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09.10.2022

11:44

Rath checkt ein – Hilton Canopy London

Eine bezahlbare Option unter den teuren Londoner Hotels – aber viel mehr auch nicht

Von: Carsten K. Rath

Das Hilton Canopy ist ein neues Lifestyle-Hotel im pulsierenden Londoner East End – mit orangenen Fahrrädern, äußerst dünnen Wänden, unverputzten Decken und sehr motivierten Mitarbeitern.

Die Mixtur: Design meets local vibes.(Foto: Carsten K. Rath)

Das neue Canopy

Die Mixtur: Design meets local vibes.

(Foto: Carsten K. Rath)

London Ich sitze im Taxi von Heathrow in die Innenstadt. Nachdem wir die grauen Industrievororte verlassen haben und die mir vertrauten Londoner Straßenzüge auftauchen, ist das „Swinging London“-Gefühl sofort wieder da. Ich liebe die Coolness und Vitalität dieser immer noch multikulturellsten Metropole – vor vielen Jahren habe ich hier selbst als Hotelier zwei Häuser geführt. Samuel Johnson drückt meine London-Vibes treffend aus: „When a man is tired of London, he is tired of life.“

Mein Domizil ist das noch neue Canopy, das erste britische Haus von Hiltons mittlerweile zwölfter globaler Eigenmarke. Das Viersternehotel im Stadtteil Tower Hill gehört zur ersten reinen „Lifestyle“-Marke des Konzerns, die als „natürliche Erweiterung der Nachbarschaft“ jedes der neuen Hotels (es sollen bald 100 weltweit sein) fungieren soll.

Rund um das Hotel ist noch alles Baustelle, die ganze Gegend ist ein Multimillionen-Hotelentwicklungsprojekt, direkt neben dem Canopy liegt auch das Motel One. Das Hotel ist nur wenige Gehminuten von der U-Bahn-Station Liverpool Street entfernt und in der Nähe der Brick Lane, der London Bridge, des Towers und der St. Paul’s Cathedral.

Der Rezeptionsbereich ist ein großer offener Raum mit vielen Sitzgelegenheiten.(Foto: Hilton)

Lobby

Der Rezeptionsbereich ist ein großer offener Raum mit vielen Sitzgelegenheiten.

(Foto: Hilton)

Ich will einchecken und wundere mich das erste Mal: Der Rezeptionsbereich ist ein großer offener Raum mit vielen Sitzgelegenheiten, aber der eigentliche Counter ist viel zu klein für die 340 Zimmer – die Menschen stauen sich vor und hinter dem rund sechs Meter langen Tresen. Das ist nicht hip, sondern nervig.

Die Innenausstattung des Hotels soll die Kultur der historischen Textilindustrie des Viertels wiedergeben, inspiriert von den Seidenwebern, die sich einst hier niederließen. Als Hommage an die zeitgenössische lokale Kunstszene schmücken Werke von Künstlern aus der Nachbarschaft die öffentlichen Bereiche.

Die Tower Bridge ist eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Londons.(Foto: Carsten K. Rath)

Wahrzeichen

Die Tower Bridge ist eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Londons.

(Foto: Carsten K. Rath)

Ich schaue mir das Restaurant an. Das Raumdesign gefällt mir, die floralen Muster und gewebten Stoffe an den Wänden strahlen Wärme aus. Das „Penny Square“ ist zum Frühstück und Abendessen geöffnet und bezieht den Großteil der Lebensmittel und Getränke von lokalen Partnern.

Apropos Frühstück: Am nächsten Morgen komme ich spät um Viertel vor zehn zum Frühstück, das ist hier im Haus ein großer Fehler. Die Käsetheke sieht aus wie ein Schlachtfeld. Als einzige Brotsorte gibt es nur noch Weißbrot, dazu einige Süßteilchen. Ich frage freundlich nach Vollkornbrot, das sei alles schon aus für heute. Ich trinke dann nur einen Kaffee. Die Basta-Ansage des Zero-Service-Excellence-Mitarbeiters hallt lange in mir nach.

Die Matratzen sind weich, die Kissen hart und groß.(Foto: Hilton)

Zimmer-Style by Canopi

Die Matratzen sind weich, die Kissen hart und groß.

(Foto: Hilton)

In meinem Zimmer erinnert mich das Bett an meine Jugend, damals wollte ich immer in einer Hängematte schlafen, nach fünf Minuten Durchhängen merkte ich, dass die Romantik beim Schlafen nicht funktioniert. Je weicher die Matratze hier ist, umso härter und größer sind die Kissen. Hier hat offenbar niemand probegeschlafen.

Seltsam auch die Decke: unverkleideter Beton. Die Rohre der Sprinkleranlagen sind zu sehen, genau wie die Elektroleitungen der Lampen. Sollte es ein Designelement sein, erschließt es sich mir nicht.

Zudem sind die Wände leider dünn wie Papier. Ich bin Ohrenzeuge eines heftigen erotischen „Zweikampfs“ im Nebenzimmer, an Schlaf ist erst mal nicht zu denken. Als die Geräusche nebenan abebben, kann ich dennoch nicht schlafen und bin genervt: Die Klimaanlage bläst zu laut und ist an der falschen Stelle angebracht, sodass man den kühlen Hauch deutlich spürt. Außerdem stört mich das penetrante rote Licht an der Klimaschaltung.

Die Rohre der Sprinkleranlagen sind zu sehen, genau wie die Elektroleitungen der Lampen. (Foto: Carsten K. Rath)

Seltsame Decke

Die Rohre der Sprinkleranlagen sind zu sehen, genau wie die Elektroleitungen der Lampen.

(Foto: Carsten K. Rath)

Neben der Nespressomaschine fällt mir am nächsten Morgen die nachfüllbare Wasserflasche aus Glas auf, die man in der Pantry auf jeder Etage auffüllen kann. Mir persönlich gefällt diese Idee, die pro Jahr sicher Tonnen an Plastikmüll einspart.

Im Badezimmer: guter Wasserdruck in der Dusche, Toilettenartikel von Apvita – die Nachhaltigkeit ist nicht durchgezogen – in einzelnen Plastikfläschchen. Was mich stört: Das Bad mag für eine Person noch gerade so für einen Kurzaufenthalt ausreichend sein, für zwei Personen ist es viel zu klein. Es gibt nur ein Waschbecken, die Ablage ist viel zu schmal.

Am nächsten Tag besuche ich die Londoner Zentrale von Peloton Digital, einem monatlichen Fitness-Abodienst, der es Benutzern ermöglicht, auf iOS- und Android-Geräten via App mehr als 8000 Kurse des Unternehmens zu Radfahren, Laufen, Yoga und Meditation zu streamen. Ich bin mir sicher: Das ist die Fitness-Zukunft, die für Studios zwar nicht rosig aussieht, dafür aber Hotels enorme Potenziale bietet.

Der Wasserdruck in der Dusche: gut.(Foto: Hilton)

Badezimmer

Der Wasserdruck in der Dusche: gut.

(Foto: Hilton)

Ich besuche zum Ende meines Aufenthalts die Lobby Bar. Hier gibt es heute eine kostenlose Gin-Verkostung, und ich erfahre, dass es einen solchen kleinen Happy-Hour-Event jeden Abend gibt. Eine gute Idee, die der Bar eine gewisse Stimmung verleiht.

Insgesamt war ich vom Canopy Hotel nicht sonderlich beeindruckt. Für Londoner Verhältnisse ist das Viersternehotel in guter Lage zu öffentlichen Verkehrsmitteln zwar eine noch relativ bezahlbare Option statt der in London oft astronomisch teuren Hotels. Andererseits, wenn ich Preis und Leistung abwäge, würde meine Wahl sicher auf das Motel One nebenan fallen. Hier zahlt man ein Drittel dessen, was das Canopy aufruft.

Der überraschend gute Servicestandard war das Erfreulichste hier. Das Servicepersonal war stets zuvorkommend und meist von Herzen freundlich (abgesehen vom Frühstücksservice). Insbesondere die Frontoffice-Mitarbeiter sind auf Zack, vor allem Tim fällt mir hier positiv auf. Er ist proaktiv und ein cooler Typ. Das Personal an der Rezeption ist ausnehmend hilfsbereit, zuvorkommend, weit besser als in vielen anderen Häusern, die ich erlebt habe.

Da passt ein Ausspruch von Designer Philippe Starck, der selbst mehrere Hotels in London eingerichtet hat: „Mir geht es nicht ums Aussehen der Dinge, sondern um die Gefühle, die sie auslösen.“ In diesem Sinn muss ich zusammenfassend für das Canopy sagen: Gefühlsmäßig berührt haben mich in diesem Hotel „nur“ die meisten der Mitarbeiter.

Die Handelsblatt-Insidertipps:

Joggingstrecke: 200 Meter runter zum Tower of London, dann über die Tower Bridge, nach rechts abbiegen und Richtung London Eye laufen, mit Blick auf den Buckingham Palace. Unbedingt frühmorgens oder später abends, tagsüber verhindern Touristenmassen ein Durchkommen.

Museum: Das Tate Modern, mit der nüchtern-beeindruckenden Herzog/de Meuron-Architektur und moderner Kunst von Warhol bis Moore, ist immer noch das eindrucksvollste Museum in dieser an Kunststätten nicht armen Stadt. Abends kommen, dann ist es leerer (freitags/samstags geöffnet bis 22 Uhr). Alternative: die Serpentine Gallery in den Kensington Gardens.

Radtour: Mit einem der kostenlosen orangenen Fahrräder des Canopy die Straßen des East Ends erkunden. Sie sind voller Geschichte und moderner Straßenkunst.

Raths Reiserating (aktuelle Wertung gefettet)

1. Ausdrückliche Reisewarnung
2. Besser als unter der Brücke
3. So lala, nicht oh, là, là
4. Meckern auf hohem Niveau
5. Wenn’s nur immer so wäre
6. Ganz großes Kino

Über den Autor: Als früherer Grandhotelier und Betreiber der Reiseplattform Travelgrand.ch ist Carsten K. Rath Globetrotter von Berufs wegen. Sämtliche Hotels, über die er für das Handelsblatt schreibt, bereist er auf eigene Rechnung. Rath ist Ideengeber des Rankings „Die 101 besten Hotels Deutschlands“, zu dessen Partnern auch das Handelsblatt gehört.

Carsten K. Rath, Rolf Westermann: Die 101 besten Hotels Deutschlands.
Institute for Service- and Leadership Excellence AG
521 Seiten
34,90 Euro
ISBN: 978-3033088719

Rath ist zudem Autor des Buchs zum Ranking. Die nächste Ausgabe des Buchs erscheint unter Mitarbeit des Handelsblatts Ende November im Rahmen der Veröffentlichung des nächsten Rankings der 101 besten Hotels Deutschlands.

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