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08.03.2023

09:35

Retrospektive

Victor Brauners spätes Glück

Von: Olga Grimm-Weissert

Als eine der Kulturhauptstädte Europas erinnert Timişoara an den Surrealisten Victor Brauner. Auf dem Kunstmarkt spielte der rumänische Maler schon zuvor eine Rolle.

1931 malte er sein Selbstbildnis mit einem auslaufenden Auge. Sieben Jahre später mischte sich Brauner in eine Auseinandersetzung zweier Surrealisten ein, verlor ein Auge und musste fortan ein Glasauge tragen. Centre Pompidou, MNAM-CCI/Philippe Migeat/Dist. RMN-GP; VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Victor Brauner

1931 malte er sein Selbstbildnis mit einem auslaufenden Auge. Sieben Jahre später mischte sich Brauner in eine Auseinandersetzung zweier Surrealisten ein, verlor ein Auge und musste fortan ein Glasauge tragen.

Timişoara Victor Brauner, der Surrealist aus Rumänien, war 1930 in Paris mit allen wichtigen Schriftstellern und Künstlern befreundet: mit Alberto Giacometti, Yves Tanguy, Max Ernst, Paul Celan, Eugène Ionesco, André Breton und Constantin Brancusi. „Aber er war oft am falschen Ort zum falschen Zeitpunkt“, konstatiert die französische Kuratorin Camille Morando im rumänischen Nationalmuseum von Timişoara.

Anlass ist die erste Retrospektive des Malers, der 1903 im Habsburger Kaiserreich in den Karpaten geboren wurde und 1966 in Paris starb. Der Pariser Experte für Brauners Werk, Samy Kinge, ergänzt die pessimistische Einschätzung: „Selbst über den Tod hinaus hatte er nie Glück.“ Anerkennung fand Brauner nicht, weder in Rumänien unter dem Diktator Nicolae Ceaușescu noch im aktuellen demokratischen System. Er wurde in eine jüdische Familie geboren und lebte ab 1938 im französischen Exil.

Brauners posthumes Schicksal wendet sich erst jetzt. 2023 ist die west-rumänische Stadt Timişoara eine von drei Kulturhauptstädten Europas. Zum 60 Millionen-Etat für Kunst und Infrastruktur aus rumänischen Mitteln hat die EU 1,5 Millionen Euro beigesteuert.

Zum Auftakt und dank großzügiger Leihgaben des Pariser Centre Georges Pompidou sieht man bis zum 28. Mai eine perfekt konzipierte und präsentierte Victor Brauner-Schau unter dem englischen Titel „inventions and magic“.

Der chronologisch angelegte Parcours in den Barocksälen des „Nationalmuseums für Kunst Timişoara“ führt zu 67 Gemälden, Zeichnungen, zwei vergoldeten Bronzeskulpturen sowie 70 Dokumenten. Leider fehlen die Keramiken, die Brauner gemeinsam mit Pablo Picasso in Vallauris in der Madoura-Töpferei herstellte.

Das rumänische Nationalmuseum ist Schauplatz der ersten Victor Brauner-Retrospektive. National Museum of Art, Timişoara

National Museum of Art in Timişoara

Das rumänische Nationalmuseum ist Schauplatz der ersten Victor Brauner-Retrospektive.

Die Witwe Jacqueline Victor Brauner vermachte dem französischen Staat Tausende von Werken und Archiv-Dokumenten. Das meiste gelangte ins Centre Pompidou. Kuratorin Camille Morando, die dort das Brauner-Archiv inventarisierte, wählte für die aktuelle Schau signifikante, fantasievolle und politisch brisante Werke aus. Etwa das ahnungsvolle Porträt „Hitler“ aus dem Jahr 1934.

Der surrealistische Pariser Freundeskreis um André Breton bewunderte Brauners „Seher-Fähigkeiten“. 1931 malte dieser sein Selbstbildnis mit einem auslaufenden Auge. Sieben Jahre später mischte sich Brauner in eine Auseinandersetzung zweier Surrealisten ein, verlor ein Auge und musste fortan ein Glasauge tragen. Brauner übernahm aber auch nonchalant Kompositionen von Salvador Dali und Luis Buñuel, imitierte Pablo Picasso und variierte traumartige Perspektiven aus Gemälden von Giorgio de Chirico.

Bereits in seinem Elternhaus mit Esoterik konfrontiert, schuf Brauner fantastische, von subtiler bis aggressiver Erotik geprägte Figuren. Er schöpfte aus Mythen und Märchen, in denen sich Menschliches mit Animalischem zu visuell betörenden Gestalten überlappt.

Köpfe malte er meist – wie die Ägypter – im Profil. Schlangenartige Glieder, Vögel, Drachen, Stiere umringen Frauenakte, werden metaphorisch unheimlich. Gelegentlich schlägt die Traumatmosphäre in Humor um. Fast obsessiv ragen Hörner aus Augen, verwandeln sich in Pinsel und malen ein Bild im Bild, wie „Sur le motif“ von 1937.

Auf diesem 1937 entstandenen Gemälde ragen fast obsessiv Hörner aus den Augen, verwandeln sich in Pinsel und malen ein Bild im Bild. Centre Pompidou, MNAM-CCI/Service de la documentation photographique du MNAM/Dist. RMN-GP; VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Victor Brauner „On the pattern“

Auf diesem 1937 entstandenen Gemälde ragen fast obsessiv Hörner aus den Augen, verwandeln sich in Pinsel und malen ein Bild im Bild.

Dichtes, langes Frauenhaar wird zu einem rätselhaften Werwolf-Pelz-Schwanz, wie auf dem Bild „Stable instable, plaine de Théus“. Brauner malte dieses Bild im Jahr 1942, als er sich als staatenloser Jude in den französischen Südalpen in Théus verstecken musste. Dort interpretiert der Lokalmythos bizarre Steinformationen als ewig tanzende „Demoiselles von Théus“. Trotz eines gefälschten französischen Ausweises von 1941 gelang ihm die Flucht nach Übersee nicht.

Brauners beste Gemälde entstanden in den 1930er- und 1940er-Jahren, in der stimulierenden Konfrontation mit den Surrealisten in Paris, zwischen seinen Heimreisen nach Rumänien und nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Eines der letzten Gemälde erscheint simpel; aber ein von männlichen Genitalien angetriebenes Auto weist ironisch auf weltbewegende Energien hin.

Die Preise für Victor Brauner steigen wieder

Im Kunstmarkt erreichten Brauner Gemälde bis 2008 gute Preise. So konnte Sotheby's „Tableau autobiographique – Ultratableau biosensible“ von 1948 2008 in New York für 993.000 Dollar zuschlagen. Derzeit steigen die Preise wieder, berichtet die Züricher Galerie von Vertes. Sie zeigte auf der letzten Brafa-Messe ein kleines unbetiteltes Gemälde auf Holz von 1947 für 180.000 Euro.

Der Pariser Galerist Daniel Malingue hat mehrere Gemälde im Angebot. Darunter findet sich „Poète en exil“ von 1946, das bei Christie’s 2007 in New York für 690.600 Dollar ersteigert wurde. Jetzt setzt es Malingue mit einer Million Euro an.

Die Londoner Galerie Waddington-Custot brachte zur „artgenève“ ein abstraktes Gemälde von 1960 mit. Für „Multipliant no.4.“ ließen sich 320.000 Euro notieren.

Experte Samy Kinge bereitet seit vielen Jahren mit Margaret Montagne das Werkverzeichnis Victor Brauners vor. Sowohl Kinge wie Camille Morando warnen vor kursierenden Brauner-Fälschungen.

„Victor Brauner: inventions and magic“, bis 28. Mai, National Museum of Art, Timişoara. Der Katalog kostet rund 195 Lei, etwa 40 Euro. Er ist nur in Rumänien erhältlich.

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