atemberaubend ist die riesige Spinne von Louise Bourgeois, die in der Koje wie eingezwängt wirkt.
Einen Traumstart hat Mariane Ibrahim hingelegt. Die Galerie aus Chicago und seit zwei Jahren auch Paris ist zum ersten Mal in Basel dabei, ohne den üblichen Umweg über Liste und Statements. Schon nach knapp einer Stunde ist ihr Stand praktisch ausverkauft.
Ibrahim ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit ihrem Programm, das sich nicht in ihrem Shootingstar Amoako Boafo erschöpft. Dessen Gemälde verkaufen sich praktisch von selbst. Bei einem Galeriepreis von 400.000 Dollar für ein Großformat hat sie vielmehr Probleme, Spekulanten fernzuhalten. Denn auf dem Auktionsmarkt würde es ein Vielfaches bringen.
Den Boom von Kunst jenseits weißer Männer begrüßt Ibrahim ausdrücklich. „Der Markt ist viel größer geworden in den letzten Jahren. Jetzt sitzen alle mit am Tisch, seien es Sammler aus Asien, Lateinamerika oder Afrika. Das ist eine gute Entwicklung“, sagt sie.
Leonardo Drew, „Number 341“
Der Künstler wird von der Galerie Goodman vertreten. Das Werk findet sich auf der Art Basel im Sektor Art Unlimited.
Bild: Stefan Pangritz
Und plötzlich ist auch das Interesse für andere farbige Künstler größer. Peter Uka wurde 1975 in Nigeria geboren, hat bis 2017 in Düsseldorf studiert und lebt in Köln. Er beschäftigt sich mit Repräsentationen und Inszenierungen afrikanischer Menschen. Ein Großformat von ihm hat sich eine Stiftung für 80.000 Dollar gesichert. Seine erste Einzelausstellung bei Ibrahim hatte er in diesem Jahr. Die Düsseldorfer Galerie Voss zeigt ihn schon seit 2016.
Ob die Erwartungen an den Marktplatz Basel so positiv sind oder der Glaube so unsicher – aus dem einen oder anderen Grund beteiligen sich rund drei Dutzend Galerien, darunter viele Art Basel-Aussteller, am Basel Social Club. Gegründet haben diese Mini-Satellitenmesse vier Szene-Akteure, darunter der ehemalige Basler Galerist Jean-Claude Freymond-Guth. Schauplatz ist eine leerstehende Villa aus den 1930er-Jahren.
Ein neues Buch des Soziologen Alain Quemin beleuchtet die geschäftlichen Strategien der marktbeherrschenden Galerien für zeitgenössische Kunst.
Zu den prominenten Teilnehmern gehören Green Naftali (New York), Sadie Coles (London), Mendes Wood DM (Sao Paolo/Brüssel/New York) oder Neu und Meyer Riegger (beide Berlin). Jochen Meyer fand die Idee einfach sympathisch: „Wir mögen kollaborative Projekte und wir finden es toll, auch hier in der Stadt präsent zu sein.“ Zudem kostet die Teilnahme lediglich 1.500 Euro. Das neben Pool, Café und Bar zugehörige Pop Up-Restaurant war jedenfalls schnell für die ganze Woche ausgebucht.
Während sich die Art Basel mit ihrem Neustart nach der Corona-Flaute in Bestform präsentiert, steht die Muttergesellschaft MCH Group vor großen Herausforderungen. Trotz des Einstiegs von James Murdochs Lupa Systems und seinem Investment von 40 Millionen Franken, droht dem Konzern erneut finanzielles Ungemach.
Im nächsten Frühjahr muss ein Anleihe von 100 Millionen Franken bedient werden, was die Barreserven fast komplett aufzehren würde. Daher hatten Stadt und Kanton Basel als Miteigentümer seinerzeit mit Murdoch vereinbart, dass beide Parteien sich mit jeweils bis zu 34 Millionen an einer weiteren Kapitalerhöhung beteiligen würden.
Nach einer Corona bedingten Zwangspause meldet sich die Kunstmesse Art Basel zurück. Erstmals sichert sie ihre schwächeren Aussteller durch einen Solidaritätsfond ab.
Die erneute Belastung des Steuerzahlers kommt jedoch nicht bei allen gut an. Ein Referendum droht. Im Falle einer Ablehnung wird es richtig eng für die Messegesellschaft. Dort übt man sich allerdings in Zuversicht: „Es gibt keinen Plan B, den wir kommunizieren könnten. Wir konzentrieren uns aktuell ganz auf den Plan A“, so ein Sprecher.
Die aktivistische Aktionärin und Investorin Annette Schömmel scheint genau auf den Worst Case zu bauen und bietet an, ein „Investor von der Rheinschiene“ könnte sich mit bis 100 Millionen Franken engagieren, wenn die Art Basel aus der MCH herausgelöst und mehrheitlich an ihn verkauft würde. In diesem Modell müssten keine Steuergelder mehr ausgegeben werden, das Management der neuen Gesellschaft könnte die Marke Art Basel viel breiter aufstellen und durch hohe Profitabilität den Aktienkurs des Minderheitseigners MCH beflügeln.
Die Messegesellschaft hält davon jedoch wenig: „Die MCH Group ergibt Sinn und soll so weiterbestehen.“ Sollte sich die Dynamik der Basler Ausgabe bei Paris+ par Art Basel im Herbst fortsetzen, dürften die Aussichten des Konzerns auch wieder rosiger sein.
Art Basel
Messeplatz 10, 4058 Basel
Bis 19.6.: Publikumstage 11 bis 19 Uhr
Mehr: Zeitgenössische Kunst: Entdeckermesse „Liste“ in Basel: Ausverkaufte Stände am ersten Tag
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