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16.12.2022

12:05

Bücher erweitern den Blick und überraschen auf dem Gabentisch.

Geschenke und Begleiter

Bücher erweitern den Blick und überraschen auf dem Gabentisch.

Präsent-Tipps

Bücher-Geschenke für die Kaminplauderei, für Feministen, aufgeweckte Jugendliche und kunstaffine Reisende

Von: Sabine Spindler, Susanne Schreiber

Sorgsam ausgewählte Bücher bereiten Freude. Eine kleine Typologie zu Neuerscheinungen, die die Redaktion nachhaltig beeindruckt haben.

Für den Feministen im Mann

Warum ist ein roter Lippenstift 1927 Ausdruck rebellischer Selbstbestimmung? Warum hatten adelige Frauen um 1300 bei Hofe, kurzzeitig die Chance, Ihre Meinung zu sagen? Wer sich mit der Geschichte der Frau befasst, schreibt über Körper, Sexualität und Ausgrenzung. Kunst und Alltagsgegenstände sind Zeugen gebrochener Gesellschaftsbilder.

Selten ist eine Kulturgeschichte so klug und unterhaltsam geschrieben worden wie von Annabelle Hirsch. „Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten“ sind eine Wucht.

Es braucht dieses Buch, weil wir die Geschichte der Frauen immer noch nicht gut genug kennen. Weil es immer noch den Gender-Pay-Gap gibt.

Auch wenn Hirsch sich den Aufbau angeschaut hat bei Neil MacGregors Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“, und wenn die Abbildungsqualität bei Hirsch noch verbesserungsfähig ist, überzeugt der Ritt durch die Jahrtausende: Immer lehrreich und humorvoll geschrieben, verknüpft die Journalistin Annabelle Hirsch geschickt Gegenwart und Vergangenheit.

Ob Höhlenmalerei, Singer Nähmaschine, Tupperdose oder Dior-T-Shirt „We should all be Feminists“ – man folgt der Autorin gern bei ihren überraschenden Volten. Ein Geschenk, das frau nicht nur Feministinnen auf den Gabentisch legen möchte, sondern auch jenen Männern, die schon genug Socken haben. Wir sind doch alle Feministen, oder?

Für Feministen:
Annabelle Hirsch
Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten.
Kein & Aber
416 Seiten, 30 Euro

Für den reisenden Kunstfreund

Privatsammlungen liegen meist im Verborgenen. Nur die wenigen großen, die mit viel Personal wie ein öffentliches Museum auftreten, finden Eingang in die üblichen Reiseführer. Wir denken da an die Fondation Beyeler in Basel oder das neu eröffnete Rubell Museum in Washington.

Abhilfe schafft da seit vielen Jahren ein kompaktes Buch, das in jede Tasche passt: „Der BMW Art Guide by Independent Collectors“ führt über 300 Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst in 51 Ländern auf. In der soeben erschienenen siebten Auflage sind Sammlungen neu dabei aus Bahrain, Ghana, Iran, Lettland, Nigeria, Philippen, Saudi-Arabien und Thailand.

Standardwerk zu Privatsammlungen:
Der BMW Art Guide by Independent Collectors
Hatje Cantz
320 Seiten, 110 Abb., 18 Euro
Es gibt ihn auch auf englisch für 30 Euro.

Viel größer sind aber die Länderabschnitte zu den USA, Deutschland, Italien und Frankreich. Meist geben Farbfotos einen ersten Eindruck. Immer sind Namen, Adressen und Kontaktmöglichkeiten angegeben. Denn fast alle Privatsammler bestehen auf persönlicher Voranmeldung.

Dafür ist der Art Guide ein echter Sesam-Öffne-Dich. Er beruht auf einer langen Kooperation von BMW mit Independent Collectors, der internationalen Online-Plattform für Sammler zeitgenössischer Kunst. Er ist ein Standardwerk, auch wenn die Beschreibung manchmal nach Selbstbeschreibung klingen.

Schade, dass der Art Guide nicht auch Design-Sammlungen berücksichtigt. Denn das Crossover der Gattungen ist gerade sehr angesagt.

Für Junge und Junggebliebene

Wer die Geschichte der Kunst erzählt, tut das meistens am Beispiel von alten, weißen Männern – die meisten sind schon tot. Doch die Fragen der Gesellschaft haben sich geändert. Wo sind die Künstlerinnen? Wo sind schwarze oder non-binäre Kunstschaffende?

Für mehr Diversität:
Ann Mbuti
Black Artists Now. Von El Anatsui bis Kara Walker.
Illustriert von Sumuyya Khader
C. H. Beck
144 Seiten, 24 Euro

Wer einen Überblick sucht auf drei Generationen von Künstlerinnen und Künstlern aus Afrika und der Diaspora fand bislang nur Fachliteratur. Jetzt hat die in der Schweiz lebende Journalistin Ann Mbuti eine kluge Auswahl vorgelegt. „Black Artists Now. Von El Anatsui bis Kara Walker“ ist packend illustriert von Sumuyya Khader.

Ann Mbutis Auswahl ist überzeugend. Sehr bekannte Stars und ganz junge Talente werden unterhaltsam vorgestellt und in ihrer besonderen Haltung gewürdigt. Die 15 Porträts wenden sich an Jugendliche. Sie bieten aber allen Junggebliebenen einen gelungenen Einstieg in eine Bilderwelt, die wir in der Mehrheitsgesellschaft viel zu lange übersehen haben.

Für den Natur- und Kunstfreund

Wer das Gebirge und seine Bewohner malt, kann schnell das Etikett Heimatkunst angeheftet bekommen. Giovanni Segantini (1858-1899) aber zählt zu den bedeutenden Wegbereitern der Moderne. Ein großer Kenner seiner kargen, symbolischen und von glasklarer Luft geprägten Bilder aus dem Schweizer Engadin ist der Verleger und Schriftsteller Michael Krüger.

In seinem Essay „Über Gemälde von Giovanni Segantini“ nennt er ihn einen seltsamen bärtigen Vogel aus Maloja, ein Genie und Einsiedler trotz seiner zahlreichen Kinder. Seine Gemälde aber sieht er als unsentimentale Durchdringung der Härte des alpinen Alltags und der erhabenen Schönheit der Natur.

Fürs Kamingespräch:
Michael Krüger
Über Gemälde von Giovanni Segantini
Schirmer/Mosel
201 Seiten
38 Euro

Im Tonfall einer sonoren, gedankentiefen Kaminplauderei reflektiert Michael Krüger über 16 Bilder, Weltsichten und Visionen des ewig Staatenlosen. Michael Krüger ist eher ein literarischer als ein kunstwissenschaftlicher Betrachter der Gemälde. Das sind Texte für alle, die in das so spröde wie ergreifende Werk dieses Malers eindringen wollen, aber keine Theoretisierung mögen. Wie nebenbei erwähnt Krüger Segantinis malerische Erfindung des Divisionismus, die zu seiner unvergleichlichen Wiedergabe des klaren Lichtes führte.

Der kundige Autor webt Stimmen der Zeit etwa von Friedrich Nietzsche ein. Und zitiert aus Leo Tolstois Pamphlet „Was ist Kunst“, das Segantini zu einer Verteidigung der modernen Kunst herausforderte. Ganz Schriftsteller ist Krüger beim imaginären Gespräch zwischen Joseph Beuys und Segantini. Beide verbindet das Gespür, dass die Entwicklung der Zivilisation nicht auf Verbesserung des Lebens hinauslaufe, schreibt der heute 79-Jährige.

Zu weit hergeholt? Als Segantini in einer windigen Hütte 1899 bei Pontresina stab, waren seine letzten Worte „Voglio vedere le mie montagne – ich möchte meine Berge sehen“. Gut 70 Jahre später verneigte sich Beuys mit seiner Installation „Voglie vedere i miei montagne“ vor Segantini. Krügers Band ist mehr als eine feinsinnige Einstimmung auf den nächsten Besuch im Segantini-Museums in St. Moritz.

Mehr: Empfehlungen zu neuen Krimis und Romanen finden Sie am Samstag unter Handelsblatt - Art & Style - Literatur

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