Auf der „Artissima“ gehen Kunst und Wirtschaft Hand in Hand. Das zieht traditionell viele Galerien nach Turin, auch aus dem deutschsprachigen Raum.
Emma Talbot
Die mit Wasserfarben auf Khadi-Papier gemalte Arbeit „Untitled“ von 2022 ist bei Petra Rinck und Onrust zu entdecken.
Bild: J. Bendzulla
Turin Marketingexperten könnten es nicht besser formulieren: „Artissima produziert Internationalität seit 30 Jahren.“ So spricht Luigi Fassi, der neue Direktor der „Artissima“ in Turin (bis 6.11.). Tatsächlich ist die Messe international unter Kuratoren und Sammlern junger Kunst hoch angesehen.
Der gebürtige Turiner (Jahrgang 1977) hat vor einer Ernennung zum Messedirektor als Kurator in Bozen, Graz und Nuoro (Sardinien) gearbeitet, hat sieben Jahre lang die Present Future-Sektion für junge Kunst der Artissima verantwortet und war im Auswahlkomitee der Art-o-Rama in Marseille.
Kuratorisches und unternehmerisches Denken sind für Fassi daher kein Widerspruch: „Wir sind kein Event, sondern eine Institution: für die Stadt, für die Region und für die Unternehmen“, sagt er. Viele Unternehmer seien Sammler, die von der Zusammenarbeit mit den Künstlern auch beruflich profitieren könnten.
Dieses recht norditalienische Hand in Hand-Gehen von Wirtschaft und Kultur zieht traditionell viele Galerien an, immer wieder auch aus dem deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr sind unter den 174 Ausstellern immerhin 21 aus Deutschland und zehn aus Österreich.
Zu den Erstteilnehmern unter den Deutschen gehört Nagel Draxler aus Berlin und Köln. Der Ruf einer eher verkaufsschwachen Messe stört die Galeristen nicht, eben weil sie den Kontakt zu Kuratoren suchen. Völliges Neuland betreten sie jedoch nicht. Die Einzelausstellung ihres Künstlers Sayre Gomez in der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo ist gerade zu Ende gegangen.
Zandile Tshabalala
Das zwei mal zwei Meter große Acrylgemälde „My mothers garden: Umcimbi I (A Gathering I)“ hat die Galerie Nagel Draxler auf die Artissima mitgebracht.
Bild: Galerie Nagel Draxler, Berlin/Köln/München
Der Kontakt zu der bekannten Sammlerin Patrizia und ihrer Familie gilt als Eintrittskarte zur lokalen Sammlerszene. Saskia Draxler erklärt: „Wir denken, dass Turin ein Powerhouse in Europa ist für zeitgenössische Kunst. Es gibt eine tolle Museumslandschaft generell in Italien. Es ist nicht nur schnelles Geld, sondern es gibt viele Privatsammlungen, die bis in die 60er- und 70er-Jahre zurückreichen.“
Deshalb haben Nagel Draxler eine Mischung aus jungen und etablierten Positionen mitgebracht, und beispielsweise Mark Dion (ab 35.000 Euro) und Pedro Wirz (ab 6000 Euro) in Dialog gebracht. Bei beiden geht es um den Clash von Natur und Kultur. Für den Marktplatz ungewohnt hochpreisig ist eine Installation von Heimo Zobernig für 600.000 Euro.
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Michael Cosar aus Düsseldorf ist ebenfalls zum ersten Mal dabei und begeistert: „Die Messe hat so einen frischen Blick und versteht es hervorragend, Etabliertes mit Neuem zu mischen.“ Auch bei einigen italienischen Kollegen habe er schon Entdeckungen gemacht.
„Window Shopping“ heißt die Serie der estnischen Fotografin Marge Monko (4500 bis 14.000 Euro), mit der die deutsche Galerie möglicherweise Eulen nach Athen trägt. Denn während im Norden Schaufenster als Stillleben des 20. Jahrhunderts immer weiter verschwinden, gehören aufwändig gestaltete Auslagen hier noch zum Alltagsbild.
Tobias Putrih „CDV_1_1“
Der Künstler verarbeitete für diese 2019 entstandene Collage Aquarellfarbe, Mylarfolie, archivalische Tinte und Papier. Zu finden ist die Arbeit auf dem Stand von Gregor Podnar, Aussteller der Artissima.
Bild: Jan Hecl
Noah Klink aus Berlin in der Sektion New Entries hat nicht zuletzt die Liste der involvierten Kuratoren überzeugt. Seine Berliner Galerie existiert zwar erst seit sechs Jahren, doch hat sie es bereits auf die großen Messen wie Frieze und Fiac geschafft.
In Turin zeigt Klink Josefine Reischs Auseinandersetzung mit Popkultur als Medium der Überlieferung. Unikate siebgedruckte Halstücher mit lithografierten Motiven von Kinoplakaten kosten 4200 Euro, ein größeres Gemälde mit einer dekonstruierten Birkin Bag 8500 Euro.
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Für Robert Grunenberg am Nachbarstand, ebenfalls aus Berlin, ist es in seiner vierjährigen Unternehmensgeschichte überhaupt erst die zweite Messeteilnahme. Mit den großformatigen Virtual Reality-Malereien des Shooting Stars Brandon Lipchik zu je 30.000 Euro bewegt er sich in einem Preissegment, das man hier nicht unbedingt erwarten würde. Eine Arbeit ist jedoch schon zu Beginn der Messe mit einer Reservierung versehen.
Auch in anderen Regionen war die Messeleitung auf Entdeckungstour. Die 2018 gegründete Bavan Gallery aus Teheran nimmt erst seit letztem Jahr an internationalen Messen teil. Artissima ist die bisher wichtigste. Und hier hat sie gleich den prominentesten Platz, in der ersten Reihe direkt vor der Empore der VIP-Lounge.
Der Schwerpunkt liegt auf Kunst von Frauen, die sich mit weiblichen Themen beschäftigen. In der Zeichnungssektion zeigt sie jedoch weniger offensichtliche konzeptionelle Arbeiten von Yasi Alipour. Die in Brooklyn lebende Iranerin verarbeitet in ihren Cyanotypie-Faltungen (2000 bis 10.000 Euro) unter anderem über die Topografie ihrer Heimat, die sie nicht mehr besuchen kann.
Für Galeristin Ava Ayubi sind Messen mittlerweile lebensnotwendig, da ihre Galerie wegen der Ereignisse im Iran seit September geschlossen ist. So konkret hatten sich noch vor kurzer Zeit wohl die wenigsten die oft eingeforderte Verbindung von Kunst und Leben nicht vorgestellt.
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