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03.01.2021

11:41

Privatmuseum in Berlin

Die Mäzenin, die gern schmunzelt

Die Berliner lieben die „Kunstsaele“. Hinter dieser privaten Ausstellungsplattform stehen die Sammlerin Geraldine Michalke und der Künstler Michael Müller.

In der Sammlung Bergmeier harmonieren Arbeiten von K.O. Götz, Matthias Hoch, Günther Uecker, Gotthard Graubner, Walter Niedermayr und Manuela Tirler miteinander. KUNSTSAELE BERLIN; VG Bild-Kunst Bonn 2020 für Götz, Hoch, Uecker, Graubner und Tirler

Kunstsaele Berlin

In der Sammlung Bergmeier harmonieren Arbeiten von K.O. Götz, Matthias Hoch, Günther Uecker, Gotthard Graubner, Walter Niedermayr und Manuela Tirler miteinander.

Berlin Berlin ist bekanntlich die Stadt der Privatmuseen. Über ein Dutzend laden zum Besuch, allesamt Stolz der Sammler, die hier ihre Schätze der Öffentlichkeit zeigen. Aber es gibt auch eine Reihe Privatsammler, deren Kollektion nie oder nur temporär öffentlich zu sehen ist.

Die Sammlung Bergmeier ist so ein Fall. Erst 2019 anlässlich der ersten in Berlin organisierten „Collection Night“ war auch diese Kollektion erstmals zu entdecken. Damals öffneten viele der privaten Sammler ihre Türen bis Mitternacht. Eine grandios komponierte Ausstellung präsentierte sich da, mit ikonischen Arbeiten unter anderem von Günther Uecker, Rolf-Gunter Dienst, Gotthard Graubner, Ruprecht Geiger, Meuser, Art & Language und Michael Müller. Meisterwerke der 1960er- und 1970er-Jahre, mit feinem Gespür kombiniert mit jungen Talenten.

Das stimmige Zusammenspiel zwischen Konzeptkunst, Minimalismus, Wortbildern und Skulpturen riss die Besucher spontan zu enthusiastischen Kommentaren hin. Mitten in der Ausstellung beobachtete eine Frau die Reaktionen; erst auf Nachfrage verriet sie, dass sie die Sammlerin sei: Geraldine Michalke. Früher hieß sie Bergmeier, daher der Name der Sammlung.

Beim Treffen in ihrer großen Berliner Wohnung, die ebenfalls in klugem, attraktivem Mix gefüllt ist mit Kunst von berühmten wie aufstrebenden Künstlern, erzählt sie aus ihrem Sammlerleben. Die wichtigste Nachricht zuerst: Die Kunstsaele, der Ausstellungsort, in dem man ihre Sammlung entdecken konnte, werden von ihr mitfinanziert. Schauplatz ist eine 350 Quadratmeter große, typische Berliner Altbauwohnung in Schöneberg. Sie liegt also mitten im neuen Berliner Kunstquartier.

Die Idee hatte 2010 der Künstler Michael Müller. Er ermunterte drei Kunstfreunde, den Sammler Stephan Oehmen, den Galeristen Alexander Hahn und Geraldine Michalke, einen Ort zu schaffen für Ausstellungen, Lesungen und Performances. Sie mieteten die Räume und nannten sie „Kunstsaele“.

Geraldine Michalke vor einer Arbeit von Gotthard Graubner. KUNSTSAELE BERLIN; VG Bild-Kunst, Bonn 2020 für Graubner

Die Sammlerin

Geraldine Michalke vor einer Arbeit von Gotthard Graubner.

Zwei der Initiatoren sind inzwischen abgesprungen, so dass die Sammlerin, unterstützt vom Künstler Michael Müller, diese nicht-kommerzielle Institution paritätisch mit Müller finanziert. Das bedeutet nichts Geringeres als: Geraldine Michalke ist eine veritable Mäzenin – die freilich immer bescheiden im Hintergrund, am liebsten anonym bleibt.

Wenn sie über die 30-jährige Entwicklung ihrer Sammlung berichtet, soll der Eindruck purer Zufälligkeit entstehen. Doch dem war nicht so. Die Kollektion umfasst inzwischen rund 200 Werke; Genaues weiß Michalke nicht. Die gebürtige Hallenserin lebte auch einige Zeit in Freiburg. Von dort zur Art Basel ist es nicht weit; also besuchte sie regelmäßig die Kunstmesse und erwarb sich fundierte Kenntnisse.

Künstlersuche auf den Messen

Bald kam die Art Cologne hinzu, wo Michalke Uecker und Graubner entdeckte. Von Haus aus ist sie „ein wenig“ vorbelastet. Der Großonkel hatte eine Expressionistensammlung und auch bei den Eltern „hingen immer Bilder an der Wand“. Die Sammlerin suchte auf den Messen freilich speziell die Künstler, die sie nicht kannte, um sie zu befragen, ob sie etwas „für sie sind“.

Michalke hielt sich an den Spruch von Gerhard Hoehme: „Wenn man nichts sieht, schaut es man genauer an“. Ohne vorgegebenes Konzept oder Thema erwarb sie auf diese Weise mit dezidiertem Eigensinn eine Kollektion, die sich im Nachhinein als unbedingt kohärent und von ausgeprägtem Charakter erweist – Konzeptkunst, Minimalismus und die Farben Schwarz und Weiß fügen sich zu einem sublimen Universum.

Die Arbeiten waren 2019 Teil der Ausstellung „Klappe zu, Affe tot“. KUNSTSAELE BERLIN, Frank Sperling; VG Bild-Kunst, Bonn für Verheus

Rolf-Gunter Dienst, Geerten Verheus

Die Arbeiten waren 2019 Teil der Ausstellung „Klappe zu, Affe tot“.

Stolz verweist sie auf eine Reihe früher Arbeiten von Künstlern, aus Phasen, „in denen sie noch experimentierten, noch nicht wussten, wohin sie wollen“. Nämlich frühe Arbeiten des Informel und der Abstraktion neben Emil Schumacher und Henri Michaux und K.H.R. Sonderborg. Später kamen auch jüngere Künstler hinzu wie die Leipziger Fotografen wie Ricarda Roggen und Matthias Hoch oder die Brüder Carsten und Olaf Nicolai. Subtile Wortbilder, etwa von Ruth Wolf-Rehfeldt oder Art & Language und immer wieder Zeichnungen von Michael Müller bilden einen weiteren Schwerpunkt.

Der schönste Lohn für dieses mäzenatische Engagement ist für sie die Freundschaft mit den Künstlern, wobei sie betont, dass der persönliche Kontakt zu ihnen erst kam, nachdem sie eine Arbeit von ihnen erworben hatte. Einzige Ausnahme: Michael Müller. Ihn lernte sie bei einem Essen in Köln kennen. Er habe ihr viel über seine Übersetzung von Musils „Mann ohne Eigenschaften“ erzählt. „Ich habe nichts verstanden“, gesteht sie. Dennoch entwickelte sich eine enge Freundschaft, die dazu führte, dass jetzt alle seine Werkphasen in ihrer Sammlung vertreten sind.

Entdeckungen in der Galerie Barbara Wien

Obgleich ihr alle Künstler in ihrer Kollektion gleich lieb sind, hat sie heimliche Favoriten, nämlich Sonderborg, Hoehme, Chana Horwitz, Rolf-Gunter Dienst und immer wieder Neuentdeckungen. In der Galerie Barbara Wien entdeckte sie z.B. Künstler wie King Jong-Ik, Ian Kiaer oder Tomas Schmit. „Bei Schmits Arbeiten muss ich immer schmunzeln, und ich schmunzele gern, also habe ich sie gekauft“, gesteht sie.

Wien schwärmt denn auch von dieser kenntnisreichen Kundin: „Sie ist eine professionelle Guckerin und wählt mit untrüglichem Gespür das Beste. Sie kümmert sich nicht um Namen oder Trends, ist immer auf Entdeckungen aus. Wenn sie Feuer gefangen hat, kauft sie. Beeindruckend auch ihre große Liebe für Papierarbeiten. Gespräche mit ihr sind immer eine Bereicherung, dabei imponiert mir ihr stets elegantes, zurückhaltendes Auftreten.“ Dieses zurückhaltende, vornehme Auftreten bei allem Kenntnisreichtum bewundern auch andere, die sie kennen.

Sammlerporträt: Bei Joëlle und Eric Romba ist die Kunst fröhliche Mitbewohnerin

Sammlerporträt

Bei Joëlle und Eric Romba ist die Kunst fröhliche Mitbewohnerin

Die Privatsammler Joëlle und Eric Romba pflegen einen nonchalanten Umgang mit der Kunst. Das Paar sammelt keine Trophäen, sondern Lebensbegleiter.

Dass in den Kunstsaelen hochkarätige Ausstellungen stattfinden konnten und können, macht Geraldine Michalke stolz. Sie erwähnt jene mit dem Titel „Haus der Sinnsuche“, kuratiert von Ellen Blumenstein; eine Gruppenschau mit Arbeiten unter anderem von Jenny Holzer, Julius von Bismarck und On Kawara sowie die Schau „Abenteuer Freundschaft“ oder „Der Schatten des Körpers des Kutschers“.

Die Präsentationen ihrer Sammlung 2017 und 2019 standen unter den Titeln „Klappe eins, Affe tot“ und „Klappe zu, Affe tot“. Kürzlich folgte nochmals ein exzellenter Rückblick auf das ungewöhnlich engagierte Programm, diesmal mit dem Titel „Freitod“. Der will besagen, weder Mieterhöhung noch berlintypische Gentrifizierung sind der Grund, weshalb jetzt erst einmal Schluss ist. „Nach zehn Jahren ist es Zeit für eine Zäsur. Um Bilanz zu ziehen“, sagt sie.

Im nächsten Jahr geht es mit KUNSTSAELE BERLIN weiter. Nachdem die Mäzenin und Müller ihren Standort in der Bülowstraße aufgegeben haben, sind sie bereits in der Planung für die erste „Cooperations"-Ausstellung im Frühjahr 2021. Geplant ist deshalb zunächst eine Publikation, die die herausragenden Aktivitäten der „Kunstsaele“ festhält. Aber, versichert Michalke, „keine Angst, wir kommen wieder, in welcher Form auch immer.“

Von

Daghild Bartels

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