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02.10.2021

10:05

Buchrezension

Ein Streitgespräch und Klimawandel leicht erklärt: Zwei Bücher zur Klimakrise

Von: Kathrin Witsch

Egal, welche Regierungskonstellation Deutschland bekommt, ein Hauptthema der nächsten Legislatur wird der Klimawandel sein. Zwei Bücher dazu stechen heraus.

imago images/Future Image

Fridays for Future

Düsseldorf Bernd Ulrich und Luisa Neubauer – ein Paar, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Der eine Journalist und stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, die andere Aktivistin und Galionsfigur der deutschen Jugendbewegung Fridays for Future.

Während Ulrich mit seinen 60 Jahren zu der sogenannten Babyboomer-Generation gehört, steht die 25-jährige Neubauer gerade erst am Anfang. Genau diese beiden haben nun ein Buch zusammen geschrieben: „Noch haben wir die Wahl“.

Die Bundestagswahl ist mittlerweile zwar schon entschieden, aber das ist auch nicht die Wahl, über die Ulrich und Neubauer sich im Dialog auf fast 240 Seiten unterhalten. Es geht, wie sollte es anders sein, um die Klimakrise. Wer jetzt ein Sachbuch mit den Problemen und Lösungen im Kampf gegen die globale Erwärmung wittert, hat allerdings weit gefehlt.

Vielmehr legt das Gespräch zwischen den beiden Protagonisten die Ursache des Problems offen: Ulrich und viele seiner Generation dachten, mit Protesten gegen Atomkraft hätten sie genug gegen den Klimawandel getan. Doch Neubauer hält ihm den Spiegel vor. Ignoranz und Individualismusliebe treffen hier auf Aktivismus und Veränderungswut. Zumindest in der Theorie.

Denn Ulrich hat sich nach seiner „Volvo-Phase“, also einem grundsätzlich ökologisch bewussten Leben mit phasenweisem Fleischkonsum, Autos, zu viel Kleidung und Flugreisen, in den vergangenen Jahren selbst zum Öko-Aktivisten gemausert. Eine wirkliche‧ Diskussion, die man in dieser Konstellation ja durchaus hätte erwarten können, bleibt also aus. Ulrich und Neubauer sind sich in den grundlegenden Fragen einig. Nur über das „Wie“ gehen die Meinungen ab und an leicht auseinander. Aber darum geht es am Ende vielleicht auch nicht.

Luisa Neubauer, Bernd Ulrich: Noch haben wir die Wahl.
Tropen
Stuttgart 2021
240 Seiten
18 Euro

Die beiden sprechen zwar auch über Klima und Corona, Ursachen und Lösungswege und den Zustand der Umwelt allgemein. Aber eigentlich sticht ein anderer Punkt viel mehr heraus: die Definition von Freiheit. Persönlich und individuell, gesellschaftlich und politisch. Das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum laschen Klimaschutz der Bundesregierung fasst Ulrich mit den Worten „Klimaschutz ist Freiheitsschutz“ zusammen.

Genau so hatten die Richter argumentiert: Der unzureichende Klimaschutz der aktuellen Regierung schränkt die Freiheiten und Rechte künftiger Generationen ein. Oder anders gesagt: Die jahrzehntelange Untätigkeit der Babyboomer-Generation (Ulrich) schränkt die zukünftigen Rechte und Freiheiten der Millennials (Neubauer) ein. So entspinnt sich ein Gespräch zwischen Vertretern zweier Generationen – über Wahrnehmung und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart, stets mit der Klimakrise im Hinterkopf.

Aber das eigentlich Interessante sind die Perspektiven von Ulrich und Neubauer, die auf dieselbe Situation teilweise völlig anders blicken. Während Journalisten wie Ulrich mit dem Grundsatz von Hanns Joachim Friedrichs groß geworden sind: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, [...] dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nie dazugehört“, hatte der berühmte Tagesthemen-Moderator einst gesagt.

Naomi Klaein, Rebecca Stefoff: How to change everything.
Hoffmann und Campe
Hamburg 2021
256 Seiten
18 Euro

Dagegen fordert Neubauer von den Medien eine Klima-Grundausbildung, eigene Ressorts und die Abschaffung des „Sich-nicht-gemein-machen-Mantras“. Das habe schließlich dazu geführt, „dass man noch immer dazu tendiert Klima-Journalist:innen aktivistisch zu nennen“, so Neubauer.

Die Auseinandersetzung der beiden zur Rolle der Medien in der Bekämpfung der Klimakrise ist der einzige Teil des Buches, in dem es wirklich mal zu einer Diskussion kommt. Dass der journalistische Mainstream es erst möglich gemacht hat, die Klimakrise zu dem werden zu lassen, was sie heute ist, wie Neubauer sagt, lässt der stellvertretende Chefredakteur der „Zeit“ dann doch nicht auf sich sitzen.

Ulrich, der Neubauer bei den meisten anderen Themen nur wenig widerspricht, gibt ihr hier endlich mal Kontra. Und das ist auch gut so.

Klimaschutz als Frage sozialer Gerechtigkeit

Ansonsten wäre dieser Dialog zweier Perspektiven aus unterschiedlichen Jahrzehnten zu meinungsmonoton und harmonisch geraten. Denn der Leser erfährt zwar viel über die persönlichen Erfahrungen von Ulrich und Neubauer, aber dann tauschen sich die beiden Gesprächspartner seitenweise zur Ära Merkel aus, philosophieren über die Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und dem Entstehen der Corona-Pandemie und rekapitulieren die Entstehung der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung.

Insgesamt entstehen dabei immer wieder wirklich interessante Gedanken und Ansätze. Ulrich und Neubauer geben sich Mühe, die einzelnen Antworten nicht ausufern zu lassen, sodass das Gespräch fast die meiste Zeit kurzweilig wirkt. Am Ende ist und bleibt es aber meistens ein Blick in die Vergangenheit. Eine soziokulturelle Beobachtung wie das Damals zum Heute werden konnte. Aber außerhalb der letzten zehn, zwanzig Seiten nicht besonders viel darüber, wie die Zukunft aussieht.

In „Noch haben wir die Wahl“ trifft Ignoranz auf Veränderungswut. ROPI

Protest gegen den G20-Gipfel

In „Noch haben wir die Wahl“ trifft Ignoranz auf Veränderungswut.

Dafür sollte man im Nachgang lieber zu Naomi Kleins „Was jetzt zu tun ist“ greifen. Die kanadische Journalistin ist eine der schärfsten Kritiker des neoliberalen Kapitalismus. Jetzt hat sie sich mit Jugendbuchautorin Rebecca Stefoff zusammengetan, um das Thema Klimawandel auch für die junge Generation verständlich zu verpacken.

Und das ist ihr durchaus gelungen. Auf fast 250 Seiten erklären die beiden Autorinnen, warum die globale Erdtemperatur steigt und wer die Verursacher der Krise sind. Dabei gelingt es ihnen, die durchaus komplizierten Zusammenhänge in eine jugendgerechte Sprache zu übersetzen, ohne sie zu vereinfachen.

Klein und Stefoff lassen dabei keinen Aspekt außen vor und nutzen das Beispiel von Hurrikan Katrina in New Orleans, um deutlich zu machen, dass Klimaschutz auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit ist.

Der traf 2005 vor allem die Schwarzen Wohnviertel der Stadt, wo der staatliche Katastrophenschutz völlig versagt hatte. Anschließend wurde der Wiederaufbau Unternehmen überlassen, die statt billiger Sozial- teure Eigentumswohnungen bauten. Frühere Bewohnerinnen und Bewohner konnten sich das nicht mehr leisten.

So entspinnt sich in neun Kapiteln ein praktischer und verständlicher Überblick über die wichtigsten Probleme, Verantwortlichen und Gegenmaßnahmen. Außerdem stellen gelb markierte Stellen auch heute schon erfolgreiche Aktionen jugendlicher Klimaschützer vor.

Es ist vielleicht kein typisches Sachbuch, dafür aber ein durchaus gelungenes Buch zur Aufklärung über den Klimawandel. Wer gute Argumente sucht, um sich für den Klimaschutz zu engagieren, der wird hier fündig. Ihnen liefern die Autorinnen einen regelrechten Werkzeugkasten für eine bessere Zukunft. Geschrieben für eine Generation, die sich wohl ihr ganzes Leben lang mit diesem Thema beschäftigen wird – ob sie es will oder nicht. 

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