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05.04.2018

19:51

Politische Kunst im Sammlermuseum Weserburg

In Bremer Ausstellung zeigt sich Polen als weltoffenes Land

Von: Johannes Wendland

Kritisch, stolz und eigenständig – so präsentiert sich die Kunst aus Polen aus der Sammlung des Unternehmers Jaroslaw Przyborowski. In Bremen ist die Kollektion nun zum ersten Mal öffentlich ausgestellt.

Die fünf Torsi „5 Standing Figures“ (1986/87) aus gehärtetem Sackleinen wecken Assoziationen an Gräuel. Signum Foundation

Magdalena Abakanowicz

Die fünf Torsi „5 Standing Figures“ (1986/87) aus gehärtetem Sackleinen wecken Assoziationen an Gräuel.

Bremen Aufgedreht wirkt er, selbstbewusst, strahlend: Jaroslaw Przyborowski steht inmitten der Ausstellung „Where does my heart belong?“ im Bremer Sammlermuseum Weserburg. Der 55-jährige Unternehmer und Kunstsammler aus Posen hat schon häufiger Werke aus seiner Kollektion für Ausstellungen verliehen, doch dass seine Sammlung selbst im Fokus einer Schau steht, ist für ihn eine Premiere.

Zusammen mit seiner Frau Hanna ist Przyborowski gerade aus Posen eingetroffen. Sieben Stunden Autofahrt scheinen kaum Spuren hinterlassen zu haben. „Ja, ich bin wirklich stolz“, erklärt er lächelnd. Werke von rund 20 polnischen Künstlerinnen und Künstlern sind auf drei Kabinette verteilt, Installationen, Fotografie, Videos, etwas Malerei. Eine Zeitreise vom Symbolismus der vorigen Jahrhundertwende bis zur unmittelbaren Gegenwart. Viel Widerständiges ist zu sehen. Das kritische, eigenständige, urbane Polen präsentiert sich hier stolz.

„Wir zeigen, wie die polnische Kunst das gesamte 20. Jahrhundert hindurch selbstverständlich Teil der Weltkunst war“, erklärt der Gastgeber Peter Friese, der im Herbst scheidende Direktor der Bremer Weserburg. Was unausgesprochen im Raum steht: Hier zeigt sich genau jenes weltoffene, Europa zugewandte Polen, das derzeit massiv in die Defensive geraten ist. Bekämpft im eigenen Land, aus Angst vor Offenheit, Vielfalt, Globalisierung.

Doch Przyborowski möchte sich nicht zur Tagespolitik äußern, sondern lieber die Kunst sprechen lassen. Der Unternehmer, der in Posen Decken und Matratzen produziert, hat zusammen mit seiner Frau 2002 die Signum Stiftung gegründet. Nachdem das Paar zunächst in den 1990er-Jahren polnische Malerei aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erworben hatte, bedeutete die Stiftungsgründung den Aufbruch in die Gegenwart.

Mit Grzegorz Musial kam ein erfahrener Kunsthistoriker als Kurator in die Stiftung. Musial hatte zuvor am Kunstmuseum in Lodz gearbeitet, einem der ältesten Museen für moderne und zeitgenössische Kunst weltweit, sowie eine eigene Galerie geführt. Und Musial war es, der das Interesse des Sammlerpaars auf die polnische Avantgarde der Nachkriegsjahre lenkte, auf die verborgene, dissidente Kunst der 1970er-und 1980er-Jahre und auf spannende Künstlerpositionen des demokratischen Polens nach 1989.

Und Musial war es auch, der nun die Schau in Bremen eingerichtet hat. An ihrem Anfang steht ein starkes „Memento Mori“. Das selbstbewusste Selbstporträt von Jacek Malczewski (1854–1929), das in seinem Gestus an die kräftigen Selbstdarstellungen eines Lovis Corinth erinnert, zeigt den Künstler mit breiter Brust, während ein jugendlicher Sensenmann ihm von hinten über die Schulter blickt. Diesem ältesten Exponat der Ausstellung ist die Fotoarbeit „White Olympia“ von 1995 von Katarzyna Kozyra gegenübergestellt, eine bitter-ironische Version von Manets skandalträchtigem Aktgemälde „Olympia“.

Selbstporträt als nigerianische Frau vom Stamm der Fulani von 2007. Signum Foundation

Andrzej Karmasz

Selbstporträt als nigerianische Frau vom Stamm der Fulani von 2007.

Wie bei Manet präsentiert sich eine nackte Frau ausgestreckt auf einem Bett, doch während Manet eine Prostituierte offensiv mit dem Betrachter des Bildes Kontakt aufnehmen lässt, zeigt sich Katarzyna Kozyra selbst als verletzliche, kranke, aber dennoch selbstbewusste Frau, die von einer Chemotherapie gezeichnet ist. Die Nacktheit ist hier kein Signum für einen Skandal, sondern ein Zeichen für Selbstbehauptung im Angesicht des Todes.

Ein starker Aufschlag für eine Ausstellung, die vor allem viele konzeptuelle Arbeiten, Fotos und einige raumgreifende Installationen zu bieten hat. Etwa die minimalistische Kunst von Edward Krasinski (1925–2004), die einen prominenten Platz im Mittelraum der Ausstellung gefunden hat. Seit den 1970er-Jahren hatte Krasinski, damals ein Außenseiter im Kunstbetrieb, sein Schaffen auf eine einzige Geste reduziert.

Während die offizielle Kunst des Landes den sozialistischen Realismus förderte und forderte, zog Krasinski eine blaue Linie durch Innen- und Außenräume. Mit blauem Scotch-Tape beklebte er in Brusthöhe Wände, Personen, Leinwände und Bäume.

Im „White Cube“ der Ausstellung werden so einzelne abstrakte Malereien und Objekte zu einer gesamten Installation zusammengefasst – ein subversives Vorgehen, das zugleich etwas Obsessives hat. Die Bremer Ausstellung stellt Krasinski in eine Reihe mit zwei Heroen der konzeptuellen Kunst – Roman Opalka, von dem eines seiner Zahlenbilder zu sehen ist, und On Kawara, dem einzigen nicht polnischen Künstler der Schau, der mit einem Datumsbild vertreten ist. Sie alle haben über Jahrzehnte an ihren festen gedanklichen und schöpferischen Konzepten festgehalten.

Nicht zurückhaltend und minimalistisch, sondern massiv treten dem Besucher hingegen die installativen Positionen dieser Ausstellung entgegen. In einer Ecke steht eine Gruppe von fünf überlebensgroßen Torsi ohne Köpfe von Magdalena Abakanowicz. Sie sind aus gehärtetem, übermaltem Sackleinen, nackt, stumm.

Selbstbehauptung im Angesicht des Todes nach Manets berühmtem Olympia-Bildnis, realisiert für die Fotokamera 1995. Signum Foundation

Katarzyna Kozyra

Selbstbehauptung im Angesicht des Todes nach Manets berühmtem Olympia-Bildnis, realisiert für die Fotokamera 1995.

Ihre Präsenz wirkt bedrückend und selbstbewusst zugleich, Assoziationen an die Gräuel, die Menschen Menschen antun, lassen sich kaum vermeiden. Ebenso wenig wie bei dem offenen Stahlrahmen, den der Bildhauer Miroslaw Balka mit dem Titel „204 x 222 x 193, 107 x 30 x 30“ versehen hat. Das Werk ist abstrakt und offen, aber da von oben eine rohe Glühbirne hineinleuchtet, sind Assoziationen an eine ärmliche Hütte, Gefängniszelle oder einen Käfig unvermeidbar.

Um die Ecke tickt das Werk „Personal Files II“ von Jaroslaw Kozlowski, bei dem 500 Wecker aller Arten und Typen in mehreren Metallschränken laufen (und wohl ständig neu aufgezogen werden müssen). Jede Uhr zeigt ihre eigene Zeit an – ein Bild für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das nicht zuletzt aus polnischer Sicht eine gesellschaftliche und politische Dimension hat.

Die Weserburg hat die Ausstellung der Signum Stiftung genutzt, um erstmals einen Querschnitt durch die polnische Kunst der vergangenen 100 Jahre zu zeigen. Doch die rund 500 Werke umfassende Sammlung ist nicht darauf beschränkt. „Das wäre ja ein Zwang, nur polnische Kunst sammeln zu müssen“, sagt Jaroslaw Przyborowski. „Wir sammeln grenzenlos und wollen uns nicht zum Sklaven eines Plans machen.“

Die Kriterien, nach denen die Sammler neue Werke erwerben, seien auch für ihn selbst häufig nicht nachzuvollziehen, meint der Kurator Gregorz Musial: „Häufig entdecken wir erst nach Jahren wichtige Zusammenhänge in diesem spannenden Labyrinth. Die Erwerbungen sind eher intuitiv, doch es entstehen dabei interessante thematische Konstellationen.“

Przyborowski besuchte regelmäßig die großen Messen in Europa. Zuletzt war er mit einem seiner vier Kinder, dem 15-jährigen Sohn, auf der TEFAF in Maastricht. Die Leidenschaft an der Kunst geht in der Familie nun auch auf die nächste Generation über. Doch der Sohn steht vor allem auf Alte Meister. Und warum auch nicht, meint Przyborowski. „Wenn wir in Madrid sind, gehen wir immer in den Prado“, sagt er. „Das gibt viel Energie für die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst.“

Und hierbei ginge es immer wieder darum, Entdeckungen zu machen. Das sei das Wesen des Sammelns, meint er. Auf die Frage nach seiner neuesten Entdeckung muss Przyborowski kurz nachdenken. Auf der Arco in Madrid habe er das Werk des spanischen Künstlers Carlos Aires entdeckt, der dort mit ungewöhnlichen Kruzifix-Darstellungen und Collagen aus Banknoten provokante Arbeiten ausgestellt hat, berichtet er. Die Aggressivität dieser Arbeiten habe ihn einfach angesprochen und begeistert. Nicht alle Polen dürften heute diese Empfindung teilen.

„Where does your heart belong?“ läuft bis zum 2. September 2018 in der Weserburg, Bremen. Geöffnet Die. bis So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr.

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