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17.03.2022

09:48

Marktanalyse

Tipps für kostenbewusste Sammler: Kunst zwischen Hype und Abstellgleis

Von: Christian Herchenröder

Millionenpreise für neue und jüngste Kunst vernebeln den Blick für die Bandbreite unterbewerteter, meist älterer Kunst.

Dieses Prachtbild des anonymen Meisters wurde im letzten Herbst bereits für 687.000 Dollar abgegeben. Stillleben des Caravaggio nahestehenden Malers hatten früher schon Millionenpreise erlöst. Christie's Images Ltd. 2021

Meister des Hartford Stillebens

Dieses Prachtbild des anonymen Meisters wurde im letzten Herbst bereits für 687.000 Dollar abgegeben. Stillleben des Caravaggio nahestehenden Malers hatten früher schon Millionenpreise erlöst.

Die Periode der Pandemie hat es aufs Neue bewiesen: Der Kunstmarkt ist keine Einheit. Er fördert Hochpreis-Objekte, die dem Mainstream verpflichtet sind, und vernachlässigt Sammelgebiete, die nicht im Trend liegen. Das führt immer wieder, besonders in den letzten drei Jahren, zu eklatanten Missrelationen. Millionenpreise für neue und neueste Kunst vernebeln den Blick für die Bandbreite dessen, was unterbewertet ist, und im Vergleich zu zeitgenössischer Spekulations-Kunst noch einen wohlfeilen Status hat.

Das war nicht immer so. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und noch einige Jahre darüber hinaus wurde der Markt in der ganzen Breite seiner Sammelgebiete ausgeschöpft. In dem Maße, in dem der Mittelstand der Sammlerschaft ausgelöscht wurde, verschwanden auch dessen favorisierte Themen aus dem Marktspektrum. Plötzlich standen die niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts sowie gefeierte Maler des 19. Jahrhunderts auf dem Abstellgleis.

Möbel des 18. Jahrhunderts verloren ihren Glanz und das Silber verschwand aus den Londoner und New Yorker Auktionen. Zurzeit ist zumindest in den deutschen Auktionen wieder edles Tafelsilber als Sachwert gefragt. Aber es gibt kaum neue Sammler für die gotische Plastik und weite Bereiche anspruchsvollen Kunstgewerbes fallen durch das Raster. Auch der Markt für Jugendstil-Objekte, der sich im Fall Tiffany oder Daum Frères gerade wieder leicht zu erholen scheint, musste starke Preiskorrekturen hinnehmen.

Die Reduzierung des Geschmacks zeigt sich nicht nur in den Auktionen von Christie’s und Sotheby’s. Hier werden hochkarätige Einzelobjekte in gemischten „Exceptional sales“ oder „Classic weeks“ vermarktet, und die sogenannte Mittelware kommt online unter den Hammer.

Sie zeigt sich auch auf Messen, allen voran der Maastrichter Schau. Dort verschwanden Händler Alter Kunst in dem Maße, wie die Ausstellerzahl von Galerien moderner und zeitgenössischer Kunst wuchs. Dennoch ist Maastricht immer noch das Reservoir für breit aufgestellte Geschmacksbildung, ähnlich wie die Auktionen im Pariser Hôtel Drouot oder die Versteigerungen von Lempertz, Neumeister und Van Ham. Sie machen keine Abstriche von ihrem Traditionsprogramm.

Das Gemälde von 1896 kostete 653.800 Euro, einen Bruchteil dessen, was Bilder von Claude Monet heute wert sind. Sotheby's

Alfred Sisley „Bords du Loing, effet du matin“

Das Gemälde von 1896 kostete 653.800 Euro, einen Bruchteil dessen, was Bilder von Claude Monet heute wert sind.

Der Blick auf Auktionspreise der letzten Jahre zeigt, wie groß das Missverhältnis zwischen angesagter und unterbewerteter Kunst sein kann. Das beginnt schon bei der Grafik. Sie hat in den letzten zwei Jahren einen erheblichen Aufschwung erfahren, vor allem was stark farbige Blätter der amerikanischen Pop Art betrifft.

Die Grafik

Auch hier das gleiche Bild wie bei der Malerei: An der Spitze der Preisskala stehen Banksy mit der bei Sotheby’s für umgerechnet 2,6 Millionen Dollar versteigerten Grafik „Girl with Balloon“ in dem vom Künstler halb geschredderten Exemplar und der 2021 umgerechnet zum gleichen Preis bei Van Ham verkauften Warhol-Folge „Flowers“.

Das ist jeweils das Dreifache dessen, was der im selben Jahr bei Kornfeld in Bern ausgebotene Meisterstich „Adam und Eva“ im frühesten erreichbaren Druckzustand erzielte: der Hammerpreis lag bei 800.000 Schweizer Franken. Auch die meisten Rembrandt-Preise, die in der Regel unter 50.000 Dollar liegen, erscheinen in diesem Zusammenhang eher moderat.

Das ist aber geradezu billig, wenn man die teuerste je versteigerte Grafik zum Vergleich heranzieht: Picassos Radierung „Le repas frugal“. Das Exemplar im Abzug vor der Verstählung der Druckplatte hatte 2004 bei Christie’s 621.250 Pfund erzielt, war ab 2007 Dauerleihgabe im Berliner Museum Berggruen. Am 1. März diesen Jahres realisierte das Blatt bei Christie’s Abendauktion 6 Millionen Pfund.

In geschreddertem Zustand kostete 2018 das Bild 1 Million Pfund. Die Editionen dieses Motifs zählt in hunderten und kosten pro Abzug je einen sechsstelligen Betrag. Sotheby's/AP

Banksy „Girl with a Balloon“

In geschreddertem Zustand kostete 2018 das Bild 1 Million Pfund. Die Editionen dieses Motifs zählt in hunderten und kosten pro Abzug je einen sechsstelligen Betrag.

Der Vergleich mit Banksy-Preisen ist erhellend. Gerade die als ikonisch gefeierte Grafik „Girl with balloon“, die auf ein Wall Painting zurückgeht, hat eine marktläufige Inflation erfahren. Es gibt 25 „artist proofs“, also Künstlerabzüge, und dazu noch eine Edition von 125 Exemplaren, von der ein Blatt 2021 schon 474.800 Pfund erzielte. Und es gibt eine weitere Edition von 600 Exemplaren, aus der ein Blatt im letzten Jahr wieder bei Sotheby’s auf 201.600 Pfund stieg.

Für diese Summen lässt sich mit entsprechendem Kennerblick schon eine Sammlung von Altmeistergrafik aufbauen. Hier wären zurzeit stark unterbewertete Radierer wie Claude Gelée, Jacques Callot, Adriaen van Ostade und Gian Battista Tiepolo zu nennen.

Von diesen Meistern sind charakteristische Blätter noch zu Preisen unter 10.000 Euro zu erwerben. Selbst bei Dürer ist das möglich, zum Beispiel wenn man Blätter aus der lateinischen Ausgabe der Holzschnittfolge „Apokalypse“ von 1511 im Auge hat.

Die Gemälde

Wer einen Blick zurück auf die letzten drei Jahr der Gemälde-Auktionen wirft, wird ähnliche Missrelationen erkennen. Der immer weniger an Höhepunkten reiche Markt für Impressionisten lockt zwar mit Hochpreisen für Claude Monet – 110 Millionen Dollar für einen „Heuhaufen“ – Vincent van Gogh, Paul Cézanne und neuerdings auch für Gustave Caillebotte. Aber die Preise für die Landschaften von Alfred Sisley und Camille Pissarro, dessen Extremzuschlag bei 19,5 Millionen Pfund liegt, stagnieren. Sie liegen deutlich unter 10 Millionen Dollar.

Was die Kunst des 19. Jahrhunderts betrifft, so hat sich auch hier die Breite des Geschmacks stark reduziert. Gefragt sind Werke der Romantik und des Symbolismus. Dazwischen gibt es eine Bandbreite unterbewerteter Maler. Die Schule von Barbizon mit Ausnahme von Camille Corot, der immer ein Bestseller war und dessen Preise bis 9 Millionen Dollar reichen, gehört zu diesen unterschätzten Kunstrichtungen.

Der seltene 2. Druckzustand kostete 2021 brutto 955.000 Franken (Ausschnitt aus einem Hochformat). Kornfeld, Bern

Albrecht Dürer „Adam und Eva“

Der seltene 2. Druckzustand kostete 2021 brutto 955.000 Franken (Ausschnitt aus einem Hochformat).

Für Bilder etwa der Barbizon-Repräsentanten Charles-Francois Daubigny – einst hoch geschätzt und viel gefälscht–, Théodore Rousseau, Narcisse Diaz, Jules Dupré gibt es nur für museale Werke Ausnahmepreise. Das Beispiel liefert eine 2018 in London für 468.000 Dollar versteigerte Landschaft von Rousseau. In der Regel liegen die Auktionspreise hier aber im Preissegment von 5000 bis 20.000 Dollar.

Was die deutsche Malerei dieser Epoche betrifft, so sind Meister der Düsseldorfer Schule wie Andreas Achenbach, Albert Flamm, Hugo Mühlig, Ludwig Munthe heute zu Preisen zu erwerben, für die man kaum einen Warhol-Siebdruck und nicht einmal eine der angesagten Hermès-Handtaschen kriegt, die in Londoner Online-Auktionen vermarktet werden.

Die Kommode von David Roentgen erzielte 325.000 Euro. Vor einer Generation waren 2 Millionen D-Mark fällig. Lempertz

Ohne Schnörkel

Die Kommode von David Roentgen erzielte 325.000 Euro. Vor einer Generation waren 2 Millionen D-Mark fällig.

Wenn wir das Kunstgewerbe betrachten, so haben sich die Preise vor allem für Möbel des 18. Jahrhunderts deutlich nach unten bewegt. Das gilt für Arbeiten französischer wie deutscher Meister-Ebenisten gleichermaßen.

Charakteristisch sind die 220.000 Schweizer Franken brutto, die im März 2021 für zwei exzeptionelle mit Blumenintarsien dekorierte Kommoden des für den preußischen Hof arbeitenden Johann Friedrich Spindler bei Koller in Zürich realisiert wurden. Vor 20 Jahren hätte eines dieser Möbel schon diesen Preis erlöst.

Ähnlich verhält es sich bei dem deutschen Ebenisten mit dem größten Renommee: David Roentgen. Die Notierungen für Möbel aus seiner Werkstatt erreichten vor gut 20 Jahren schon bis 2 Millionen D-Mark. Wer sie jetzt erwirbt, wo die Preise um mehr als 50 Prozent gefallen sind, kann nichts falsch machen, denn sie bleiben Weltkulturerbe.

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Ein ähnlicher Preisrutsch traf auch französische Spitzenmöbel, von denen herausragende Exemplare von Boulle fils, B. van Risenburgh, G. Beneman und P.C. Montigny in der „Exceptional Sale“ im November 2021 von Christie’s zurückgingen, obwohl ihre Schätzungen zum Teil weit unter 1 Million Dollar lagen.

Absurde Preisrelationen zeigen sich nicht nur, wenn man die Notierungen hoch bezahlter zeitgenössischer Kunst mit den Preisen Alter Kunst vergleicht. Auch innerhalb der Gattung der Altmeistergemälde bestehen Missverhältnisse, die ins Auge springen.

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Wer mit kleinerem Einsatz sammeln möchte, sollte klug wählen: Werke, die nicht in Mode sind, aber kunsthistorische Bedeutung haben.

Es gibt Paradebeispiele in Christie’s New Yorker Auktion vom 14. Oktober 2021. Dort stieg ein Historienbild der jetzt als Künstlerin hoch gefeierten Angelika Kauffmann von 200.000 auf 1,1 Millionen Dollar, während ein Prachtbild des anonymen „Meisters des Hartford Stillebens“ für 687.000 Dollar abgegeben wurde. Stillleben dieses Caravaggio nahestehenden Malers hatten früher schon Millionenpreise erlöst.

Im niedrigeren Preissegment fielen in dieser Versteigerung weitere Bagatellpreise auf. Dazu zählen die 35.000 Dollar für ein Interieur mit rauchenden Bauern von Adriaen van Ostade, 62.500 Dollar für eine klassische Waldlandschaft von Jacob van Ruisdael und 12.500 Dollar für eine Wasserfall-Landschaft mit Hirt und Herde des Prae-Rembrandtisten Jacob Pynas.

Beispiele einer Unterbewertung wie diese zeigen, dass es auch in Zeiten der Reiz-Überflutung noch im wahrsten Sinne des Wortes preiswerte Kunstwerke gibt – vorausgesetzt, man folgt seinem eigenen Geschmack, entwickelt Kennerschaft oder lässt sich einschlägig beraten.

Mehr: Auktionen der „Masters Week“ Altmeister in New York: Sotheby's erste Leitauktion profitiert von neuen Sammlern

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