Am Vierwaldstättersee in der Schweiz hat das weltweit erste Hotel eröffnet, das für das Gasterlebnis Erkenntnisse der neurowissenschaftlichen Forschung verwendet.
Das neueste Projekt am Vierwaldstättersee
Die Idee zum Neuro-Campus-Hotel hatte der Unternehmer und Investor Peter Pühringer.
(Foto: Das Morgen)
Vitznau Ich fahre am Ostufer des Vierwaldstättersees entlang. Der See glitzert, als ich den Hafen an der Seepromenade passiere. Bestimmt 100 Jachten liegen hier und schaukeln sanft im Wind. Vitznau hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr gemacht und mutet mit seinen Zedern, Zypressen und der üppigen Blumenpracht mediterran an. Bekannt gemacht haben den Ferienort am Fuß der Rigi auch das renommierteste Hotel am Platz, das Parkhotel Vitznau (mit dem vielleicht weltbesten Weinkeller), und der Vitznauerhof mit seinem idyllischen Park am See.
Heute aber will ich die neueste Attraktion in Vitznau erkunden, das erste Neuro-Campus-Hotel der Welt: „Das Morgen“. Eingecheckt habe ich über die hoteleigene App. Mein iPhone dient mir in den nächsten Tagen als Zimmerschlüssel und zur Lichtsteuerung. In der Lobby – ganz ohne Rezeption – treffe ich auf Resident-Manager Tim Moitzi. Ich frage ihn, was sein brandneues Hotel mit Neurologie zu tun hat: „Alles, was wir beim Schlafen oder beim Essen tun, hat immer etwas mit unserem neurologischen System zu tun“, sagt er. „Und genau das versuchen wir hier im Neuro-Campus darzustellen.“
Die Idee zu diesem neuen Hotelprodukt hatte der Unternehmer, Investor und Visionär Peter Pühringer, der hier bereits das Parkhotel Vitznau und das Campus-Hotel Hertenstein besitzt. Zudem betreibt er die international anerkannte Reha-Klinik für neurologische Erkrankungen in Weggis. Ziel seiner Neuro Culinary Center AG ist es, in Hotellerie und Gastronomie zu investieren, indem „Produkte, Prozesse und Präzision im Bereich der Kulinarik weiterentwickelt werden“.
Jedes der 54 Zimmer hier ist anders. Es gibt: klassische Doppelzimmer, Zimmer mit zwei oder drei Schlafbereichen und auch Mehrbettzimmer für Gruppen. Das ungewöhnliche Hotel gliedert sich in vier Gastzonen, die sich auf das Erdgeschoss und das Dach als fünftes Obergeschoss verteilen. Die Bereiche heißen „gestern“ (mit klassisch-lokaler Küche in einem heimeligen Schweizer „Stübli“), „heute“ (mit vegetarischer und veganer Ausrichtung) und eben vor allem: „morgen“ – auf experimenteller Ebene.
Auch und gerade beim Essen setzt das Neuro-Campus-Hotel auf technische Mittel. Noch im Zimmer habe ich in der „Taste4me“-App mein individuelles Gastro-Profil erstellt – um Allergien, bevorzugte Lebensmittel, Vorlieben zu vermerken. Tim Moitzi erläutert mir, dass ich dadurch nun personalisierte Menüvorschläge erhalte und die Gerichte dann einzeln und exakt bewerten kann. Der Algorithmus verhindert, dass mir noch mal Speisen vorgeschlagen werden, die mir nicht geschmeckt haben. Die von mir bevorzugten Zutaten werden von den Campus-Köchen zum persönlichen Menü finalisiert.
Dann wird es spannend für mich: „Vitzi“ (von Vitznau) und „Telli“ (von Tellerträger) rollen heran – meine Roboterkellner für den Abend. Kleine Kinder aus der Region haben sich die putzigen Namen ausgedacht.
Ich lerne: Die Gastroboter können von der Begrüßung im Restaurant bis zum Zimmerservice inklusive Liftnutzung für verschiedene Prozesse genutzt und optimiert werden. Entwickelt wurden die erstaunlich wendigen elektronischen Helfer von der Schweizer Firma Sebotics. Die Serviceroboter der neuesten Generation können Gerichte und Geschirr zwischen Küche und Gasträumen transportieren, dem Servicepersonal unnötige Wege abnehmen und Stoßzeiten überbrücken helfen. Der Gastronom hat dann letztlich, indem Prozesse geshortet und ersetzt werden, wieder mehr Zeit für seine Gäste.
Lobby ohne Rezeption
Eingecheckt wird über die hoteleigene App, das iPhone dient als Zimmerschlüssel und zur Lichtsteuerung.
(Foto: Das Morgen)
Das Konzept scheint mir extrem schlüssig: Personal nicht ersetzen, aber entlasten. Gerade beim derzeitigen Fachkräftemangel ein sehr sinnvoller Ansatz – bevor die Personalengpässe zu einem noch größeren Desaster führen, als sie es aktuell ohnehin schon sind.
Ich laufe zur Talstation der Rigi-Bahn im Ort, eine der ältesten Zahnradbahnen der Welt. Dieser voralpine Gebirgsstock ist eine der beliebtesten Schweizer Touristen-Attraktionen: Mit nicht weniger als sieben (!) Bergbahnen kann man die Rigi, die Königin der Berge, erobern. Ich fahre mit purer Nostalgiefreude im historischen Wagen und mit rauchender Dampflok in einer halben Stunde hoch auf den Rigi-Kulm.
Vom Rigi-Hauptgipfel (1797 Meter) bietet sich eine fantastische Rundsicht über den See und große Teile der Alpen. Ich denke an Mark Twain und seine schillernde Beschreibung eines Sonnenaufgangs, den er auf der Rigi begeistert genossen hat; tatsächlich ist es frühmorgens hier am eindrucksvollsten.
Serviceroboter der neuesten Generation
„Vitzi und Telli“ können Gerichte und Geschirr zwischen Küche und Gasträumen transportieren, dem Servicepersonal unnötige Wege abnehmen und Stoßzeiten überbrücken helfen.
(Foto: Carsten K. Rath)
Auf der Rückfahrt unterbreche ich auf halbem Weg und gönne mir eine Auszeit im Rigi-Kaltbad-Spa, das der Schweizer Architekt Mario Botta sehr gelungen aus Naturstein geschaffen hat. Ich genieße vor allem den Ausblick vom Außenpool auf dem Dach.
Fazit: „Das Morgen“ in Vitznau ist mehr Versuchslabor der Hospitality-Zukunft als Hotel, ein Vergleich mit anderen Businesshotels verbietet sich eigentlich. Mich fasziniert das neue Neuro-Hotel-Konzept. Früher haben wir Hoteliers versucht, den Gästen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Heute hilft dabei neueste Technologie. Zimmer und Menüpläne zum Beispiel werden exakt auf jeden einzelnen Gast abgestimmt.
Mir hat es großen Spaß gemacht, in diese neue spannende Erlebniswelt einzutauchen und Hotel-Menschen zu erleben, die sich endlich mal auf den Weg machen, etwas wirklich Neues auszuprobieren. Vordenker wie Peter Pühringer nehmen dafür viel Geld in die Hand und treiben die Hotellerie quasi vor sich her. Das innovative Konzept im „Das Morgen“ mit seinen zukunftsweisenden Erkenntnissen der neurowissenschaftlichen Forschung funktioniert bereits eindrücklich. Das Neurologie-Themen-Hotel brummt spürbar und ist meist ausgebucht, die Raten sind schon so kurz nach dem Start bemerkenswert hoch. Der Mut, dem Gast etwas revolutionär Wegweisendes anzubieten, bewährt sich hier im beschaulichen Vitznau tatsächlich.
Der nostalgische Rigi-Express
Mit nicht weniger als sieben Bergbahnen kann man die Rigi erobern.
(Foto: Carsten K. Rath)
Aus diesem Mut entspringt die intensive Vernetzung von Innovation und Forschung mit dem klaren Ziel, das persönliche Wohlergehen zu steigern. „Das Morgen“ ist die momentan wohl spannendste Gastro- und Hotel- Versuchsküche weltweit. Sie lässt mich erahnen, wie Hotelaufenthalte der Zukunft und die Gastronomie 3.0 aussehen werden.
Sehenswürdigkeit: Ein faszinierendes Labyrinth im Berg: Die Artilleriefestung Vitznau wurde im Zweiten Weltkrieg als Verteidigungsbollwerk gebaut und war lange Staatsgeheimnis.
Restaurant: Im „Sens“ kocht der junge holländische Wilde Jeroen Achtien auf höchstem Zwei-Sterne-Niveau raffinierte Menüs mit vielen regionalen Komponenten. Das traumhafte Setting direkt am Seeufer bietet den grandiosesten Sonnenuntergangsblick überhaupt.
Schiffstour: Fahrt mit dem Dampfschiff idyllisch von Vitznau in gut einer Stunde nach Luzern oder einmal quer über den See nach Beckenried und dann mit der Seilbahn hoch ins Wanderparadies Kiewenalp (1600 Meter).
1. Ausdrückliche Reisewarnung
2. Besser als unter der Brücke
3. So lala, nicht oh, là, là
4. Meckern auf hohem Niveau
5. Wenn’s nur immer so wäre
6. Ganz großes Kino (der Zukunft)
Über den Autor: Als früherer Grandhotelier und Betreiber der Reiseplattform Travelgrand.ch ist Carsten K. Rath Globetrotter von Berufs wegen. Sämtliche Hotels, über die er für das Handelsblatt schreibt, bereist er auf eigene Rechnung. Rath ist Ideengeber des Rankings „Die 101 besten Hotels Deutschlands“, zu dessen Partnern auch das Handelsblatt gehört.
Carsten K. Rath, Rolf Westermann: Die 101 besten Hotels Deutschlands.
Institute for Service- and Leadership Excellence AG
521 Seiten
34,90 Euro
ISBN: 978-3033088719
Rath ist zudem Autor des Buchs zum Ranking. Die nächste Ausgabe des Buchs erscheint unter Mitarbeit des Handelsblatts Ende November im Rahmen der Veröffentlichung des nächsten Rankings der 101 besten Hotels Deutschlands.
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