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23.05.2023

12:21

Museumspolitik in Berlin

Wege und Irrwege beim Ankauf von Dürer

Von: Christian Herchenröder

Das Kupferstichkabinett in Berlin besitzt eine fulminante Sammlung mit Zeichnungen und Grafik von Dürer. Eine Ausstellung beleuchtet, wie sie zu Stande kam.

Zeichnungen wie dieses 1526 mit schwarzer Kreide auf braun grundiertem Papier gezeichnete Blatt gehören zu den Schwerpunkten der Ausstellung (Ausschnitt aus einem Hochformat). Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Albrecht Dürer „Kopf des hl. Markus“

Zeichnungen wie dieses 1526 mit schwarzer Kreide auf braun grundiertem Papier gezeichnete Blatt gehören zu den Schwerpunkten der Ausstellung (Ausschnitt aus einem Hochformat).

Berlin Die Dürer-Sammlung des Berliner Kupferstichkabinetts hat Weltformat. Nur die Wiener Albertina und das British Museum haben einen ebenbürtigen Bestand. Jetzt kann das Museum am Kulturforum mit seinen Pfunden wuchern: Die Ausstellung „Dürer für Berlin“ ist eine erhellende Wanderung durch die Sammlungsgeschichte mit 130 Exponaten. Der Schwerpunkt liegt bei den Zeichnungen der Sammlung, die man so schnell in dieser Vollständigkeit nicht wieder sieht. Die Schau ist die Abschiedsausstellung des sich in den Ruhestand verabschiedenden Oberkustos Michael Roth.

Dürer war als nationale Identifikationsfigur schon in den preußischen Privatsammlungen präsent. Deren Werke wurden dem Königshaus in der Hoffnung auf die Gründung einer musealen Graphischen Sammlung gestiftet. Sie wurde 1831 realisiert und mit Dürer-Beständen der Nürnberger Sammlung Derschau, des Grafen von Lepell und des preußischen Generalpostmeisters K.F. von Nagler prominent bestückt.

Der latente Hunger auf Dürer und seine Instrumentalisierung zum „reichsdeutschen“ Künstler im Zuge der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 führten zu einem sammlungshistorischen Skandal. Er ging als „Dürer-Streit“ in die Annalen ein.

In einem dem Kaiser gewidmeten Prachtband wurden 57 in Kohle ausgeführte Bildnis-Zeichnungen aus dem Besitz des Kupferstichkabinetts aufwendig als Werke Dürers reproduziert. Moritz Thausing, der Leiter der Wiener Albertina, bezeichnete noch im selben Jahr in einer Rezension der „Zeitschrift für bildende Kunst“ den größten Teil des Konvoluts als Fälschungen. Heute werden die neben dem „Prachtband“ in der Ausstellung gezeigten Zeichnungen dem Augsburger Medailleur und Bildschnitzer Hans Schwarz zugeschrieben.

Diese Scharte wurde 1877 von dem erst ein Jahr zuvor zum Leiter des Berliner Kupferstichkabinetts ernannten Juristen Friedrich Lippmann ausgewetzt. Ihm gelang auf Umwegen der Erwerb der Dürer-Sammlung Posonyi-Hulot. Wilhelm von Bode, der Generaldirektor der Berliner Museen, berichtet in seinen Memoiren über die Einzelheiten dieses Erwerbs.

Der 1913 erworbene rätselhafte Kupferstich im ersten Druckzustand ist weltweit nur in sieben Exemplaren erhalten. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Volker-H. Schneider

Albrecht Dürer „Melencolia I“

Der 1913 erworbene rätselhafte Kupferstich im ersten Druckzustand ist weltweit nur in sieben Exemplaren erhalten.

Der Wiener Kunsthändler und Dürer-Kenner Alexander Posonyi hatte innerhalb weniger Jahre die nahezu komplette Druckgrafik des Meisters in frühen Abdrucken und daneben 48 Zeichnungen aus allen Schaffensphasen zusammengetragen. 1867 zwang ihn seine wirtschaftliche Lage, sich von dem Schatz in einer Auktion der Münchener Montmorillon’schen Kunsthandlung zu trennen.

Doch vor der Versteigerung erwarb der französische Sammler Anatole Hulot das Konvolut und verkaufte es einem französischen Händler unter der Bedingung, es dürfe aus politischen Gründen nicht nach Deutschland veräußert werden. Lippmann ließ sie von einem französischen Händler mit Sitz in London ankaufen und erwarb sie von diesem für 125.000 Franc, einem „geringen Preis“ wie Bode betont. Tatsächlich erlöste zu dieser Zeit allein schon die Federzeichnung „Adam und Eva“ 2500 Franc.

Lippmanns Nachfolgern gelang immer wieder der Ankauf einzelner ikonischer Blätter. Dazu gehörte 1913 der Erwerb des rätselhaften Kupferstichs „Melencolia I“ im ersten Druckzustand, der weltweit nur in sieben Exemplaren erhalten ist. Er ist neben weiteren Frühdrucken eines der Prachtstücke der Ausstellung.

Auch während der Nazi-Ära wurden Dürer-Werke angekauft. Aber der Erwerb von drei bedeutenden Zeichnungen aus der Sammlung Blasius für 40.000 Reichsmark wurde mit dem Verkauf von 49 Dubletten des Kabinetts, darunter 44 Rembrandt-Radierungen, finanziert. Eine damals übliche Praxis.

Für das Repräsentationswerk wurden 36 Papierbögen bedruckt. An die subtile Feinarbeit und zeitlose Wirkung der Zeichnungen kommt es nicht heran. Abgebildete altkolorierte Fassung wurde 1515 gedruckt. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Albrecht Dürer „Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I“

Für das Repräsentationswerk wurden 36 Papierbögen bedruckt. An die subtile Feinarbeit und zeitlose Wirkung der Zeichnungen kommt es nicht heran. Abgebildete altkolorierte Fassung wurde 1515 gedruckt.

Aus dieser Sammlung kamen 1951 noch einmal zwei Landschaftsaquarelle und eine Porträtzeichnung in den Besitz des Instituts. Eine der letzten Erwerbungen war 1974 die wohl später aquarellierte Pinsel- und Federzeichnung „Christus an der Geißelsäule“, die für 270.000 Schweizer Franken (ohne Aufgeld) bei Kornfeld & Klipstein in Bern ersteigert wurde. Manche Kupferstiche wurden im 19. Jahrhundert so stark überaquarelliert, dass die Feinarbeit des Grabstichels unter der Farbdecke völlig verschwindet. Der Aspekt des Nachschöpferischen gehört zu den Pointen dieser Ausstellung.

Die Ausstellung ist das von einem profunden Katalog begleitete Panorama einer Dürer-Pflege, die wesentliche Facetten der Rezeption und Werksicht erfasst. Dass der Berliner Dürer-Bestand nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sammlungen in Berlin-Dahlem und Ost-Berlin auseinandergerissen wurde, dokumentieren zwei Exemplare des größten graphischen Werks.

Die in Holzschnitttechnik von 195 Druckstöcken auf 36 Papierbögen gedruckte „Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I“ hängt in zwei Versionen in der Schau. Das im Osten bewahrte Exemplar ist alt koloriert, während das 1556 posthum gedruckte, 1971 für die West-Sammlung erworbene Hauptwerk mit schwarzer Tiefenwirkung prunkt. Es ist ein Repräsentationswerk, das vor allem durch seine Monumentalität besticht. Die subtile Feinarbeit und zeitlose Wirkung der Zeichnungen vermag es nicht zu überstrahlen.

„Dürer für Berlin. Eine Spurensuche im Kupferstichkabinett“, bis 27. August, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen Berlin, bis 27. August 2023. Katalog, Verlag Hatje Cantz, 36 Euro, im Handel 45 Euro.

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