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07.04.2022

15:59

Kunstmesse

Art Düsseldorf: Ein Hybrid trotzt den Krisen

Von: Christiane Fricke

Der Ukraine-Krieg und die Pandemie gehen auch an der Art Düsseldorf nicht vorbei. Wer nicht eigens anreisen kann, der nutzt den neuen Digital-Service mit persönlichem Guide.

In diesem düsteren Ambiente auf dem Stand von Guido W. Baudach geht es um die Qualen, die sich Menschen gegenseitig zufügen. Noch in der Hölle machen sie sich das Leben zur Hölle. Christiane Fricke; Galerie Guido W. Baudach

Rauminstallation von Thomas Zipp

In diesem düsteren Ambiente auf dem Stand von Guido W. Baudach geht es um die Qualen, die sich Menschen gegenseitig zufügen. Noch in der Hölle machen sie sich das Leben zur Hölle.

Düsseldorf Die Hölle bereiten wir Menschen uns selbst. Mit dieser Botschaft findet sich der von Thomas Zipp gestaltete Stand der Galerie Guido W. Baudach auf Augenhöhe mit den immer ärger werdenden Schrecken der Gegenwart. Zu sehen ist diese beeindruckende Solopräsentation auf der vierten Ausgabe der Kunstmesse „Art Düsseldorf“ (bis 10.4.). Sartres 1944 uraufgeführtes Drama „Geschlossene Gesellschaft“ lieferte die Vorlage.

Das Szenario ist düster. Die Augen tasten schwarze, mit zerhackten Textpassagen des Dichters tapezierte Wände ab, streifen über entindividualisierte Bildnisse, um am kargen, schwarzen Mobiliar und nackten Topfpflanzen in skulpturaler Form hängen zu bleiben. Ab 60.000 Euro brutto veranschlagt Baudach für eine Raumgestaltung, die der Künstler an die jeweilige Auftragssituation anpassen kann. Die Porträts und Skulpturen schlagen mit je 36.000 Euro zu Buche.

Baudach gehört zu den 28 Neuausstellern dieser 2017 erstmals an den Start gegangenen Messe. Nach dreimaligem, Coronabedingtem Verschieben kann sie nun endlich wieder stattfinden – mit 90 handverlesenen, mehrheitlich deutschen Teilnehmern, denen der Bund mit seinem Konjunkturprogramm „Neustart Kultur“ die Bürde des bis zuletzt großen Risikos von den Schultern nahm. 70 Prozent Rabatt gab es auf die Standkosten; so wie zuletzt auf der Highlights Internationale Kunstmesse München im Frühherbst letzten Jahres.

Kein Wunder, dass Messedirektor Walter Gehlen „mehrere hundert Anmeldungen“ registrierte. Man hätte ihm zufolge leicht auch 150 Aussteller unterbringen können, tat es aber nicht. Und das hat dem Ganzen gut getan, auch ästhetisch. Beide Lichtdurchfluteten Hallen sind locker und großzügig bespielt; inklusive zehn, von je zwei Galeristen gestaltete Gemeinschaftsstände und fünf Knotenpunkte für die Aufstellung großer Skulpturen.

Auch der Pariser Galerist Kamel Mennour sieht seine Chancen im sammlerreichen Rheinland. Sebastian Drüen; Art Düsseldorf

Art Düsseldorf 2022

Auch der Pariser Galerist Kamel Mennour sieht seine Chancen im sammlerreichen Rheinland.

Das Bild, das diese regional verankerte Messe abgibt, ist freundlich-entspannt. Krisen und Krieg hinterlassen dennoch Spuren – auch wenn sie wie im Fall der abgefackelten Gemäldezitate, die Gregor Schneider 2019 auf riesigen verkohlt wirkenden Leinwänden darbietet – nachträglich in sie hineingelesen werden können. 28.000 Euro ohne MwSt. sollen die beiden Versionen von „The End of Museum“ bei der Konrad Fischer Galerie kosten.

Bei Anita Beckers spielen krisenhafte Zustände bei fast allen mitgebrachten Werken eine entscheidende Rolle. Ein Beispiel liefern Federico Solmis satirische, in Acrylgemälde gebettete Video-Loops. Auf ihnen agieren die Despoten der Weltgeschichte wie böse Clowns in einem Gespinst von schreienden Farben und Mustern. Kostenpunkt: 24.000 Euro inkl. MwSt.

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Millionenpreise für neue und jüngste Kunst vernebeln den Blick für die Bandbreite unterbewerteter, meist älterer Kunst.

Beck & Eggeling hat eine der typischen anorganischen Skulpturen des ukrainischen Künstlers Aljoscha auf dem Stand. Quietsch-rosafarbene Exemplare installierte der Künstler erst kürzlich unter widrigsten Umständen in ukrainischen Waisenhäusern und Einrichtungen. Eine Einzelschau in der Galerie ist in Vorbereitung.

Heinz Macks 1966 ersonnenes, verspiegeltes Environment „Das Mechanische Ballett“ mutet in diesem Kontext wie eine ferne Reminiszenz an die von Aufbruchsstimmung nur so strotzende Nachkriegszeit an. Michael Beck hat 3,2 Millionen Euro für die erst 2015 realisierte sechsteilige Gruppe kinetischer Licht-Stelen veranschlagt, rechnet jedoch nicht ernsthaft mit einem Abschluss. Dasselbe dürfte für die mächtige „Stack“-Bronze von Tony Cragg gelten, die Konrad Fischer Galerie für 1,3 Millionen Euro anbietet.

Die 2017 entstandene Fotoarbeit ist Teil der Serie „Tales of Lipstick and Virtue“ (2013–2018). Zu finden ist sie auf dem Stand von KOW-Berlin. KOW-Berlin

Anna Ehrenstein „Working Class Hero“

Die 2017 entstandene Fotoarbeit ist Teil der Serie „Tales of Lipstick and Virtue“ (2013–2018). Zu finden ist sie auf dem Stand von KOW-Berlin.

Das Gros der Verkäufe bewegt sich auf der Düsseldorfer Messe gewöhnlich im vier- und fünfstelligen Bereich. Auch wer weniger ausgeben will, wird fündig. Würde ein höherer sechsstelliger Betrag bewilligt wie Knoell ihn etwa für das frühe „Standart-West KR 10“-Gemälde von AR Penck ansetzt, wäre das schon etwas Besonderes. Unmöglich erscheint es nicht. Denn jene, von denen Messechef Walter Gehlen annimmt, dass sie nicht eigens anreisen, können online dabei sein.

Möglich macht es ein laut Gehlen bislang nicht da gewesener „Digital-Service“. 50 Guides stehen, ausgerüstet mit einem hoch auflösenden Handybildschirm bereit, um die Anruferin persönlich mit den sie interessierenden Werken und Galerien in Verbindung zu bringen. Voraussetzung ist ein VIP-Zugang.

Wer noch nicht als ernsthaft Sammelnder bekannt ist, kann sich am Angebot der Aussteller im Online-Shop bedienen (drei Monate, ab 8.4.), an Online-Führungen teilnehmen oder online in Magazinbeiträgen blättern.

Entdeckungen tun sich an jeder Ecke auf: Bei Löhrl, die in diesem Jahr ihr 50-Jähriges feiern, ist es Otto Pienes knallbunte Grafikserie „Lichtballett“ von 1964/1972. Bei der Serie handelt es sich bis auf zwei Einzelblätter um ein Unikat. Sie soll möglichst zusammenbleiben.

Die Galerie Gebr. Lehmann aus Dresden hat eine ganze Wandpartie mit den Hinterglasmalereien der neu entdeckten Künstlerin gehängt, darunter auch abgebildete „Vielfarbige Geschichte“ von 2021, die dem Alptraum einer jedoch wehrhaften Person entsprungen sein könnte (Ausschnitt). Gebr. Lehmann

Beate Hornig

Die Galerie Gebr. Lehmann aus Dresden hat eine ganze Wandpartie mit den Hinterglasmalereien der neu entdeckten Künstlerin gehängt, darunter auch abgebildete „Vielfarbige Geschichte“ von 2021, die dem Alptraum einer jedoch wehrhaften Person entsprungen sein könnte (Ausschnitt).

Bei den Gebr. Lehmann sind die surrealen Hinterglasbilder von Beate Hornig zu entdecken, der Mutter des schon lange von der Galerie vertretenen Tillman Hornig. Das Preisspektrum liegt zwischen 2300 und 5200 Euro. Und die niederländische Galerie Dürst Britt & Mayhew macht mit der wild gepinselten, der Art Brut nahe stehenden Malerei der 83-jährigen Situationistin Jacqueline de Jong bekannt.

Fotokunst lässt sich an vielen Ständen ausmachen. Eine lange Wand mit über die Jahre zusammengetragenen Polke-Arbeiten bietet Thomas Zander. Im Zentrum steht eine fünfteilige Folge von ausbelichteten Kristallisationen auf Negativfilm, die er nur als Ganzes zum Preis von 120.000 Euro inkl. MwSt. anbietet. Flankiert wird das reizvolle Ensemble von frühen Schwarzweißporträts, die Candida Höfer von Polke machte, einem Rasterbild und zwei großen Arbeiten auf Papier.

Auf dem Doppelstand von Thomas Fischer und Daniel Marzona treffen schwarzweiße Architekturaufnahmen von Irmel Kamp auf jüngste Pflanzenbilder von Axel Huette. Welche Rolle die Fotografie für die spät eingesetzte Vermarktung der Videopionierin Ulrike Rosenbach spielt, lässt sich auf dem Stand von Gisela Clement, aber auch bei Pasquer studieren. KOW-Berlin hat die kulturkritische und Disziplinen übergreifende Arbeit der Medienkünstlerin Anna Ehrenstein am Stand.

Die nostalgischen Pixel-Gemälde aus der „Walkman Series“ kreisen um das neuronale Phänomen der Erinnerung. Das NFT entstand 2022. Priska Pasquer Gallery

Skye Nicolas „I NEED YOU NOW LIKE I NEED YOU THEN“

Die nostalgischen Pixel-Gemälde aus der „Walkman Series“ kreisen um das neuronale Phänomen der Erinnerung. Das NFT entstand 2022.

Auch NFTs oder Blockchain basierte Kunst ist in Düsseldorf zu finden. Die Kooperation mit Bang & Olufsen beschert Priska Pasquer einen zusätzlichen Auftritt im Showroom des Unternehmens auf der Königsallee 61. Auf der Messe zeigt sie die nostalgischen Pixel-Gemälde aus der „Walkman Series“ von Skye Nicolas.

Bei Max Goelitz können sich Sammlerinnen am Aufbau eines digitalen dezentralen Netzwerks beteiligen. Die „New World Nodes“ von Niko Abramidis &NE gibt es in limitierter Auflage von 100. Dazu gehört ein grün oder blau leuchtendes 3D-gedrucktes Aluminiumgehäuse. Kostenpunkt zum Redaktionsschluss: 1555 Euro. Weitere Anlaufstellen für NFTS sind die König Galerie und Philipp Pflug, letzterer jedoch nur online.

Interview: Kunstsammlerin Stoschek: „Gaming hat die Gesellschaft durchdrungen wie kein anderes Phänomen“

Interview

Premium Kunstsammlerin Stoschek: „Gaming hat die Gesellschaft durchdrungen wie kein anderes Phänomen“

Julia Stoschek erläutert im Interview, warum eine Gaming-Show in ihr Ausstellungsprogramm gehört. Zudem spricht sie über Kunst im Krieg, NFTs und ihre Heimat Coburg.

Unter dem Strich ist Düsseldorf ein durchweg überzeugender Auftritt gelungen. Das beginnt schon beim Service für die Aussteller, die sich anders als in Köln nicht als „Bittsteller“ fühlen müssen, wie es Michael Beck ausdrückt. Und es endet bei einem Angebot, das sich weise auf die zeitgenössische Kunst beschränkt. Ausnahmen, zu denen etwa das feine Bildnis von Oskar Schlemmer auf dem Stand des Baseler Galerie Knoell gehört, sind dennoch eine erfreuliche Überraschung.

„Der Kunstmarkt wird vom Ukrainekrieg nicht verschont bleiben“, ist Messechef Walter Gehlen überzeugt. Doch wenn sein Digital-Service hält, was er verspricht, dann wird dies den befürchteten Auswirkungen zumindest den Stachel nehmen.

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