Zanele Muholi macht gesellschaftlich Ausgegrenzte der Bewegung LGBTQIA+ sichtbar. Der Gropius Bau ehrt die 49-jährige Südafrikanerin mit einer beeindruckenden Retrospektive.
Zanele Muholi
Blick in die Ausstellung im Gropius-Bau in Berlin.
Bild: Eike Walkenhorst
Berlin Auf der letzten Kunst-Biennale von Venedig von 2019 wurden sie fast zum Leitmotiv, die faszinierenden, überlebensgroßen Selbstporträts der Künstlerin Zanele Muholi. In jedem Raum der ehemaligen Seilereien empfingen sie die Besucher im XXL-Format. Die packende Ästhetik dieser Bilder machte die Südafrikanerin, bis dato nur Insidern ein Begriff, schlagartig zum internationalen Star. Jetzt widmet der Berliner Gropius Bau ihr eine von der Londoner Tate Gallery übernommene grandiose Retrospektive, die noch bis 13. März läuft.
Die frappierende Schönheit der Fotos täuscht bewusst. Im Subtext verbergen sich kämpferische, politische Botschaften. Denn Zanele Muholi (Jahrgang 1972) versteht sich als „visuelle Aktivistin“, als Vorkämpferin der LGBTQIA+ Bewegung. Sie kämpft für alle, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer, intersexuell oder asexuell sind. Sie selbst bezeichnet sich als strikt nicht-binär, d. h. nicht dem heterosexuellen Schema zugehörig.
Ihre erste Ausstellung in Johannesburg verursachte einen Skandal mit Porträts von lesbischen schwarzen Frauen. Die damalige Kulturministerin Südafrikas, Lulu Xingwana, weigerte sich, die Eröffnungsrede auf Muholi zu halten. Ihre Begründung: Die Bilder seien unmoralisch, offensiv und „nicht dem Aufbau der Nation dienend“. Schwarze lesbische Frauen, so die Ministerin, existierten gar nicht. Genau das will Muholi widerlegen und für diese Frauen kämpfen. Die Bilder der Serie, inzwischen fortgesetzt und auf 500 angewachsen, sind kämpferische politische Statements.
Das mag zunächst verwundern, hat sich Südafrika nach dem Ende der Apartheit doch 1996 eine der modernsten Verfassungen gegeben. Und als erstes Land überhaupt das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe im Grundgesetz verankert.
In der Realität jedoch, so Muholis Erfahrung, werden diese Frauen weiterhin diskriminiert, schlimmer noch, getrieben von Hasskriminalität attackiert, vergewaltigt und auch ermordet. Dass die Bedrohung nicht auf Südafrika beschränkt ist, musste die Künstlerin 2017 anlässlich einer Ausstellung in der Berliner Galerie Wentrup erfahren: Auf der Potsdamer Straße wurde sie attackiert, bis die Polizei einschritt.
Zanele Muholi
Die Künstlerin mutet sich etwas zu, und ihrem Publikum. Blick in die Ausstellung im Gropius Bau in Berlin.
Bild: Eike Walkenhorst
Damals sagte sie mir bei unserer Begegnung am Tag danach: „In der südafrikanischen Politik spielen wir keine Rolle. Gleichgeschlechtlicher Sex zwischen Frauen ist immer noch ein Tabu“. Deshalb wurde sie zur visuellen Aktivistin.
„Uns geht es darum, sichtbar zu werden, zu zeigen, dass wir existieren. Meine Arbeit ist Sichtbarmachen“. Besonders den schwarzen Körper. „Ich benutze Visuelles um eine politische Agenda zu unterstützen. Aber ich weiß auch, dass sichtbar zu sein, Risiken und Gefahr einschließt“.
In Südafrika kann sie diese Arbeit schon lange nicht mehr praktizieren. Unterstützt von Galeristen, Sammlern und Aktivistinnen weltweit, findet sie ihre Protagonistinnen überall: in Toronto, wo sie studierte und ihren Master machte, in New York, Oslo, Liverpool, Malmö, Florenz, London.
Zanele Muholi
„Qiniso, The Sails, Durban“, Großfoto von 2019: Alltagsobjekte wie Kämme werden zu schmückenden Trophäen und Kronen im nachgeschwärzten Selbstporträt der Künstlerin.
Bild: Stevenson, Kapstadt/Johannesburg und Yancey Richardson, New York
Muholi ist gezwungen, ein Nomadenleben zu führen. Seit 2013 lehrt sie als Honorarprofessorin an der Hochschule der Künste in Bremen.
Für dieses engagierte Sichtbarmachen hat Muholi eine eigene Ästhetik entwickelt, jenseits jener von Leni Riefenstahl, jenseits der Mitleidheischenden Elendsdarstellungen und auch jenseits exotischer Folklore. Sachlich, selbstbewusst, stark blicken die Porträtierten in die Kamera. Sie nennt sie Teilnehmende, denn sie sind Teil des Gesamtprojekts.
Alle Porträtierten in diesem visuellen Archiv, das sie 2003 begann, sollen schön aussehen. Deshalb sind oft auch Friseure und Make up-Spezialisten am Set. Alle Fotografierten werden namentlich vorgestellt, auch der Ort, an dem die Aufnahme entstand, wird genannt.
Zum aufrüttelnden, berührenden Bilderzyklus zählen aber Dokumente von grausamen Verletzungen. Ein mögliches nächstes Projekt, so viel verriet sie, könnte eine Serie von queeren Migranten sein.
Unter dem Titel „Somnyama Ngonyama“ (Heil der Löwin) entwickelte Muholi eine weitere Serie aus Selbstporträts. Mit diesen Bildern in verführerischer, atemberaubender Schwarzweiß-Ästhetik verbindet die Künstlerin mehrere Anliegen. Zunächst, schrieb sie in der Einführung zu einer Ausstellung in Kapstadt, „startete ich eine unkomfortable Reise der Selbstfindung.“ Sie habe die Kultur der Selfies überprüft und über die Möglichkeiten der Selbstdefinierung nachgedacht.
„Ich untersuchte, wie ein Fotograf den Körper als Material befragen und mit Objekten mixen kann, um die schwarze Persönlichkeit zu ästhetisieren“. Entstanden ist ein Panorama unvergesslicher Selbstporträts. Selbstbewusst und stolz blickt Muholi fast hypnotisierend in die Kamera.
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Die schwarze Haut hat sie noch dunkler geschwärzt, auf dass das Weiße der Augen umso kontrastreicher hervorsticht. „Damit hole ich mir meine Schwarzheit zurück, die sonst permanent von privilegierten Anderen – sprich Weißen – dargestellt wird.“ Muholi erklärt, dass sie bewusst die Techniken der weißen Modefotografie und die expressive Sprache des Theaters einsetzt.
Bei aller betörenden Schönheit dieses Zyklus ist doch auch hier eine politische Botschaft im Spiel: Die alltäglichen Objekte, mit denen sie ihre Konterfeis „schmückt“ – metallische Topfreiniger, Wäscheklammern, Staubsaugerschläuche, alte Plastikfolien – sämtlich Utensilien untergeordneter Hausarbeit, die die meisten südafrikanischen Frauen in weißen Haushalten leisten – werden bei der Künstlerin zu schmückenden Trophäen, zu Kronen, zu Hals- und Haarschmuck. Die Serie ist eine Hommage an ihre verstorbene Mutter, die lebenslang als Hausmädchen in weißen Haushalten arbeitete, um die große Familie zu ernähren.
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Zugleich ist der Zyklus ein politisches Statement der Emanzipation. Ein Selbstporträt ist vermeintlich harmlos gespickt mit zahllosen Bleistiften, die sich zum Strahlenkranz formieren. Das Ganze ist eine bittere Reminiszenz an die Apartheit-Zeit. Damals testete die Polizei die „Schwarzheit“ einer Person, indem sie ihr Bleistifte ins krause Haar steckte. Fielen die hinunter, galt die Person als weiß. Blieben sie stecken, war die schwarze Rasse erwiesen.
Dass sie bei Muholi selbstbewusst im Haar stecken, ist auch ein ironisches Statement gegen Exotik-Folklore, die schwarze Personen gern mit vielen Knochen als Haarschmuck abbilden. „Einmal gesehen, vergisst man sie nie, diese Bilder“, schrieb der britische „Guardian“. Recht hat er.
Der ausschließlich englischsprachige Katalog der Tate Gallery kostet 24,80 Euro.
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