Saoud Al Thani war ein Markt beherrschender Kunstsammler. Bis er inhaftiert wurde. Jetzt wird der Kunstkenner mit einem großartigen Katalog rehabilitiert.
Scheich Saoud al Thani
Auf diesem von Richard Avedon fotografierten Porträt zeigt sich der Kunstsammler auch als leidenschaftlicher Tierschützer (Ausschnitt).
Bild: Katalog
Berlin Kürzlich rückte Katar wieder in die Schlagzeilen. Saudi-Arabien und andere Golfstaaten beendeten die 2017 verhängte Blockade. Zu der erneuten Öffnung passt eine aktuelle Schau im Museum Islamischer Kunst in Doha.
Sie würdigt die Verdienste von Scheich Saoud Al Thani (1966-2014). Der Vetter des Emirs von Katar wurde um die Jahrtausendwende als „größter Kunstkäufer der Welt“ bezeichnet. Rund acht Jahre lang, von 1997 bis 2005, prägte Al Thani die Kunstmärkte in vielen Kunstbereichen. Als einer der höchsten staatlichen Repräsentanten verfügte er über schier unbegrenzte Mittel. So konnte er dem dank seiner natürlichen Gas- und Ölvorkommen reichen Golfstaat eine Nationalsammlung aufbauen und ein Museum Islamischer Kunst planen.
Eine Ausstellung in dem 1997 eröffneten Bau des Stararchitekten I.M. Pei erinnert jetzt erstmals an die Verdienste dieses Mannes. „Falkenauge“, so der Titel der Schau und ein Spitzname, hatte in atemberaubend kurzer Zeit eine Sammlung von Weltgeltung zusammengetragen.
Die Ausstellung ist auch die Rehabilitierung eines manischen Kunstkäufers, der für seine Erwerbungen auch schon mal die finanziellen Grenzen überschritt, abgesetzt und inhaftiert wurde. Pandemie bedingt ist die Schau derzeit nur über den Katalog zu erschließen.
Der Band gibt Einblick in Motivation und Strategie des 2014 verstorbenen Prinzen. Hier rundet sich das Bild eines obsessiven Sammlers, der ein vielseitiger Kenner war und sich gegen eifersüchtige Klassifizierungen wie „unersättlich“ oder „zwanghaft“ verteidigte: „Ich bin einfach ein Sammler. Ich war mein Leben lang Sammler“. Und er stellte klar: „Ich glaube, dass Sammeln der höchste Ausdruck von Verantwortung für Besitz ist“.
Museum of Islamic Art in Doha
Katars wichtigstes kulturhistorisches Museum in einer Ansicht von 2007.AFP PHOTO/KARIM JAAFAR
Bild: AFP, Foto: Karim Jaafar
Aber längst nicht alle Fakten seiner überraschenden Inhaftierung und schon gar nicht die im Markt erzielten Hochpreise sind in dem Katalog genannt. Wir greifen dafür auf unser privates Kunstmarkt-Archiv zurück.
1996 beauftragte der Emir von Katar seinen Vetter, eine hochkarätige Sammlung mit dem Schwerpunkt Islamische Kunst aus dem Boden zu stampfen, um den Golfstaat langfristig zu einem bedeutenden Zentrum für Kunst und Kultur zu machen. Der damals Dreißigjährige hatte schon seit über zehn Jahren eine Privatsammlung mit Münzen, Mineralien, naturhistorischen Büchern, Photographika, Oldtimern, historischen Fahrrädern, Art Déco-Möbeln und Kunstobjekten aller Art aufgebaut.
Mit starkem Willen und spektakulärem Budget begann der Scheich Ankäufe in Privatsammlungen, Auktionen und dem spezialisierten Handel für die geplanten Museen von Katar zu tätigen. In seinen letzten Lebensjahren vertiefte er sich in die afrikanische Kunst, die in Katar als vermeintlich „primitive“ nicht sehr geschätzt wird.
Zu den ersten exemplarischen Erwerbungen im Auktionssaal zählt die um das Jahr 1000 im arabischen Andalusien gegossene Hirschkuh, die heute den publizitätsträchtigen Namen „Doha Hind“ trägt. Gegen hartnäckige Untergebote ersteigerte der Scheich die nur in einem identischen Exemplar in Cordoba zu bewundernde Bronze zum Rekordpreis von 3,6 Millionen Pfund, was damals einer Summe von 10,2 Millionen D-Mark entsprach.
Der größte Konkurrent in den Auktionen dieser Zeit war Scheich Nasser al-Sabah von Kuweit, der einen ähnlichen Sammlerehrgeiz hatte, aber oft genug im Bieterduell unterlag. Andere direkte Konkurrenten waren Aga Khan, die jetzt im Dallas Museum geparkte Keir Collection, die Kopenhagener C.I. David Collection sowie britische und amerikanische Privatsammler.
„Echnaton als Sphinx“
Das Relief stammt aus dem Neuen Reich und der 18. Dynastie.
Bild: Katalog
In den Folgejahren etablierte sich Scheich Saoud als offensiver Käufer, der Millionenbeträge für die rarsten und schönsten Stücke einsetzte, die der Markt zu bieten hatte. Ein Paradebeispiel sind die 531.750 Pfund, die bei einer Schätzung von 6000 Pfund für eine ornamentale Holztafel aus der Ibn Tulun Moschee in Kairo ausgegeben wurden.
766.850 Pfund erzielte eine im 13. Jahrhundert für Seldschuken-Herrscher in Konya geschaffene Doppeltür, die 2003 bei Christie’s ersteigert wurde. Das um 1810 in Teheran entstandene Monumentalporträt eines Schahs wurde 2004 erworben. Sotheby’s konnte es für 901.600 Pfund zuschlagen.
In den Londoner Frühjahrsauktionen des Jahres 2004 investierte der Scheich in 350 Objekte über 15 Millionen Pfund. Darunter waren Luxusobjekte aus dem kaiserlichen Mogulschatz in Delhi, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts in den Besitz des britischen Lords Clive gelangt waren und insgesamt 4,7 Millionen Pfund erlösten. Allein ein auf 8000 Pfund geschätzter Fliegenwedel aus Achat und Granat wurde damals für 901.250 Pfund zugeschlagen.
Für die 3 Millionen Pfund teure, mit Rubinen und Smaragden besetzte Jadeflasche aus diesem Schatz allerdings wurde der Export verwehrt. 2019 kam sie als eine auf drei Jahre befristete Leihgabe aus dem Londoner Victoria & Albert Museum in das Islamische Museum von Katar, wo sie den starken Einfluss Indiens auf den Schmuck der Katari zeigt.
Umayyads of Al Andalus
Die Skulptur der Hirschkuh entstand in Spanien vor 1010 aus Kupfer. Sie wurde nach dem Erwerb durch Scheich Saoud Al Thani als "Doha Hind" (Doha Hirschkuh) bezeichnet.
Bild: Katalog
Immer wieder waren es auch illustrierte Bücher, Miniaturen und Manuskripte, die der Scheich zu Hochpreisen erwarb. Ein Foto zeigt ihn in seiner Bibliothek in Doha in einen der vier Bände von Audubons Prachtwerk „Birds of America“ vertieft, das er 2000 für 8,8 Millionen Dollar bei Christie's zum teuersten gedruckten Buch aller Zeiten machte.
Schon in den Jahren zuvor hatte er persische Buchmalerei und Manuskripte bei dem Londoner Händler Sam Fogg erworben. Gemeinsam mit dem Londoner Händler Michael Franses schuf er eine überragende Teppichsammlung, deren Star der 5,5 Millionen Dollar teure „Perlenteppich von Baroda“ ist. Michael Franses spricht im Katalog voll Bewunderung seinem Freund: „Scheich Saoud war einer der faszinierendsten Persönlichkeiten, die ich je getroffen habe." Wie eine Renaissancefigur mit außerordentlichem Auge habe er Wissen in außergewöhnlichem Maße eingesaugt.
Offizielles und privates Sammeln liefen parallel. Ein großes Faible des Privatsammlers Saoud waren Fotoapparate und Fotografien des 19. und frühen 20. Jahrhundert. Scheich Saouds Photographika-Sammlung sollte der Schatz eines Fotomuseums werden, das aber wie ein geplantes Haus für Moderne Kunst und ein Orientalismus-Museum noch auf sich warten lässt.
Universale Sammellust war eine Seite seines Wesens. Die andere Seite war sein Einsatz für eine vom Aussterben bedrohte Tierwelt. In seiner Farm ließ er die fast ausgestorbenen Spix Macao-Papageien züchten, um sie auszuwildern. Das gleiche Engagement galt einer dezimierten Antilopensorte vom Horn von Afrika, mit der er sich als Beschützer auf einem Foto von Richard Avedon zeigt. Dieser Einsatz für bedrohte Tiere und sein ornithologisches Wissen ergänzten auf beeindruckende Weise die ästhetische Kennerschaft des Scheichs.
In Katar bestimmen der Scheich und seine Familie nicht nur die Politik, sondern auch die Welt der Kunst und Museen.
2005 war ein Schicksalsjahr Saouds. Er wurde als Direktor des katarischen National Council for Culture, Arts and Heritage abgesetzt und arrestiert. Grund war der Missbrauch staatlicher Gelder. Der Scheich hatte bei Sotheby’s und Christie’s Objekte ersteigern lassen, für die er sich von dem Londoner Händler Oliver Hoare ein Vielfaches des Zuschlagspreises in Rechnung stellen ließ. So wurden unter anderem Objekte, die im Herbst 2001 für 3,3 Millionen Pfund zugeschlagen worden waren, mit 16 Millionen Pfund beziffert.
Die zu dieser Zeit auf 450 Millionen Dollar geschätzte, simultan aufgebaute Privatsammlung erschwerte die klare Abgrenzung zu den Museumskäufen. Darunter waren die römische „Jenkins-Venus“, für die er 2002 bei Christie’s 7,9 Millionen Pfund eingesetzt hatte, und das sogenannte „Winter-Ei“ aus der russischen Fabergé-Werkstatt, das im selben Jahr bei Christie’s in New York 9,6 Millionen Dollar eingespielt hatte.
Zwei Monate später wurde der Scheich aus dem Gefängnis entlassen. Die Fachwelt vermutet, dass Saoud dem Emir von Katar Stücke seiner Sammlung als Kompensation angeboten habe. Die Venus und das Fabergé-Ei figurieren jetzt zwar nicht in der Ausstellung, aber die Fotografien und die naturhistorische Bibliothek, ägyptische Objekte und Mineralien erscheinen jetzt als Besitz der Museen von Katar.
Für kurze Zeit war der Markt für islamische Kunst nach der Absetzung von Saoud Al Thani eingebrochen. „Der skandalgetränkte Islamische Markt bleibt schwach“ titelte das Branchenblatt „The Art Newspaper“ im Mai 2006. Aber schon mit der im März 2008 in Paris versteigerten Sammlung Gillot war der Markt wieder in Bestform.
Ankäufe für das Islamische Museum in Katar in Millionenhöhe wurden weiter getätigt und auch der kurzzeitig inkriminierte Scheich Saoud zeigte sich, jetzt ausschließlich als Privatsammler, wieder in den Auktionssälen. Sein Tod durch Herzversagen im November 2014 war für viele Marktbeobachter ein Schock. Sein großes vielseitiges Vermächtnis bleibt bestehen: mit weltbesten Stücken islamischer Kunst strahlt es in die Zukunft, und auch mit naturhistorischen Büchern und Fotografie.
Die Ausstellung soll bis 10. April laufen. Der Katalog ist über Amazon für 47 Euro zu beziehen.
Mehr: Architekt Jean Nouvel im Interview: Was die Sandrose zur Inspirationsquelle für das Nationalmuseum von Katar machte
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