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25.08.2022

09:18

Kunstmesse

Marseille: Frisch, jung, nicht so teuer

Von: Stefan Kobel

Die Art-o-Rama besticht mit mediterraner Entspanntheit und Preisen, bei denen das Kaufen Spaß macht.

Das abstrakte Kleinformat in leuchtendem Blau mit rätselhaften Zeichen stellt die Galerie Zeller van Almsick aus Wien aus (Detail). Quelle: Sotheby’s Artist Quarterly, Foto: Philipp Schuster

Edin Zenun „Pléïades 1“:

Das abstrakte Kleinformat in leuchtendem Blau mit rätselhaften Zeichen stellt die Galerie Zeller van Almsick aus Wien aus (Detail). Quelle: Sotheby’s Artist Quarterly, Foto: Philipp Schuster

Marseille Erwachsen werden fühlt sich selten so entspannt an. Der „Art-o-Rama" in Marseille gelingt der Übergang vom Kunstraum mit lediglich fünf Ausstellern 2007 - von denen nur Nogueras Blanchard aus Madrid noch existiert - zur Boutique-Messe der europäischen Avantgarde mit 77 Ausstellern glänzend. Deren mediterrane Beschwingtheit kann einen glauben lassen, dass der Kunstmarkt eben nicht nur eine Erweiterung des Finanzmarkts ist.

Möglich ist das durch die Gemeinnützigkeit des Projekts im Kulturzentrum La Friche im sozial schwierigen Viertel Belle de Mai. „Ja, wir haben öffentliche Unterstützung, aber wir haben auch mehr private Sponsoren gewinnen können“, erklärt Gründer und Direktor Jerome Pantalacci im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Mittlerweile verteilt sich die Messe auf zwei Ebenen der ehemaligen Zigarettenfabrik. Zwei Drittel der Aussteller präsentieren Solo- oder Duo-Shows in einer Halle, die andere wird mit Editionen bespielt. Die Teilnehmerliste liest sich wie die Cutting Edge-Sektion etablierter Messen wie „Liste“, „Artissima“ oder „Arco“.

Für Cornelis van Almsick aus Wien war die Entscheidung zur Teilnahme relativ einfach. Sein Künstler Edin Zenun nimmt gleichzeitig mit seinem eigenen Kunstraum „Pina“ an dem nichtkommerziellen Kunstfestival „Systema“ im hiesigen Konservatorium teil. Zudem wohnt Frédéric Bonnet, der die Galerieausstellung der Wiener zum dortigen Galerienfestival „Curated by“ kuratiert, in Marseille.

Von daher springt van Almsick hier nicht in ganz kaltes Wasser. Das unternehmerische Risiko ist ebenfalls überschaubar. Er teilt sich die Standkosten von insgesamt 3.000 Euro mit der Wiener Shore Gallery. So kann er es sich auch leisten, lediglich die mit 1800 Euro brutto moderat bepreisten Kleinformate Zenuns zu zeigen. Bei teureren Veranstaltungen wäre das Defizit programmiert.

Die ausdrucksstarken Bilder von Neïla Czermak Ichti präsentiert die Galerie Nir Altman auf der Art-o-Rama. Hier ein Blick in die Sissi club Gallery in Marseille.  Foto: Theo Eschenauer /  Galerie Anne Barrault, Paris and Nir Altman, Munich

Neïla Czermak Ichti "Je suis seule et toujours seule (unless??)”:

Die ausdrucksstarken Bilder von Neïla Czermak Ichti präsentiert die Galerie Nir Altman auf der Art-o-Rama. Hier ein Blick in die Sissi club Gallery in Marseille.
Foto: Theo Eschenauer / Galerie Anne Barrault, Paris and Nir Altman, Munich

So ähnlich verhält es sich bei Nir Altman aus München. Er vertritt die beiden Künstler, die er zeigt, nicht einmal - ein Künstler seiner Galerie hat sie empfohlen. Neïla Czermak Ichti (Jahrgang 1996) lebt hier. Ihre politischen und teilweise expliziten Papierarbeiten (3000 bis 5000 Euro netto) passen genau in die Zeit und an den Ausstellungsort.

Tarek Lakhrissi (geboren 1992) kommt von der Literatur und arbeitet viel mit Performance. Bei Altman er ist er allerdings mit spitzigen Glasskulpturen (5000 bis 7000 Euro) vertreten, die an der Wand hängen und den unvorsichtigen Betrachter aufzuspießen drohen.

Die Szene in Marseille entwickelt sich langsam, aber stetig. „Ruhig“ sei das Geschäft, erzählt Nicola Veidig-Favarel. Der 31-jährige hat seine Galerie Double V Ende 2016 gegründet und kennt die Situation vor Ort gut. Sein Erweckungsmoment sei das Jahr 2013 gewesen, als Marseille europäische Kulturhauptstadt war. Da stand er auf der Dachterrasse des Kulturzentrums und beschloss, Teil dieser Szene zu werden.

Die Kunden seien zwar über die ganze Welt verteilt, doch auch hier tue sich etwas. Es gebe eine junge Sammlergeneration ab seinem Alter, die offen sei für Neues. Zudem beobachte Nicola Veidig-Favarel, dass verstärkt Menschen aus Paris hierher zögen, die es gewohnt seien, in Galerien zu gehen. Um nicht ausschließlich auf den Standort angewiesen zu sein, hat er jedoch 2021 zusammen mit einer Galerie aus Clermont Ferrand eine gemeinsame Dependance in Paris eröffnet.

Denn seine lokalen Künstler bräuchten einfach auch eine Präsenz in der Hauptstadt. Wie Wunderkammerobjekte aus Koralle wirken die starkfarbigen Skulpturen von Ugo Schiavi am Stand von Double V. Auf den zweiten Blick entpuppen sie sich als mit Schaum zu bizarren Klumpen geformter Meeresmüll mit aufgesteckten Ästen (bis 5.000 Euro). „Gorgonen“ nennt der in Marseille lebende Künstler (Jahrgang 1987) die Objekte, die zugleich archäologische Zeugen einer mythologischen Vergangenheit wie einer dystopischen Gegenwart zu sein scheinen.

Auch wenn sich Art-o-Rama wohl kaum zur Cash Cow entwickeln wird, sorgen die entspannte Atmosphäre - befördert durch den allgegenwärtigen Rosé - und hohe Sammlerdichte an Ende der französischen Sommerferien dafür, dass die Galerien hier gerne ins Risiko gehen und das Kulturzentrum als Kontaktbörse nutzen. Was die Sammlerschaft wiederum zu schätzen scheint.

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