Sotheby’s wirbt für ein außergewöhnliches Gemälde von Edvard Munch, das einst dem jüdischen Sammler Curt Glaser gehörte. Und Basel ehrt den Kunstförderer - erzwungenermaßen.
Edvard Munch
Sotheby's wird das vier Meter breite Gemälde „Tanz am Strand“ am 1. März in London ausbieten. Als der 1906 entstandene Fries geteilt wurde, erwarb Glaser die signierte Hälfte (Ausschnitt aus einem extremen Querformat).
Bild: Sotheby's
Basel Curt Glaser war Arzt und Kunsthistoriker, in beiden Fächern promoviert. Er war auch Kritiker, Kriegsteilnehmer, Museumskurator und ab 1924 Direktor der Kunstbibliothek Berlin. Der 1879 geborene Curt Glaser und seine erste Ehefrau Elsa, die 1932 verstarb, führten in den zehner- und zwanziger-Jahren des letzten Jahrhunderts einen Salon in Berlin.
Das großbürgerliche Paar baute eine vielseitige Kunstsammlung auf und war ein Fixstern in der Berliner Kunstwelt. Von Max Beckmann und Edvard Munch besaßen Curt und Elsa Glaser eine ganze Reihe von Werken, von Ernst Ludwig Kirchner, Marc Chagall, Franz Marc und Henri Matisse einige. Dazu Alte Meister und außereuropäische Kunst. Glaser förderte die unangepasste zeitgenössische Kunst, pflegte persönliche Kontakte.
Doch als Jude wurde er 1933 nach der Machtübernahme der Nazis sofort entlassen. Mit seiner zweiten Frau emigrierte er in die Schweiz und die USA, wo er beruflich nie mehr Fuß fassen wird. Noch 1933 ließ Glaser bei Max Perl in Berlin einen Großteil seiner Kunstsammlung versteigern.
Das Kunstmuseum Basel erwarb dort 200 Kunstwerke auf Papier. Glasers Erben forderten diese 2008 zurück. Der Kanton Basel-Stadt wies den Anspruch ab. Nach einem erneuten Gesuch 2017 untersuchte das Museum „den Fall Glaser“ gründlicher: 2020 wurde anerkannt, dass es sich um einen NS-verfolgungsbedingten Verkauf handelte und dass das Museum in einer besonderen Verantwortung stehe.
Das Kunstmuseum Basel behielt die Kunstwerke und kompensierte den Anspruch der Nachfahren durch eine finanzielle Entschädigung in ungenannter Höhe. Zudem verpflichtete es sich, das Glasers Schicksal in einer Ausstellung zu thematisieren.
Der Sammler Curt Glaser
Gemeinsam mit seiner Frau Elsa baute Glaser eine vielseitige Kunstsammlung auf. Das Paar war ein Fixstern in der Berliner Kunstwelt.
Bild: Kunstmuseum Basel
Anita Haldemann und Judith Rauser haben für die ansprechend inszenierte Ausstellung gesorgt und den Katalog üppig mit Dokumenten ausgestattet. 29 hochkarätige Leihgaben aus St. Louis, Minneapolis, New York, Hamburg, Köln, London und Zürich ergänzen Zeichnungen und Druckgrafik aus dem Basler Kupferstichkabinett. Mit Gemälden, Grafik und Fotos werden Qualität und Vielfalt der Privatsammlung des Ehepaars Glaser augenfällig.
Düsseldorf folgt der „Beratenden Kommission“ und restituiert das Bild „Füchse“ von Franz Marc. Die Gründe sind wichtig für weitere Restitutionen.
Viel Raum nimmt in der Schau wie im Katalog die Beziehung zu Max Beckmann und vor allem zu Edvard Munch ein. 1913 besuchte das Ehepaar Glaser den manisch-depressiven Maler erstmals in Norwegen. 1917 veröffentlichte Curt Glaser die erste deutsche Munch-Monografie. Auf Glasers Vermittlung hin kam 1922 im Kunsthaus Zürich eine große Munch-Ausstellung zustande, die Schenkungen von dritter Seite nach sich zog.
Auf der Flucht vor den Nazis brachten die Glasers 1935 sieben Werke, darunter fünf Munch-Gemälde, im Depot vom Kunsthaus Zürich unter. 1941, 1943 und 1946 verkaufte Glaser vier Gemälde dem Kunsthaus, weil er in den USA kaum Einkommen hatte.
So gelungen Schau und Katalog sind: Schade, dass Glasers Lebensleistung erst auf Druck der Erben aufgearbeitet und ausgestellt wurde.
Curt Glaser taucht in dieser Woche auch in einer Pressemitteilung von Sotheby’s auf: als Provenienz in einem Restitutionsabkommen. Das Auktionshaus wird am 1. März in London das Gemälde „Tanz am Strand“ versteigern. Es ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich.
Blick in die Ausstellung „Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten“
Das Kunstmuseum Basel organisierte die gelungene Schau erst auf Druck der Erben.
Bild: Kunstmuseum Basel
Das Querformat mit Tanzenden aus dem Jahr 1906 misst vier Meter Länge. Es stammt aus dem Rundtheater von Max Reinhardt in Berlin. Als das Theater 1912 renoviert werden musste, wurde der Fries geteilt. Der Munch-Kenner Glaser erwarb diesen vollständig signierten Teil.
1934, nur ein Jahr nach Glasers Entlassung in Berlin, ersteigerte der norwegische Sammler und Munch-Verehrer Thomas Olsen das Bild in einem Osloer Auktionshaus. Olsen veredelte durch den „Tanz am Strand“ die Lounge der ersten Klasse seines luxuriösen Ozeandampfers MS Black Watch.
Nach Deutschlands Kriegseintritt im September 1939 versteckte der kunstsinnige Reeder seine vielen Munch-Bilder bis Kriegsende in einer Scheune im norwegischen Wald, darunter auch den berühmten „Schrei“. Olsens Luxusliner wurde nach dem Abhängen der Kunst von einem deutschen U-Boot-Geschwader beschlagnahmt und in der Flotte eingesetzt.
Für den Munch-Fries mit Top-Provenienz aus zwei renommierten Munch-Sammlungen und einer Netflix-fähigen Geschichte erwartet Sotheby’s einen Spitzenpreis: Die Taxe liegt zwischen 15 und 25 Millionen Dollar.
„Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten“, bis 12. Februar 2023, Kunstmuseum Basel, Neubau. Der Katalog, herausgegeben von Anita Haldemann und Judith Rauser, erscheint im Deutschen Kunstverlag für 42 Euro.
Sotheby’s stellt Munchs „Dance on the Beach“ in London vom 22. Februar bis zum Versteigerungstag 1. März 2023 aus. In digitalen Installationen wird der Fries vom 5. bis 7. Februar in Hongkong gezeigt, vom 11. bis 15. Februar in New York.
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