Im luftentleerten Plastikbeutel
Das Vakuum soll die Aromen zu 100 Prozent bewahren.
Bild: imago/CHROMORANGE
Wir kaufen Bio-Ware fürs gute Öko-Gewissen, aber verschweißen sie zu Hause in mehrlagige Folie. „Unsinn“, sagt ein Top-Koch.
Hamburg Sous-vide heißt das neue Zauberwort auch in deutschen Küchen. Es grassiert ein wahrer Hype um das Garen von Fleisch, Fisch und Gemüse im luftentleerten Plastikbeutel. Idealerweise unter Einsatz spezieller Tauchbecken, bei konstanten Wassertemperaturen im Bereich zwischen 50 und 80 Grad. Oder im temperaturgeregelten Dampf. Hauptsache Vakuum, weil das zu 100 Prozent die Aromen bewahrt.
Wo sollen sie auch hin? Sie können weder verdampfen noch sich ins Kochwasser verströmen. Beigaben wie Kräuter, Gewürze oder Butter wirken zudem deutlicher auf das Gargut ein. Simsalabim, fertig ist die Geschmacksoffenbarung.
Gerade die „Herren der Schöpfung“ okkupieren seit geraumer Zeit vermehrt den Herd, stimuliert vom medialen Feuerwerk in Sachen solcher Küchenkunst. Wann immer man den Fernseher anschaltet, auf irgendeinem Kanal brutzelt und gart es garantiert. In der Glotze wird gedünstet, gesotten und gegrillt, was das Zeug hält.
Die Erben des ersten, von 1953 bis 1964 wirkenden TV-Kochs Clemens Wilmenrod sind Legion, der Lebensmittelverbrauch ist irrwitzig, die „Schankverluste“ beim Schnippeln oder Parieren sind grotesk. Wenigstens darf sich zumeist das Studiopublikum über ein paar Leckerbissen freuen, wenn das Rotlicht der Kameras erloschen ist.
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Im Kielwasser kulinarischer Botschafter wie Alfred Biolek hat das Leidenschafts-Triptychon des Mannes aus Baumarkt, Autozubehörkatalog und Multimedia-Fachhandel veritable Konkurrenz bekommen: Der Küchen- und Gastroausstatter avanciert zur Wallfahrtsstätte des 21. Jahrhunderts. „Es muss immer was Besonderes sein“, merkt dazu Harald Seitz vom Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) in Bonn an. „Männer kochen als Event, Frauen kochen täglich, im Zweifel unter Stress.“
Ernst-Wilhelm Klewinghaus
Der Küchenchef im Hamburger Restaurant La Fée sagt: „Sous-vide ist wunderbar für den Geschmack, eigentlich allerdings ein No-Go.“
(Foto: La Fée/Ernst-Wilhelm Klewinghaus)
Folglich mutiert im hochgerüsteten heimischen Küchenhabitat vor allem der männliche Homo Habilis zwischen Konvektomat, Eismaschine, Salamander – dem offenen Ofen mit starker Oberhitze – oder halt Sous-vide-Garer zum selbsternannten Sternekoch. Immerhin geht das einher mit einem gesteigerten Bewusstsein für den Wert, die Qualität und die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln, nicht zuletzt fürs Tierwohl.
So trägt der eigentlich umweltbewusste Stilbürger denn seine gerade auf dem Wochenmarkt erworbenen Lebensmittel vorbildlich im Körbchen oder im Mehrwegnetz nach Hause, voller Glückseligkeit über die regionale, saisonale, womöglich gar biozertifizierte Herkunft der Köstlichkeiten – um sie daheim wieder in millimeterdicke Kunststofffolie einzuschweißen und stundenlang in literweise sanft simmerndem Wasser schwimmen zu lassen.
Baden freilich geht dabei vor allem der ökologische Gedanke, geopfert auf dem Altar Epikurs. „Das ist doch Unsinn!“, schimpft Ernst-Wilhelm Klewinghaus, Küchenchef im Hamburger Restaurant La Fée: „Sous-vide ist wunderbar für den Geschmack, eigentlich allerdings ein No-Go.“
Will heißen: Alle reden über die Schädlichkeit und die Vermeidung von Plastik; es kursieren Schreckensmeldungen und Horrorbilder von der gesättigten Plastiklösung, die mal unsere Ozeane waren. „Aber wir führen wegen eines vielleicht minimal besseren Aromas die nachhaltige Erzeugung von Lebensmitteln und sämtliche Bemühungen, den Verpackungsmüll zu reduzieren, ad absurdum!“, sagt Klewinghaus, ein gastronomischer Fahrensmann und Querdenker mit 40 Jahren Küchenerfahrung.
220,5 Kilo Verpackungsmüll entfielen laut Umweltbundesamt im Jahr 2016 statistisch auf jeden Bundesbürger, insgesamt 18,2 Millionen Tonnen, womit Deutschland trauriger Spitzenreiter in Europa war. 47 Prozent ließen sich tatsächlich dem privaten Verbraucher zuordnen, davon 24,9 Kilo pro Kopf an Plastikmüll.
Anbraten
Danach wandert das Steak zunächst einmal in den Ofen.
(Foto: La Fée/Ernst-Wilhelm Klewinghaus)
Dazu passt, dass 63 Prozent der Lebensmittel in Deutschland vorverpackt sind. Das hat der Naturschutzbund Deutschland (NABU) ermittelt – und er weist darauf hin, dass die meisten Gemüse- und Obstsorten wegen ihrer Schale auch ohne Verpackung sicher transportiert werden können.
Die Vakuumbeutel für den Kochbetrieb wiederum, das lässt sich bei Wikipedia nachlesen, „werden üblicherweise aus mehreren Schichten von Polyamiden und Polyethylen gefertigt, um eine Extraktion von Weichmachern aus der Folie des Beutels in das Gargut zu vermeiden“.
In der Hochküche mag der ökologische Widerspruch namens Sous-vide eine Berechtigung haben, wenn die kulinarischen Könner von Berufs wegen mit ausgeklügelten Temperaturen und individuellen Garzeiten das ultimative Aroma aus dem vakuumierten Produkt kitzeln. Im Alltag selbst eines ambitionierten Hobbykochs freilich lässt sich derartige Subtilität kaum realisieren; also erklärt Klewinghaus, wie auch ohne Sous-vide-Garen ein perfektes Steak entsteht.
Als „Topfgucker“ schaut unser Autor Michael F. Basche in loser Folge Sterne- und Spitzenköchen über die Schulter und entlockt ihnen „Schmackhaftes“ – Wissenswertes, Hilfreiches, Inspirierendes – aus Küche und Keller.
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